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# taz.de -- Behindertensportler des Jahres: Ein Opfer für ein anderes Leben
> Trotz seines Karriereendes im Frühjahr wird Gerd Schönfelder wieder zum
> Sportler des Jahres gewählt. Es ist eine Würdigung für eine imposante
> Gesamtbilanz.
Bild: Verdiente Ehrung: Der Skifahrer Gerd Schönfelder ist der erfolgreichste …
KÖLN taz | Seinen rechten Arm hat der Zug weggerissen. Anschließend haben
die Räder die Finger seiner linken Hand abgetrennt. Nur der linke Arm und
der linke Daumen sind Gerd Schönfelder geblieben. Und sein Humor.
"Der ist der Einzige, der profitiert hat", sagt er und hält seinen
Zeigefinger hoch. Früher war das der zweite Zeh seines linken Fußes. Heute
macht er möglich, dass Schönfelder die Trophäe, die er gerade als
Behindertensportler des Jahres 2011 bekommen hat, festhalten kann. Der
Finger? Der Zeh? Schönfelder überlegt kurz. "Inzwischen Finger", sagt er,
"ich habe ihn als Finger adoptiert."
Weil er mit dem rechten Arm und den vier Fingern seiner linken Hand auch
die Fähigkeit verloren hätte, zu greifen, wurde sein Zeh vom Fuß an die
Hand versetzt. Sogar Golf spielen könne er damit, sagt der 40-Jährige aus
dem oberpfälzischen Kulmain. Er strahlt. Seine neue Leidenschaft steht
fest.
Bis zum Frühjahr war Gerd Schönfelder Skirennläufer, doch nach der letzten
Saison beendete er seine Karriere. Er hat an sechs Paralympischen Spielen
teilgenommen und dort 16 Goldmedaillen gewonnen, damit ist er der
erfolgreichste deutsche Paralympics-Athlet.
Er wurde auch 14-mal Weltmeister. Und am Samstagabend ist er im Sport- und
Olympiamuseum in Köln zum dritten Mal zum deutschen Behindertensportler des
Jahres gekürt worden. Weil er bei der WM 2011 noch zweimal Gold, dreimal
Silber und einmal Bronze geholt hatte. Aber wohl auch als Anerkennung für
seine beeindruckende Gesamtbilanz als Behindertensportler.
Veranstaltet wird die Wahl alljährlich vom Deutschen
Behindertensportverband (DBS), abgestimmt wird öffentlich via Internet.
Schönfelder setzte sich in der Endauswahl gegen den sehbehinderten
Schwimmer Daniel Simon und den beinamputierten Leichtathleten Heinrich
Popow durch. Der 100-Meter-Weltmeister aus Leverkusen beschreibt den
Wintersport-Kollegen ganz ohne Neid als "ziemlich entspannt, immer
fröhlich, sehr nett".
## "Ich wollte beweisen, dass ich noch was drauf habe."
An dem Tag, als er seinen Arm und seine Finger verlor, war Gerd Schönfelder
19 Jahre alt. Er war ausgebildeter Elektrotechniker, spielte Fußball und
fuhr Ski. Es war ein Montag. Zwei Tage vorher, am Samstag, hatte
Schönfelder sich wieder in der Schule angemeldet. Er wollte das Abitur
nachholen und Sportlehrer werden. Der Unfall änderte alles. Schönfelder war
spät dran und wollte auf einen anfahrenden Zug aufspringen. "Das hat halt
nicht so geklappt", sagt er heute.
Bald danach spielte er schon wieder mit seinen Kumpels Fußball. "Mitleid
wollte ich nicht haben. Ich wollte beweisen, dass ich noch was drauf habe",
erzählt er. Der Unfall passierte 1989. Menschen mit einem Handicap, die
Spitzensport treiben, waren noch eine Randerscheinung.
Internet gab es für den Durchschnittsbürger nicht. Es sei also absoluter
Zufall gewesen, betont Schönfelder, dass er in seiner Rehabilitationszeit
auf einen Zeitungsartikel über den Behindertenskisportler Alexander Spitz
stieß. Spitz fuhr sehr erfolgreich Skirennen auf einem Bein, und
Schönfelder dachte sich: Was der kann, kann ich schon lange.
## Profisportler seit dem Jahr 2002
Er wurde zum dominierenden Abfahrer in der stehenden Klasse. Er schaffte
es, einen Pool an Sponsoren davon zu überzeugen, ihn zu unterstützen. Nach
den Paralympics von Salt Lake City 2002 wurde er Profisportler. Inzwischen
arbeitet er als Trainer, als Motivations-Coach, als
Sportmarketing-Fachmann. Und: Heute kann er mit links schöner schreiben als
früher mit rechts.
"Ich habe meinen Arm geopfert für ein anderes Leben", sagt Schönfelder.
"Ich würde es nicht mehr ändern wollen, ich glaube nicht, dass es dann
besser wäre." Überhaupt, behindert, was sei das denn? "Behindert ist, wenn
ich eingeschränkt bin in dem, was ich tun möchte."
Seine grünen Augen leuchten, das dunkelblonde Haar fällt ihm verwegen ins
Gesicht. "Ich fühle mich nicht behindert", sagt Gerd Schönfelder. "Das
schaut schlimmer aus, als es ist. Das Leben ist immer noch geil. Ich kann
alles machen, was ich machen will." Skifahren sowieso. Und sogar Golf
spielen.
27 Nov 2011
## AUTOREN
Susanne Rohlfing
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