# taz.de -- Berlusconi vor dem Rücktritt?: Götterdämmerung in Italien | |
> Mit dem Rückzug von Ministerpräsident Silvio Berlusconi verschwindet der | |
> Realismus aus der Politik. Werden wir ihn vielleicht nochmal vermissen? | |
Bild: Land in Sicht? Was kommt wohl nach der Ära Berlusconi. | |
ROM taz | Wenn alles gut geht, dann ist Berlusconi am Sonntag weg. Endlich, | |
sagen viele hier in Rom, auch solche, die auch nur die Möglichkeit, das | |
Lager zu wechseln, noch vor einer Woche weit von sich gewiesen hätten. | |
Erstmal, sagen andere, die die falschen Alarme satt haben. Denn Italien ist | |
vor allem eins: ein sehr müdes Land. Schade, dass er geht - auch solche | |
Stimmen gibt es. | |
Berlusconi hat die große Vernebelungsmaschine über eine mögliche | |
Neukandidatur längst angeworfen; ob es überhaupt zu Neuwahlen in Italien | |
kommt, ist auch keineswegs sicher: Jene 400 Abgeordneten, die zum ersten | |
Mal im italienischen Parlament sitzen, müssen nämlich die Legislaturperiode | |
unbedingt zu Ende bringen, um ihre lebenslange Pension zu sichern. | |
Die Italiener, hat Roms Exbürgermeister Franco Rutelli kürzlich gesagt, | |
seien eben vor allem praktische Menschen. Sie wissen, dass in Europa | |
Merkozy regiert und sie wissen, dass der Euro nichts anderes ist als die | |
D-Mark in softem Gewand. | |
Vor dieser teutonischen Gefahr, vor den Märkten, vor der Europäischen | |
Zentralbank und dem IWF hat der alte Chef versagt. Ob also der Cavaliere | |
Berlusconi demnächst an den Füßen aufgehängt werden wird wie einst der Duce | |
Mussolini? | |
Zwischen den beiden jeweils ungefähr zwanzig Jahre dauernden Regimen gibt | |
es grundsätzliche Unterschiede. Mussolini war der größere Verbrecher, aber | |
er war ein politischer Verbrecher. Berlusconi traf sich nach der Niederlage | |
im Parlament am Samstag erst mit seinen Firmenmanagern und Anwälten, bevor | |
er sich in die Niederungen der Gremien seiner Partei herabließ. | |
Mit Silvio verschwindet der Realismus des Geschäftsmanns aus der Politik | |
und wird durch den Moralismus von Schweiß-und-Tränen-Reden ersetzt. Er hat | |
erfolgreich den Krieg gegen das Böse geführt. Nennen wir es mit ihm und | |
sehr vielen Italienern: die Kommunisten. Aber gegen die Deutschen und ihre | |
EU hatte er keine Chance, weil sie diesmal mit den Märkten alliiert sind. | |
## Als regierte immer noch Helmut Kohl | |
Das Land Italien braucht jetzt eine Zynismuspause. Man muss irgendwie all | |
die Dinosaurier in allen Lagern, in allen Medien loswerden. Es ist ja hier | |
so, als regierte in Deutschland noch immer Helmut Kohl und als moderierte | |
den "Bericht aus Bonn" noch Ernst-Dieter Lueg. | |
In der unerträglich hierarchischen und gerontokratischen italienischen | |
Polit- und Medienwelt war der Mann mit dem Kaimanlächeln mit seinen | |
zahlreichen Volten und Häutungen (inhaltlich - und physisch: Haare, Gesicht | |
etc.) eben durchaus auch der am wenigsten langweilige und nervtötende. B. | |
war ein Volksheld, besonders der Kleinbürger. Sie verschwinden nicht mit | |
ihm. Und sie sind in ihrer italienischen Ausprägung nicht bereit, | |
Kompromisse zu machen. Für sie zählt nur la roba, der eigene Besitz. Mit | |
hübsch modischen Reden über das Gemeingut muss man ihnen gar nicht erst | |
kommen. Wer wird sie in Zukunft im Zaum halten und davon abbringen, das | |
ganze schöne Land zuzubetonieren? Werden wir Silvio vielleicht nochmal | |
vermissen? | |
Berlusconis Abschied bestätigt jedenfalls eine schmerzliche Vermutung: | |
Regierungen und Regime stürzen in den westlichen Demokratien nicht über den | |
Aufstand der Anständigen, sondern über die harten Fakten der | |
kapitalistischen Ökonomie bzw. den Widerhall, den diese Fakten in den | |
Regierungsparteien finden. Dass es in Italien so lang gedauert hat, ist | |
Berlusconis Stärke als Typ zuzuschreiben, aber auch dem niedrigen | |
Bildungsniveau der herrschenden parlamentarischen Klasse. | |
Das neue Rom ist wie das alte: Es ging den meisten Parlamentariern von | |
Berlusconis Partei immer nur darum, so schnell wie möglich so viel Geld wie | |
möglich zusammenzuraffen. In Deutschland ist man da vorsichtiger: Sowohl | |
Gerhard Schröder als auch Helmut Kohl ließen sich für geleistete Dienste | |
erst im Anschluss ans Amt bezahlen. | |
Vermissen werden Berlusconi aber letztendlich vor allem die Deutschen. Was | |
hat man nicht für einen Spaß gehabt mit diesem Mann! Jetzt bleibt | |
eigentlich nur noch der Papst, um alles abzuladen, was man schon immer mal | |
loswerden wollte. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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