# taz.de -- P-Funk-Pionier George Clinton auf Tour: Reißt das Dach ein! | |
> Der große afroamerikanische Zeremonienmeister George Clinton tourt durch | |
> Europa. Für sein einziges Konzert in Deutschland landete er in Berlin. | |
Bild: Trug das Haar früher gern regenbogenfarben: P-Funker George Clinton. | |
Es geht also auch ohne Raumschiff. Eigentlich sprengt die Musikwelt von | |
George Clinton ja in der Regel die Grenzen einer schlichten Konzertbühne, | |
doch für dieses Mal musste eine Handvoll Kostüme genügen. Der Begründer des | |
P-Funks, des psychedelischen Weltraum-Funks, war am Donnerstag nach Berlin | |
ins Astra Kulturhaus gekommen, um seine verschwisterten Bandprojekte | |
Parliament und Funkadelic noch einmal der Öffentlichkeit zu präsentieren. | |
Deren Inszenierung fiel um einiges nüchterner aus als früher, | |
regenbogenfarbene Haare oder überdimensionierte Sonnenbrillen waren diesmal | |
nicht im Angebot. | |
So war der Meister selbst unauffällig in ein ausladendes Gewand in | |
gedeckter Farbe gehüllt, einen schlichten Hut trug er auf dem Kopf, später | |
kam ein roter Mantel hinzu, das musste genügen. Äußerlichkeiten sind jedoch | |
insbesondere bei Parliament kein bloßes Showelement, sondern sichtbarer | |
Ausdruck einer afrofuturistischen Erzählung, mit der Clinton seine | |
politischen Botschaften übermittelt: Er und seine Mitstreiter waren | |
"Aliens" qua Hautfarbe, die mit ihrem Funk eine rockdominierte weiße | |
Mehrheitsgesellschaft seit Ende der sechziger Jahre untergruben. Ihre | |
Liveshows zelebrierten diese Andersheit extravagant, als Exzess im Namen | |
der Feier und der Selbstbestimmung. | |
"Free Your Mind - and Your Ass Will Follow" lautet der Titel eines | |
Funkadelic-Albums, mit dem sich Clinton als Befreiungsdenker in die | |
Tradition des Philosophen Baruch Spinoza stellt: Geistige Freiheit hat, so | |
der übereinstimmende Gedanke, immer auch eine körperliche Seite. P-Funk ist | |
daher nicht bloß Party um ihrer selbst willen, vielmehr steht sein | |
Hedonismus im Zeichen eines erstarkenden schwarzen Bewusstseins, das sich | |
im Tanz sichtbar manifestiert. Gut, Drogen mögen ebenfalls eine Rolle | |
gespielt haben. | |
## Im Hintergrund agieren | |
Passenderweise wurde im Publikum - vorwiegend weiß, männlich und über 30 - | |
kräftig gekifft, während das zu großen Teilen mit neuen Musikern besetzte | |
Funk-Kollektiv auf der Bühne des Berliner Astra ein mehr als solides | |
Best-of-Programm mit Klassikern beider Bands bot. Bei den | |
Parliament-Nummern dominierte traditionsgemäß der ins leicht Hysterische | |
spielende Funk mit rund fünfzehn Parlamentariern im Paralleleinsatz, die | |
Funkadelic-Titel stammten hauptsächlich aus der psychedelischen | |
Funk-Rock-Phase und dienten in ihrer kammermusikalischen Rockbandbesetzung | |
der bedröhnten Besinnung. | |
Neben dem etwas im Hintergrund agierenden Clinton - er ist immerhin schon | |
70 - konnte man einige seiner Mitstreiter von früher in Bestform erleben, | |
wie den Gitarristen Michael Hampton mit dem Funkadelic-Evergreen "Maggot | |
Brain", einem zehnminütigen Gitarrensolo, dessen hypnotische Wirkung | |
lediglich durch den etwas zu dominant losdreschenden Schlagzeuger | |
beeinträchtigt wurde. | |
Clinton selbst sang nur vereinzelte Gesangslinien und überließ das | |
Geschehen weitgehend seinen Kollegen. Oft gerierte er sich wie ein stummer, | |
fröhlicher Zeremonienmeister, der dem Publikum mit deutlichen Gesten zu | |
verstehen gab, wenn es den Einsatz einzelner Musiker mit verstärktem | |
Applaus bedenken sollte. | |
Das war durchaus hilfreich, denn die meiste Zeit waren so viele P-Funker | |
zugleich unterwegs, dass man ihnen allen ohnehin kaum hätte gerecht werden | |
können. Neues Material gab es keines, war aber auch nicht nötig. Die alten | |
Songs - von "Flash Light" über "Give Up the Funk (Tear the Roof Off the | |
Sucker)" bis zu "One Nation Under a Groove" - hatten so viel Kraft, als | |
wäre das Mothership gerade erst gelandet. Wer weiß, ob es noch einmal | |
wiederkommt. | |
25 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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