| # taz.de -- Netzlenkung in China: Lasst tausend Zensoren blühen | |
| > Knapp 500 Millionen Chinesen sind online. Eine Mammutaufgabe für die | |
| > Zensoren. Besonders wenn die "Occupy"-Bewegung nach China drängt und | |
| > Blogger mit Worten spielen. | |
| Bild: Ein kleines Polizisten-Icon erinnert den User in China an die geltenden G… | |
| PEKING taz | Als kürzlich in Shanghai ein U-Bahnzug auf einen anderen | |
| prallte, erfuhren die Chinesen innerhalb von Sekunden davon: Mit seinem | |
| Handy fotografierte ein Passagier die Szene und meldete per Mikroblog: | |
| "Gerade eben sind zwei Züge der Shanghaier Linie 10 zusammengestoßen. Wir | |
| brauchen Euer Mitgefühl und Euren Schutz." | |
| Ein örtlicher Journalist wurde auf den Hilferuf aufmerksam und setzte eine | |
| erste Nachricht online ab. Die offizielle Webseite der U-Bahngesellschaft | |
| brauchte eine halbe Stunde länger, bis sie die Bürger von Shanghai | |
| informierte. | |
| Kein Zweifel: Wie überall auf der Welt verbreiten sich auch in China | |
| inzwischen Informationen in Windeseile – und die Institutionen des Landes | |
| haben große Mühe, Mikroblogs und Internet in ihrem Sinne unter Kontrolle zu | |
| bekommen. | |
| Bereits im Juli dieses Jahres hatten millionenfach weitergeleitete | |
| Mikroblogs verhindert, dass Bahn-Funktionäre das Ausmaß eines schweren | |
| Zugunglücks mit 40 Toten in der Nähe der Stadt Wenzhou vertuschen konnten. | |
| ## Millionen Chinesen informieren sich übers Netz | |
| 485 Millionen Chinesen nutzen derzeit das Internet. Obwohl Facebook oder | |
| Twitter in China blockiert sind, haben die großen chinesischen Portale wie | |
| Baidu, Sina oder Tencent in den vergangenen Jahren eigene soziale Netzwerke | |
| geschaffen. Über 200 Millionen Chinesen verständigen sich bereits per | |
| Mikroblog und die Zahl steigt schnell an. Allein bei Sina.Weibo ließen sich | |
| nach Angaben der Firma innerhalb von nur drei Monaten 40 Millionen Nutzer | |
| neu registrieren. | |
| Welche politische Wirkung diese neuen Informationskanäle haben können, | |
| zeigte sich spätestens, als die Bilder und Aufrufe der nordafrikanischen | |
| Jasmin-Rebellionen durchs Netz gingen. "Bei plötzlichen Ereignissen werden | |
| die Mikroblogs allmählich zur führenden Kraft, die Richtung der | |
| öffentlichen Meinung zu bestimmen", bestätigten im März dieses Jahres | |
| Experten des KP-Organs Volkszeitung, die Nachrichten und Debatten im | |
| Internet analysierten. | |
| Das ist ein Problem für Staats- und Parteichef Hu Jintao, der die "korrekte | |
| Lenkung der öffentlichen Meinung" zur "zentralen Aufgabe" erklärt hat. Die | |
| Jasmin-Rebellion wirkte auf die Funktionäre wie ein Weckruf, sich nicht | |
| mehr allein auf die bisherigen Methoden der Zensur zu verlassen: Dazu | |
| gehören technische Filter, die unliebsame Webseiten blockieren und heikle | |
| Worte in Emails erkennen. | |
| Dazu gehören auch Zensoren, die von den teilweise privaten Portalen | |
| beauftragt werden müssen, unbequeme Themen zu löschen. Unternehmen, die | |
| sich dabei nicht eifrig genug erweisen, drohen Strafen und der Entzug der | |
| Geschäftslizenz. | |
| ## Staatsrat schafft eigene Internet-Kontrollbehörde | |
| Im Mai dieses Jahres schuf sich die Pekinger Regierung eine neue zentrale | |
| Internet-Kontrollbehörde. Sie soll die Zensurdirektiven stärker | |
| koordinieren, die von einer Fülle von KP-Propagandaabteilungen, Ministerien | |
| und der Staatssicherheit verfügt werden. | |
| Die neue Behörde untersteht direkt dem Staatsrat - Chinas Kabinett – und | |
| ist gleichrangig mit dem Amt für Radio, Film und Fernsehen (SARFT). Die | |
| böse Ahnung, die viele Chinesen schon damals beschlich, scheint sich jetzt | |
| zu bestätigen: Beim jüngsten Treffen des mächtigen Zentralkomitees der | |
| Kommunistischen Partei vor wenigen Tagen stand die "Reform und Förderung | |
| der großartigen Entwicklung und Üppigkeit der sozialistischen Kultur" im | |
| Zentrum der Debatte. | |
| Der Kongress endete mit der Ankündigung, Internet und Mikroblogs stärker zu | |
| "verwalten" und "mit Hilfe der Gesetze die Verbreitung schädlicher | |
| Informationen zu bestrafen". Details über die neuen Kontrollen sind noch | |
| nicht bekannt. | |
| ## Behauptung und Gegenbehauptung | |
| Schon jetzt wirken Zensur und Selbstzensur. Um zu verhindern, dass sich | |
| Chinesen an der internationalen "Occupy Wallstreet" Protestbewegung ein | |
| Beispiel nehmen, blockierte das Portal Baidu kürzlich vorsorglich alle | |
| Wortverbindungen zwischen den chinesischen Zeichen "besetzen" und den | |
| wichtigsten chinesischen Großstädten. | |
| Bereits im vergangenen Jahr hatten Internetfirmen neue Abteilungen mit | |
| "Gerüchte-Detektiven" geschaffen. Diese Mitarbeiter, meist junge Leute | |
| unter 30 Jahren, durchforsten täglich die Mikroblogs nach "falschen | |
| Gerüchten", die sie gezielt dementieren sollen. | |
| Das liest sich dann so: "Kürzlich haben einige Mikroblog-Nutzer behauptet, | |
| dass es bei der Premiere des Film ‚Gründung der Republik’ Null Besucher | |
| gab." Diese Nachricht sei falsch, es habe Besucher gegeben. Zur Strafe | |
| dürften die betreffenden Mikroblogger zwei Monate lang nichts über | |
| Sina.Weibo veröffentlichen und sich keinem Internet-Forum anschließen. | |
| ## Spiel mit den Kontrolleuren | |
| Doch die Zensoren haben es schwer: Pfiffige Nutzer versuchen immer wieder, | |
| sie zu überrumpeln. Verbotene Begriffe reizen die Kreativität, mit witzigen | |
| Wortspielen, leicht veränderten Schriftzeichen und anderen Tricks werden | |
| die Kontrolleure ausgetrickst. | |
| Fotos von Sexorgien örtlicher Funktionäre oder Bilder von | |
| Kaderkinder-Hochzeiten mit Ferrari- und Hummer-Autokorsos geraten in die | |
| Internet-Öffentlichkeit und bleiben oft so lange online, bis | |
| Hunderttausende sie heruntergeladen haben, bevor sie gesperrt werden. | |
| Sieht die Regierung allerdings ihre eigene Sicherheit bedroht, greift sie | |
| zu drakonischen Maßnahmen: Nach den ethnischen Unruhen in der westlichen | |
| Region Xinjiang im Sommer 2009 legte sie dort das Internet für zehn Monate | |
| vollständig lahm. Ausgenommen waren nur wenige Institutionen wie Banken und | |
| Parteibehörden. | |
| 31 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Jutta Lietsch | |
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