# taz.de -- Kunst in Istanbul: Barometer für imperiale Macken | |
> Kann das alles Zufall sein? Nicht nur die türkischen Großmachtinteressen | |
> wachsen, auch die Istanbuler Kunstmesse boomt in diesem Jahr. | |
Bild: Geschleifte Bastion der Kemalisten: "Leaving the Citadel" von Mehmet Gül… | |
ISTANBUL taz | The Empire Project, die Galerie in dem heruntergekommene | |
Eckhaus vis-à-vis von Istanbuls zentralem Taksimplatz, sieht nicht so aus, | |
als ob man von hier auszöge, ein Weltreich zu erobern. Der Fahrstuhl ist | |
zerbeult, die Marmortreppe schiefgetreten. | |
Doch das neu gegründete Kunsthaus im ersten Stock hat sich etwas | |
vorgenommen, das offenbar in der Luft liegt. Mit dem Versuch, Kunst aus | |
Staaten zu zeigen, die einst "auf den imperialen Platz, den wir heute | |
Istanbul nennen", ausgerichtet waren, wirkt die Galerie des progressiven | |
türkischen Kurators Kerimanc Gülerüyüz wie ein ästhetisches Pendant zu den | |
Großmachtambitionen des türkischen Premiers Erdogan. | |
Zwar lässt sich die privatwirtschaftliche 6. Internationale Kunstmesse | |
Contemporary Istanbul (CI), die am Wochenende im | |
Lütfi-Kirdar-Kongresszentrum zu Ende ging und bei der auch The Empire | |
Project teilnahm, nicht umstandslos als Barometer für die imperiale Macke | |
der Regierung nehmen. | |
Doch es war mehr als Zufall, dass CI-Generalkoordinator Hasan Bülent | |
Karaman zur Eröffnung der "New Art Destination" Istanbul als "Hauptstadt | |
dreier Imperien" pries. Und der britische Entrepreneur Stephen Stapleton, | |
Gründer einer Initiative zur Promotion saudi-arabischer Kunst namens "Edge | |
of Arabia", in der Messe-Zeitung Istanbul zu einem "ideologischen Zentrum" | |
erhob. | |
## Auf dem Weg zur Schwellenmacht | |
Dazu schien die Expansion der bislang eher unbedeutenden Schau zu passen: | |
Die Ausstellungsfläche wurde auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt, 90 | |
Galerien präsentierten rund 3.000 Kunstwerke von über 500 Künstlern, es gab | |
kuratierte Sonderschauen und jede Menge cooler Partys. Und mit dem | |
Luxemburger Galeristen Stephane Ackermann wurde erstmals ein künstlerischer | |
Direktor berufen. | |
Gemessen an den etablierten Altimperien Basel, Paris oder Dubai ist der | |
Newcomer Istanbul trotzdem noch auf dem Weg zur Schwellenmacht. Sieht man | |
von dem diesjährigen Schwerpunkt "Golfstaaten" und ein paar Galerien aus | |
Teheran ab, suchte man solche aus Aserbaidschan, dem Libanon oder Ägypten | |
vergebens - den Ländern, die die Messe eigentlich an sich binden will. | |
Auch die Gegenwartskunst widersetzte sich zum Glück allen | |
Großmachtfantasien. Sie bringt die nationalistisch erzogenen, aber immer | |
neugierigeren türkischen Mittelschichten oft nur auf den globalen | |
Geschmack: meist den der Abstraktion atlantischer Prägung. Es erinnert an | |
Gerhard Richter, wie Ahmet Oran auf seinen noch nassen Ölbildern die | |
übereinandergelegten Farbschichten wieder freikratzt (Rampa). | |
Bestenfalls spiegelt sie die rasanten Umbrüche in ihrem Land wider. Auf | |
seinem jüngsten Werk "Leaving the Citadel" lässt der 1938 geborene Maler | |
Mehmet Güleryüz einen General der türkischen Armee mit gekrümmten Rücken | |
die jüngst geschleifte Bastion der Kemalisten herabsteigen (The Empire | |
Project). | |
## Imperium der Vielfalt | |
Wenn die Kunst ein Imperium formt, dann eines der Vielfalt. Am tiefsten | |
wurzelt diese Machtskepsis bei Künstlern aus dem Iran. Auf Ahmad | |
Morshedloos mit Kugelschreiber auf Karton gemalter Bilderserie | |
"Estrangement" aus diesem Jahr steht eine in stummem Schrecken erstarrte | |
Menschenmenge, vor deren Gesichtern die Beine Erhängter baumeln | |
(Assar/Teheran). Und in den Umbruchzonen rund um das Mittelmeer und der | |
Arabischen Halbinsel schlummert ein radikaler Reflexionswille jenseits | |
jeden Orientkitschs. | |
Auf dem Bild "Evolution of Man" des arabischen Bloggers und Malers Ahmet | |
Mater zielt eine skelettartige Figur mit dem Stutzen einer Benzinzapfsäule | |
auf den eigenen Kopf. Mit ihrer Energiepolitik, das zeigt ausgerechnet ein | |
Künstler aus dem Ölimperium Saudi-Arabien, bringt sich die Menschheit | |
irgendwann selbst um (Edge of Arabia/London). Und wer empire-building immer | |
noch für ein geostrategisches Sandkastenspiel hält, den belehren die | |
Fotografien von Richard Mosse eines Besseren. Der britische Fotograf hat | |
Guerilleros in dem vom Bürgerkrieg ruinierten Kongo nachgespürt (The Empty | |
Quarter/Dubai). | |
Was von den meisten Imperien am Ende bleibt, ist auf Ceren Oykuts | |
Zeichnungen "Property for sale" zu sehen. Der "imperiale Platz" Istanbul | |
ist da nur noch eine von Vegetation überwucherte Ruinenlandschaft | |
(ArtSümer/Istanbul). Eine Aussicht, die den Vorschlag des türkischen | |
Politkünstlers Extramücadele nur um so plausibler macht. | |
In seiner neuesten Arbeit hat er aus Blättern der Bougainvillea ein Symbol | |
geformt, das den muslimischen Halbmond und das christliche Kreuz | |
kombiniert. Sein Werk mit dem Titel "The Horizon of unreturnable night" | |
wirbt für eine "Ägäische Republik" (Non/Istanbul). Für 7.000 Euro machte | |
man mit dieser bunten Alternative zu einem neuen Imperium ein wirklich | |
gutes Geschäft. | |
28 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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