# taz.de -- Ex-Kommissar über rassistische Mordserie: "Zu viele sind zuständi… | |
> Josef Wilfling, Ex-Leiter der Münchner Mordkommission, wehrt sich gegen | |
> den Vorwurf, die Polizei habe versagt. Die Ermittlungsstrukturen seien zu | |
> wirr. | |
Bild: Mahnwache der Türkischen Gemeinde in Berlin am Sonntag, die der Mordseri… | |
taz: Herr Wilfling, was sagen Sie angesichts der überraschenden Wendung des | |
Falls? | |
Josef Wilfling: Ich bin sehr überrascht, aber auch froh, denn die | |
Aufklärung bedeutet das Ende der Serie. Es gab schon zuvor zeitliche | |
Lücken, und niemand konnte sicher sein, ob die Täter noch mal zuschlagen. | |
Ich bin also erleichtert. | |
Schildern Sie bitte die beiden Fälle, für die Sie in München zuständig | |
waren. | |
Beim ersten Mordfall im August 2001 ging es um einen Gemüseladen im | |
Münchner Osten. Der türkische Inhaber wurde vom Postboten tot hinter seinem | |
Tresen aufgefunden. Uns war sofort klar, dass es sich hier um eine neue | |
Qualität von Fall handelte. Der Mann wurde gezielt durch einen Kopfschuss | |
hingerichtet. Das passiert nicht oft. Wir wussten: Das muss ein | |
professioneller Täter gewesen sein. Und dann gab es auch die anderen Fälle. | |
Wir dachten: Hoppla, da haben wir es mit einer außergewöhnlichen Mordserie | |
zu tun. | |
Und beim zweiten Fall? | |
2005 bot sich ein absolut identisches Bild. Ein Grieche, Mitinhaber eines | |
Schlüsseldienstes im Münchner Westend, war auf dieselbe Weise hingerichtet | |
worden. Bald stellten wir fest, dass der Mord mit derselben Waffe verübt | |
worden war. | |
Es war von Anfang an klar, dass die Morde in Zusammenhang stehen? | |
Ja, sofort, weil immer dieselbe Waffe verwendet wurde. | |
An welches Motiv haben Sie als Erstes gedacht? | |
An ein organisiertes Verbrechen. Es gab in verschiedenen Fällen konkrete | |
Hinweise auf einen Kontakt ins Drogenmilieu und es gab zahlreiche Hinweise | |
auf Inkassokriminalität, Glücksspiel und Geldwäsche. Klar, dass ich da | |
einen Schwerpunkt gebildet habe. Wir haben auch mit türkischen | |
Organisationen und Verbänden eng zusammengearbeitet und türkische | |
Polizeibeamte eingesetzt. Wir haben türkische Mitbürger angesprochen. Es | |
gab Plakataktionen. Es wurden Phantombilder veröffentlicht. Das gesamte | |
Umfeld wurde befragt. Jeder noch so kleinen Spur wurde nachgegangen. Es gab | |
keine Ermittlungen in der Nachkriegszeit, die mit einem solch gigantischen | |
Aufwand betrieben wurden wie diese. Aber alles, was wir hatten, waren | |
Hinweise auf Radfahrer, die Fahrräder in ein Wohnmobil eingeladen haben. | |
Dass die Täter Wahnsinnige sind, die mit einem Wohnmobil durch die Gegend | |
fahren und Leute umbringen, darauf kamen wir nicht. | |
Welche konkreten Hinweise deuteten darauf hin, dass die Opfer Teil einer | |
Mafia waren? | |
Das kann ich im Einzelnen natürlich nicht sagen. Auch nicht bei welchen | |
konkreten Fällen. Aber diese Hinweise gab es. Auch ich war davon überzeugt, | |
dass die Mordserie einen mafiösen Hintergrund hat. | |
Das heißt, dass es sich um eine rechtsradikal motivierte Tat gehandelt hat, | |
wurde gar nicht in Betracht gezogen? | |
Das hat selbstverständlich auch eine Rolle gespielt. Wir haben in alle | |
Richtungen gedacht. Aber man hält sich eben an die Fakten, und die | |
Ermittlungen haben zunächst deutliche Hinweise auf ein organisiertes | |
Verbrechen gegeben. Erst nach ein paar Jahren, nachdem man keine | |
Anhaltspunkte gefunden hatte, gab es ein Gutachten der Münchner Profiler. | |
Die kamen zu dem Ergebnis, dass ein fremdenfeindlicher Hintergrund | |
wahrscheinlich ist. | |
Da kann man den Eindruck bekommen, es wirke ein Mechanismus. Werden | |
Menschen mit Migrationshintergrund ermordet, dann beschuldigt man in erster | |
Linie die Opfer selbst. Man geht automatisch davon aus, dass sie Teil einer | |
Mafia sind oder mit Glücksspiel oder Drogenkriminalität zu tun haben. | |
Diesen Vorwurf finde ich ungerecht. Das ist einfach nicht berechtigt. Für | |
uns macht es nicht den geringsten Unterschied, ob das Opfer Türke oder | |
Schwarzafrikaner oder Deutscher ist. Das kann ich Ihnen versichern. Aber | |
diese Äußerungen sind natürlich auch den Emotionen geschuldet und in | |
gewisser Weise habe ich dafür Verständnis. | |
Trotzdem wurden die Täter nicht gefunden. Haben Sie versagt? | |
Das tut weh, wenn man sich so engagiert hat. Tausende von Stunden, Hunderte | |
von Polizisten und Ermittlern haben sich da reingekniet, und dann kriegt | |
man so einen Vorwurf. Das ist unfair und ungerecht. | |
Trotzdem hätte doch das Bundeskriminalamt eingeschaltet werden müssen, oder | |
nicht? | |
Das BKA war eingeschaltet, und zwar ganz intensiv. Es geht eher um die | |
Frage, wer die Leitung des Falles übernimmt. Meine Meinung dazu ist, dass | |
wir in der Bundesrepublik zu viele Zuständigkeiten haben: Sechzehn | |
Bundesländer und sechzehn Justizministerien, sechzehn | |
Verfassungsschutzämter, sechzehn unterschiedliche Polizeien. Wenn es eine | |
klarere Struktur gäbe, würden die Informationen besser laufen. | |
Was hätte anders laufen müssen? | |
Das Bundeskriminalamt hätte die Ermittlungen gleich an sich ziehen müssen, | |
ebenso die Bundesanwaltschaft. Nicht erst jetzt, da alles vorbei ist. | |
Glauben Sie, der Fall hätte früher aufgeklärt werden können? | |
Nein, denn die Soko Bosporus in Mittelfranken, die den Fall federführend | |
übernommen hat, hat effektiv gearbeitet. Meiner Meinung nach geht es hier | |
um ein grundsätzliches Problem. Mit diesem zerrissenen Fleckerlteppich an | |
Zuständigkeiten, den wir in Deutschland haben, wird man der Bekämpfung von | |
organisierter Kriminalität und auch des Radikalismus, egal ob von links | |
oder rechts, auf Dauer nicht gerecht. | |
Muss man den rechtsradikalen Terror in Zukunft ernster nehmen, als man das | |
bisher getan hat? | |
Man muss jeden Terror ernst nehmen, den rechten genauso wie den linken. Da | |
gibt es keine Steigerung. Ich kann nicht sagen, dass wir das nicht | |
ernstgenommen haben. Was im politischen Bereich gedacht und gemacht wird, | |
das kann ich nicht beurteilen. Es gibt eine Trennung von Polizei und | |
Verfassungsschutz. Das ist politisch gewollt, vor allen Dingen von den | |
Politikern, die jetzt am meisten das Maul aufreißen, sich wichtigmachen und | |
von Versäumnissen reden. Die sollten drüber nachdenken, dass sie es sind, | |
die den Informationsfluss unterbinden. | |
Mit anderen Worten, sie halten die Trennung von Polizei und | |
Verfassungsschutz nicht für sinnvoll? | |
Ich halte diese Trennung schon für sinnvoll, aber der Informationsaustausch | |
ist viel zu zögerlich. Wenn ich als Ermittler Informationen brauche und | |
rufe jede einzelne Verfassungsschutzbehörde an? Das kann ich mir sparen. Da | |
kriege ich nichts. | |
Warum? | |
Ich kann nicht anrufen und sagen: Sie, wir haben hier einen Mordfall. Das | |
könnte auch ein fremdenfeindlicher Hintergrund sein. Geben Sie mir mal ein | |
paar Informationen. Das fruchtet nicht. Das ist viel zu vage. Da bräuchte | |
ich konkrete Hinweise auf Personen oder Gruppierungen. Wir hatten es ja | |
hier mit einem Fall zu tun, der sich auf ganz Deutschland erstreckt hat. Wo | |
fängt man da an bei sechzehn unterschiedlichen Ämtern? | |
16 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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