# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Abgezockte Spekulanten | |
> Boomender Tourismus, niedrige Preise – für Italiener ist der Kauf einer | |
> Immobilie in Berlin eine attraktive Geldanlage. Agenturen nehmen jede | |
> Menge Extragebühren. | |
Bild: Objekte italienischer Begierde: klassizistische Altabaufassaden in Berlin… | |
"Ihr sucht eine sichere und krisenfeste Kapitalanlage für eure Ersparnisse? | |
Was könnte passender sein als eine Immobilie in Berlin, der faszinierenden | |
Mauer-Metropole, die heute zur europäischen Kapitale von Kultur und | |
Tourismus geworden ist?" Solche oder ähnliche Ankündigungen finden sich auf | |
auf italienischen Webseiten zuhauf. Sie werben für den Immobilienkauf in | |
der deutschen Hauptstadt, heißen casaaberlin.com, caseaberlino.com, | |
compararecasaaberlino.com. | |
Wer hier nicht fündig wird, jagt die Begriffe "casa" (Haus, Wohnung), | |
"comprare" (kaufen), "Berlino" durch die Suchmaschine und erhält ein lange | |
Angebotsliste. Zwar beklagen sich die Italiener gerne, aus einem | |
heruntergewirtschafteten Land zu kommen, aber wenn es darum geht, in Berlin | |
Immobilien zu kaufen, lassen sie sich nicht lumpen. | |
Die ganze Aufregung hat vor ungefähr zwei Jahren begonnen. In den | |
Talkshows, die einen wesentlichen Anteil des italienischen TV-Geschehens | |
ausmachen, bekamen man sich gar nicht mehr ein vor lauter Ratgebersendungen | |
über diese aufregende Stadt da droben im Norden, das Symbol des Kalten | |
Krieges, aber eben auch den Ort, der junge Leute aus der ganzen Welt wie | |
ein Staubsauger anzieht: Es ist das Versprechen auf künstlerische und | |
persönliche Selbstverwirklichung, es sind die im Vergleich zu anderen | |
Metropolen lächerlich niedrigen Miet- und Kaufpreise. Es ist die Verheißung | |
eines coolen Lebens und heißer Geschäfte. | |
In Venedig, der teuersten Stadt in Italien, zahlen Wohnungskäufer | |
durchschnittlich 9.570 Euro für den Quadratmeter, in Rom sind es 8.000 | |
Euro, in Mailand 7.570 Euro. Berlin ist da eine andere Welt - hier findet | |
man viele Angebote, bei dem der Preis pro Quadratmeter unter 3.000 Euro | |
liegt. | |
## Kaufen, verkaufen, spekulieren | |
Eines der Fernsehformate, das über den italienischen Run auf Berliner | |
Immobilien berichtet, heißt "Ballarò". Die Show begleitete einen Mailänder | |
Rentner, der in Berlin seine gesamten Ersparnisse anlegen wollte, 60.000 | |
Euro. Der Mann kann gar nicht fassen, was der Makler ihm dafür anbietet: | |
Ein 40 Quadratmeter großes Appartement. "In Italien hätte ich für das Geld | |
nur einen Wohncontainer bekommen." Ende des Berichts, Riesenapplaus vom | |
Studiopublikum. | |
Der gentrifizierungskritische Berliner weiß sofort, was er davon zu halten | |
hat: Ausgerechnet die Italiener aus Bunga-Bunga-Land! Kaufen, verkaufen, | |
spekulieren. Doch was kümmert es Leute wie den Mailänder Rentner, wenn die | |
Mieten am immer noch sehr gemütlichen Berliner Markt hochgetrieben werden? | |
Im Gegenteil: Ihm kann das nur recht sein. | |
Aber die Italiener sind nicht mehr die viven Geschäftemacher von einst. Vom | |
jahrelangen Fernsehkonsum auf unterstem Niveau geschwächt, brauchen sie | |
Hilfe beim Kapitaltransfer nach Berlin. FrontLine bietet genau das. Die | |
Agentur mit deutschem Management, mehrsprachiger Website und Mitarbeitern | |
aus aller Welt hat ihren Sitz sehr zentral in der Großen Hamburger Straße | |
in Berlin-Mitte. Hier ist Italienisch überpräsent. Via E-Mail, Facebook und | |
mit Newslettern wird geworben. Außerdem hat die Agentur auch einen Sitz in | |
Rom und einen in Mailand, wo sie in Luxushotels dreitägige Info-Shows | |
abhält, Crashkurse über Markt, Preise und Lagen an der Spree. | |
Wir treten per E-Mail mit der Agentur in Kontakt. Die Antwort klingt | |
einigermaßen bizarr: Angeboten werden 28 Appartements von 23 bis 37 | |
Quadratmetern mitten in Kreuzberg. Die Preise bewegen sich zwischen 75.900 | |
Euro und 130.200 Euro. Khadine, die Verkäuferin aus Panama, bringt uns im | |
Firmenwagen zum Mariannenplatz 21, und sie macht das sehr nett und höflich. | |
Auch ihr Hündchen Pachita, das sie überall hin begleitet, macht einen | |
liebenswerten Eindruck. "Oh, was für ein schöner Park da vorne, schau mal, | |
und wie hübsch das rote Haus ist." | |
## 3.300 Euro pro Quadratmeter | |
Leider ist das rote Haus nicht jenes, um das es geht. Sondern ein anderes, | |
sehr viel weniger hübsches dahinter. "Mach dir keine Sorgen, das wird alles | |
saniert." Und wann? "Schon Mitte 2012!" | |
Khadines Deutsch ist nicht sonderlich gut, ihr Italienisch ist nicht übel. | |
Ihr Freund lebt in Modena, irgendwann will auch er nach Berlin kommen. | |
Khadine treibt uns zügig die Treppen hoch, wir kommen kaum dazu, uns | |
umzusehen. Dann stehen wir vor dem einzigen bisher renovierten Appartement, | |
dem, das in der Mail "showflat" hieß. "Sounds cool", meint Khadine. So wie | |
hier soll es bald überall im Haus aussehen. | |
Es stehen sogar schon Möbel rum, aber, sagt Khadine, bei der farblichen | |
Gestaltung gibt es durchaus noch Auswahlmöglichkeiten. Für die Sofafarbe, | |
präzisiert der Angestellte, der uns herumführt. "Schau mal, wie hübsch: Aus | |
der Duschkabine siehst du das Wohnzimmer", begeistert sich Khadine und das | |
Hündchen bellt dazu. Wohnzimmer? "Na ja - Wohnzimmer, Schlafzimmer,wie du | |
es eben nennen willst! Bei 23 Quadratmetern, zu diesem Preis, mitten in | |
Kreuzberg?" In Wirklichkeit sind 3.300 Euro pro Quadratmeter eine Menge für | |
Berlin. Wenn man Bescheid weiß. Aber immer noch nichts im Vergleich zu den | |
italienischen Preisen. | |
Schwieriger wird die Sache dann bei den Endkosten des geplanten Erwerbs. | |
7,14 Prozent vom Gesamtpreis soll die Kommission der Agentur betragen. Auf | |
der Website von FrontLine ist die Gebühr als nicht eingerechnet | |
gekennzeichnet, in der E-Mail später ist sie schon mit drin. Khadine kann | |
einem leidtun, wie sie sich bemüht, gute Arbeit abzuliefern und dabei immer | |
zwischen der einen und der anderen Angabe hin und her schwankt. | |
## Satte Endkosten | |
Auch bei den Notarkosten bleibt vieles unklar: "4,5 % Grunderwerbssteuer - | |
da kann man nichts machen -, dazu 2 % für den Notar und 2 % für den | |
Anwalt", heißt es in der Mail. Anwalt, wieso Anwalt? "Wir raten den | |
Anlegern, die kein Deutsch sprechen, dazu - aber es ist fakultativ." Und | |
wozu braucht man dann noch einen Übersetzer? Khadine erklärt: "Das Risiko | |
in Deutschland besteht darin, dass sich die Notare um nichts kümmern. Am | |
Ende hast du eine Wohnung gekauft, auf der noch eine Hypothek liegt." | |
Das überzeugt uns nicht. In Deutschland ist per Gesetz geregelt, dass der | |
Notar eben das überprüfen und ausschließen muss. "Na ja, aber dann nimm mal | |
an, es gibt irreparable Schäden am Haus; dann bist du froh, wenn du einen | |
Anwalt an deiner Seite hast", versucht es Khadine. Kurz gesagt: Die Agentur | |
empfiehlt einen Anwalt, um sich vor eventuellen Betrügereien zu schützen, | |
welche die Agentur selbst ausschließen müsste. | |
Dann hat Khadine oft genug "wie hübsch" ausgerufen und Details erklärt; nun | |
will sie auch von uns etwas wissen: "Was habt ihr denn vor mit der Wohnung? | |
Wenn ihr ein bisschen Geld verdienen wollt …?" | |
FrontLine ist nämlich nicht nur eine Vermittlungsagentur für Käufer, sonder | |
auch für Vermietungen, vor allem im Bereich Städtetourismus. Die Kosten für | |
diesen Service: 25 Prozent der Einnahmen. Auf der Website wird ein solcher, | |
bequem vom warmen Italien aus zu handelnder Nebenerwerb folgendermaßen | |
beworben: "Nur 14 Prozent der Berliner leben in ihrem Wohneigentum. Dieser | |
Markt ruft nach einer Veränderung." Welche Art von Veränderung? Wer keine | |
Eigentumswohnung hat, soll gehen und Platz machen für Touristen? | |
## Platz für Touristen | |
"Der Tourismus hat um 16 % zugenommen" heißt es weiter, "der Flugverkehr um | |
8 %, mehr als 2.000 Hotelzimmer der gehobenen Kategorie sind in den letzten | |
drei Jahren dazugekommen." | |
Das klingt nach voller Übereinstimmung mit der Linie von Berlins | |
Bürgermeister Klaus Wowereit: "Tourismus ist Chefsache." Die Stadt hat zwar | |
die gleichen sozialen Probleme wie vor zehn Jahren, Gewinn aus der | |
Wohnspekulation ziehen nur wenige Berliner, die meisten leiden im Gegenteil | |
unter den stetig steigenden Preisen. Aber Hauptsache, der Tourismus boomt. | |
Wir steigen die Treppen runter und haben nun auch Muße, einen Blick auf die | |
anderen Etagen zu werfen. Die Wohnungen sind abgeschlossen, im Flur stehen | |
Fahrräder, Schuhe und Pantoffeln. "Khadine, hier wohnen doch noch Leute!" | |
"Ja, aber das muss dich nicht kümmern. Die müssen alle demnächst raus." | |
Oder sie kaufen. | |
Übersetzung: Ambros Waibel | |
11 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Riccardo Valsecchi | |
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