# taz.de -- Kommission zu "News of the World": Schicksalstage im Königreich | |
> In London berät nun eine Untersuchungskommission über das britische | |
> Medienrecht - und das Gebaren von Murdochs "News of the World". | |
Bild: Bald entscheidet sich das Schicksal von Murdochs "News of the World". In … | |
LONDON taz | Das Schicksal der aggressivsten Boulevardpresse der Welt- und | |
ganz nebenbei der Murdochs - wird vor einem hellblauen Vorgang an | |
spartanischen Tischen entschieden, die so gar nichts von Grandeur an sich | |
haben. Schon gar nicht von der, die in der Bezeichnung "Royal Courts of | |
Justice" mitschwingt. Doch dort hört in Saal 73 die Untersuchungskommission | |
unter Lordrichter Brian Leveson Beweise, Meinungen und Anträge zu einer | |
neuen Medienordnung für das Königreich. | |
Es geht um "Culture, Practice and Ethics of the Press". Aber natürlich in | |
erster Linie um den Telefon-Hacking-Skandal bei Murdochs dichtgemachtem | |
Sonntagsblatt News of the World. Die Leveson-Inquiry ist dabei eine von | |
vielen- der Medienausschuss des britischen Parlaments hat seine eigene, | |
auch Scotland Yard ermittelt weiter. Brian Leveson sitzt dabei der | |
wichtigsten all dieser Inquiries vor - und weiß das auch. Von seinem | |
Richterspruch wird abhängen, wie sich das britische Medienrecht verändert. | |
Dass es dies tun wird, ist jetzt schon sicher. | |
Das liegt vor allem an dem einen Fall, ohne den diese "Inquiry" im Auftrag | |
der britischen Regierung wohl eher eine unter vielen - oder erst gar keine | |
geworden wäre: 2002 wurde die Schülerin Milly Dowler entführt und ermordet, | |
deren Handy-Mailbox News-of-the-World-Reporter geknackt und abgehört | |
hatten. Als sie auch Nachrichten löschten, wirkte das wie ein Lebenszeichen | |
des längst toten Mädchens. Angehörige, Polizei und die Öffentlichkeit | |
schöpften neue Hoffnung - nur um danach noch heftiger enttäuscht zu werden. | |
"Die Sorglosigkeit und der Zynismus hat die Menschen damals zu recht | |
angekotzt", sagt Robert Jay - und meint, dass das heute noch genauso wäre. | |
Der Anwalt gibt bei der Untersuchungskommission, die keine Strafen, sondern | |
Empfehlungen für die Regierung auszuarbeiten hat, so etwas wie den | |
Ankläger. Und im Saal saß Bob Dowler, der Vater von Milly, mit | |
versteinerter Miene, als wollte er persönlich darüber wachen, dass "die | |
Presse" nicht ungestraft davonkommt. | |
## Legendäre Ruhe | |
Den Mahner bräuchte es allerdings gar nicht. Denn Leveson, der eher wie ein | |
liebevoller Charakter aus der Knetgummifamilie von Wallace und Gromit | |
aussieht, hat es faustdick hinter den Ohren. Seine an Stoizismus grenzende | |
Ruhe ist in englischen Gerichtssälen legendär. Wenn Leveson eingreift, dann | |
immer höflich im Ton, aber knallhart in der Sache. Und gern mal mit | |
beißendem Spott. | |
"Danke, dass Sie mich daran erinnern, was 1643 los war", bremst er am | |
zweiten Anhörungstag Richard Davies aus, den Anwalt für Murdochs britische | |
Zeitungsgruppe News International, zu der die News of the World gehört. | |
Davies setzt nämlich gerade zu langatmigen Ausführungen zur glorreichen | |
Geschichte der britischen Presse an, ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. | |
Denn schon zum Anhörungsauftakt hatte die Leveson-Inquiry neue Fakten | |
vorgelegt: Danach werden jetzt 27 weitere Mitarbeiter der im Juli | |
eingestellten Sonntagszeitung verdächtigt, beim Hacking mitgetan zu haben. | |
Anders als bislang behauptet war wohl auch nicht nach der Verurteilung des | |
zunächst von News International als Einzeltäter präsentierten | |
Königshaus-Reporters Clive Goodmann 2007 Schluss: "Einzelne Fälle von | |
Phone-Hacking scheint es bis 2009 gegeben zu haben", heißt es in Jays | |
"Anklageschrift". | |
Die Zahlen machen eher schwindlig: 11.000 Seiten Notizen des im Zentrum des | |
Hacking-Skandals stehenden Privatdetektivs Gen Mulche, der für das Blatt | |
und andere Medien arbeitete, wurden ausgewertet. Es gibt 5.795 potenzielle | |
Opfer, 2.266 Mal wandten sich Murdoch-Blätter an Mulche, der in seinem | |
Notizbuch penibel 28 Namen von News-International-Mitarbeitern, als | |
Buchstabenchiffren getarnt, notierte. 586 Mitschnitte von Voicemails wurden | |
bei Mulcaire gefunden - die Polizei saß seit über fünf Jahren auf diesen | |
Beweismitteln. | |
## Vertraulichkeitsklausel mit der Polizei | |
Murdoch-Anwalt Davies kann all diese neue Zahlen nicht nachvollziehen. | |
"Nach unserer Rechnung sind es keine 27", sagte der mehrere tausend Pfund | |
pro Tag teure Anwalt im Nadelstreifenanzug so zuckersüß, wie er sich gleich | |
danach auch "überrascht" zeigt, als von den Vorwürfen des Schauspielers | |
Jude Law berichtet wird, der gerade ein Zivilverfahren mit Murdochs | |
Unter-der-Woche-Boulevardblatt Sun ausficht: Die Sun, so Law, habe seine | |
Mailbox gehackt, Prozessbeginn ist im Januar. "Aber das ist doch noch gar | |
nicht öffentlich", ruft Davies, und breche die mit der Polizei abgemachte | |
Vertraulichkeitsklausel, und überhaupt weise er Jude Laws Darstellung "mit | |
aller Entschiedenheit zurück". | |
Ansonsten wolle man natürlich "engstens" mit Lord Leveson zusammenarbeiten, | |
doch bevor es hier zu "regulatorischen Eingriffen" komme, wolle er nur | |
darauf hinweisen, dass News International allen "Opfern, die einen Anspruch | |
darauf haben, Entschädigungen in Höhe einer vor Gericht zu erwartenden | |
Summe" zahlt und "sogar noch zehn Prozent drauflegt". | |
Dafür bittet der Anwalt aber auch um einen fairen Deal und darum, nicht | |
Abschied zu nehmen von der üblichen Selbstaufsicht der Presse über die dem | |
Deutschen Presserat vergleichbare Press Complaints Commission (PCC) : | |
"Regierungen haben keine gute Bilanz, wenn es darum geht, die Presse zu | |
regulieren". | |
## Parallelen zu Deutschland | |
Hierin hat Davies recht. Denn nach dem Willen der britischen Regierung | |
unter David Cameron sitzen hier nicht nur der Boulevardjournalismus oder | |
die Murdochs auf der Anklagebank, sondern das ganze Mediensystem - | |
inklusive der von den Konservativen nie sonderlich geliebten BBC. Die | |
Parallelen zu Deutschland, wo die Union ebenfalls gerade mal wieder | |
versucht, ARD und ZDF in die Schranken zu weise, sind augenfällig. | |
Gerungen wird um die alte Frage, wo die Freiheit der Medien aufhört und die | |
anderer Menschen anfängt. In der Annexe, einem ans Gerichtsgebäude | |
angeflanschten Zelt, in dem Bürger und Journalisten, die nicht mehr in den | |
Hauptsaal passten, das Geschehen per Liveübertragung verfolgen, ist im | |
Presseabteil die Meinung klar: Hier wird über eine ganze Branche zu Gericht | |
gesessen. | |
Brian Leveson macht denn auch unmissverständlich klar, dass er "ein großer | |
Fan von freier Meinungsäußerung und Pressefreiheit" ist, da man der Presse | |
aber zu Leibe rücken werde und da man um ihre Macht wisse, droht der | |
Lordrichter schon mal, man werde "die Berichterstattung über die Inquiry | |
sehr genau beobachten" und bei Bedarf "einschreiten". Die Untersuchung | |
werde "durchgezogen, ungeachtet allen Kreuzfeuers", echot wenig später | |
"Ankläger" Jay. Die in der Annexe versammelte Journaille murmelt eher | |
feindlich. | |
Doch negative Presse bringt einen Brian Leveson nicht aus der Ruhe. Nur | |
einmal wird auch der Lordrichter hektisch. Am Nachmittag des ersten | |
Anhörungstags drängt sich nämlich der Verdacht aller Verdachte auf: Die | |
Leveson-Inquriy wurde gehackt. Anwalt David Sherborne, der in der dritten | |
Reihe sitzt, hat nach dem Mittagessen plötzlich eine Nachricht auf seinem | |
Monitor, die nicht mehr verschwindet: "Threat detected", Angriff entdeckt, | |
"steht da in großen roten Buchstaben, wie denen der News of the World", | |
ruft Sherborne, "und etwas von einem trojanischen Pferd." | |
Lordrichter Leveson tadelt umgehend die NoW-Referenz als "unpassend", guckt | |
aber zum ersten Mal ratlos. Bis sich eine andere Anwältin meldet und | |
trocken meint, sie habe "die gleiche Nachricht schon heute Morgen" auf dem | |
PC an ihrem Tisch gehabt- "und einfach weggeklickt". | |
15 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
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