# taz.de -- Geschasster V-Mann kämpft um Anerkennung: Der Mann, der zu viel wu… | |
> Er wusste vom VW-Skandal, Jahre bevor er aufflog, er war den Hells Angels | |
> in Hannover auf der Spur - dann wurde Bernd Kirchner als V-Mann | |
> kaltgestellt. Seitdem kämpft er um sein Geld. Und um seine Ehre. | |
Bild: Hier arbeitete Kirchner undercover: Steintorviertel in Hannover. | |
HANNOVER taz | Er steht auf dem Provinzbahnhof, als Begrüßungskomitee in | |
eigener Sache, und obwohl es zugig ist, trägt er nur ein dünnes weißes | |
Hemd. Wenn man genau hinschaut, erkennt man auf der Brust den Schriftzug | |
"Boss". Seine schwarzen Lederschuhe haben goldene Schnallen. | |
"Hab ich von einem Nachbarn geliehen", brummt Bernd Kirchner, 60, und | |
quetscht seinen Körper in den Kleinwagen, der vor dem Bahnhof parkt. Es | |
geht an Wäldern vorbei und an einer Müllverbrennungsanlage, Kirchner fährt | |
schnell. Früher habe er sich alle zwei Jahre einen neuen Mercedes 500 | |
geholt, sagt er, "immer die lange Version". | |
Heute hat Kirchner kein Auto mehr, und er hat einen neuen Namen bekommen, | |
damit er untertauchen kann. Post an Bernd Kirchner landet beim | |
Polizeipräsidium Hannover, Waterloostraße 9. Für die Polizei hat Kirchner | |
gearbeitet, als verdeckte "Vertrauensperson". Heute denkt er, dass das ein | |
Fehler war. | |
Bernd Kirchner war der erste V-Mann in Niedersachsen, der auf organisierte | |
Kriminalität angesetzt wurde. Er berichtete aus der Hannoverschen | |
Rotlichtszene, dank seiner Kontakte wusste er von der Sexparty-Affäre bei | |
VW, lange bevor der Skandal aufflog. | |
Er machte Schießübungen mit den Hells Angels, er sah die Geldkassette, aus | |
der sie ihre Scheine nahmen. "Niemand war näher an den Hells Angels dran | |
als er", sagt einer aus dem Polizeiapparat, der lieber ungenannt bleiben | |
möchte. | |
Als Frank Hanebuth, der Hells Angels-Chef von Hannover, 2001 vor Gericht | |
erscheinen musste, wusste Kirchner schon vorher, was Hanebuth sagen würde. | |
"Ich hab der Polizei mitgeteilt, wo seine Kuriere das Geld abholen, wie die | |
Frauen nach Deutschland kamen, wo ihre gefälschten Papiere gemacht worden | |
sind", sagt Kirchner. | |
Es ging um Delikte wie Förderung der Prostitution, Schutzgelderpressung, | |
Menschenhandel. Doch zu einem Verfahren kam es nie. Immer wenn die Polizei | |
eine Razzia machte, waren die illegalen Prostituierten aus Osteuropa | |
plötzlich weg. | |
Andererseits beobachtete Kirchner, wie Staatsanwälte bei Prostituierten | |
verkehrten, wie sie Bordell-Besitzerinnen, die im Gefängnis saßen, übers | |
Wochenende eine Ausgangserlaubnis beschafften. Es habe geheißen, "wenn du | |
dem einen umsonst bläst, gibts später keinen Ärger", sagt Kirchner. Die | |
Staatsanwälte gaben an, selbst verdeckte Ermittlungen zu führen, doch zu | |
einer Anklage führten diese Ermittlungen nie. | |
Erst vor zwei Wochen wurde der niedersächsische Polizeichef Christian Grahl | |
zwangsversetzt, weil herauskam, dass er seinen Geburtstag in einer Bar | |
gefeiert hat, die Hells Angels-Chef Hanebuth gehörte. Hanebuth hat in | |
Hannover beste Kontakte, sein Anwalt ist Götz von Fromberg, ein Freund von | |
Gerhard Schröder. Fromberg war mal Präsident des Fußballclubs Hannover 96, | |
seine Herrenabende sind in Hannover ein gesellschaftliches Ereignis. Zu den | |
Gästen gehört auch Hanebuth. | |
"Ich bin da wohl einigen zu nahe getreten", sagt der Mann, der einmal | |
Kirchner war. Er sitzt auf einer winzigen Terrasse, die schreiend rot | |
gefliest ist, seine Ehefrau spricht mit russischem Akzent und serviert | |
Pferdewürste und Kartoffelsalat. | |
Später wird sie Kaffee bringen, Kirchner trinkt ihn mit viel Süßstoff. | |
Seine Hand greift in die Tasche seines weißen Hemdes und holt Zigaretten | |
raus, Rothändle ohne Filter. Er sagt, 200 Euro im Monat gingen für | |
Zigaretten drauf. Wenn man auf Hartz IV ist, bleibt da nicht mehr viel. | |
In seinem früheren Leben hatte Bernd Kirchner auf großem Fuß gelebt. Als | |
Bauunternehmer in Kiel, da war er nicht mal 30, feierte er seinen | |
Geburtstag in einem Bordell, "nicht um zu ficken, einfach so". Sein Pool, | |
sagt Kirchner, sei 120 Quadratmeter groß gewesen, seine Freunde zahlreich. | |
In einem Jahr, als es ihm besonders gut ging, kaufte er zwei Mercedesse auf | |
einen Schlag, einen für sich und einen für seine Frau. Der Verkäufer, der | |
ihn nicht kannte, wollte ihm die Autos nicht gleich mitgeben. Kirchner rief | |
den Chef an, der kannte ihn. "Dem Verkäufer war das sehr peinlich", sagt | |
Kirchner und lehnt sich zurück. | |
Wenn er jetzt auf seiner Terrasse sitzt, das Hemd etwas zu weit | |
aufgeknöpft, die Brille in die Stirn geschoben, blickt er auf eine | |
Windmühle und zwei Dinosaurier-Figuren, um die Wäscheleinen streichen die | |
Katzen. "Mietz mietz", sagt der Mann, der einmal Kirchner war. | |
"Diese Katzen", sagt er und schüttelt den Kopf. Die schwarz-weiß Gefleckte | |
da hinten, im Nachbargrundstück, sei eine Killerkatze. "Die beißt alle | |
tot." Alle Katzen. | |
In Hannover gab sich Kirchner als Zuhälter aus dem Ruhrgebiet aus, seine | |
Freunde waren Kiezgrößen wie der Bordellbesitzer Marcel R. Auf Staatskosten | |
fuhr V-Mann Kirchner zweimal nach Gran Canaria, zu einem Treffen von | |
Rotlichtgrößen und Geschäftsleuten in einem Luxushotel, abends nahm er | |
mehrere Prostituierte mit aufs Zimmer. "Musste ich ja, die dachten ja, ich | |
bin ein Zuhälter." | |
Dass Kirchner als V-Mann ausgedient hatte, merkte er daran, dass plötzlich | |
gegen ihn selbst ermittelt wurde - wegen Verdachts auf Vergewaltigung, | |
Zuhälterei, Menschenhandel. Es waren dieselben Delikte, denen Kirchner auf | |
der Spur war, als V-Mann steckte er mitten in dem Sumpf, den er bekämpfte. | |
Kirchner sagte, alles sei mit seinen Führungspolizisten abgesprochen | |
gewesen. Die Staatsanwaltschaft glaubte ihm nicht. Zwei Jahre später sprach | |
ihn das Landgericht Hannover vom Vorwurf der Vergewaltigung frei, die | |
anderen Verfahren wurden gegen Auflagen eingestellt - wegen "geringfügiger | |
Schuld". | |
Seitdem wartet der Mann, der einmal Bernd Kirchner war, auf seine | |
Rehabilitierung. Die erste Wohnung, in der man ihn unterbrachte, sollte in | |
München sein, doch es wurde ein Dorf 50 Kilometer davor. Am Anfang, sagt | |
Kirchner, habe er noch nicht mal einen neuen Ausweis gehabt, eine neue | |
Biografie lasse bis heute auf sich warten. | |
Bis heute streitet Kirchner mit dem Polizeipräsidium Hannover über | |
ausstehende Erfolgshonorare. Die Polizeiführung sagt, so toll seien | |
Kirchners Informationen nicht gewesen. Die Polizisten, denen Kirchner | |
berichtete, haben dem vor Gericht widersprochen. | |
Kirchner erhebt sich schwerfällig und greift nach dem Futternapf, die | |
Katzen warten. Er habe Anzeige gegen den Polizeipräsidenten von Hannover | |
gestellt, sagt er. Nicht in Hannover, das sei sowieso aussichtslos, sondern | |
bei der Polizeidienststelle an seinem jetzigen Wohnort. "Darin schreibe | |
ich, dass der Polizeipräsident lügt." | |
Die Polizei habe ihm versprochen, die Anwaltskosten bei seinen Prozessen zu | |
übernehmen, sagt Kirchner, das könne er beweisen, darüber gebe es Akten. | |
Sowohl der alte als auch der neue Polizeipräsident hätten diese Abmachung | |
bestritten. Also würden sie lügen. | |
Vergeblich hat Kirchner in den letzten Jahren um seine Ehre gekämpft, er | |
hat Briefe geschrieben und Petitionen eingereicht. Mit der Anzeige hofft | |
er, eine Reaktion auszulösen. "Ich hoffe, dass es zu einem Prozess kommt", | |
sagt er. Dann könnte er es endlich allen beweisen. Dass er recht hat, und | |
die Polizeiführung in Hannover unrecht. Dass ihm übel mitgespielt wurde, | |
weil er zu viel wusste. | |
Bevor er als V-Mann anheuerte, machte Kirchner Geschäfte im großen Stil. | |
Riesige Lagerflächen habe er angemietet, ganze LKW-Ladungen in den Osten | |
vertickt. Kirchner schaut von seiner Terrasse in den winzigen Garten, über | |
den sich die Dunkelheit senkt. "Wenn ich noch mal was mache, dann nur | |
international", sagt er versonnen. | |
Bis dahin bleibt ihm nur, die Katzen zu füttern. Und wenn die Sonne | |
untergegangen ist, kommen die Igel. Die füttert er auch. | |
23 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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