# taz.de -- Hexenprozess in Bayern: Dem Teufel verschrieben | |
> Vor allem Kinder waren die Opfer eines der letzten deutschen | |
> Hexenprozesse. Über Rainer Becks große Studie "Mäuselmacher oder die | |
> Imagination des Bösen". | |
Bild: Ausschnitt aus dem Bild "Der Hexensabbat", Kupferstich von Michael Herr, … | |
"Mäuselmachen", Mäuse zaubern, das klingt harmlos, fantasievoll und naiv | |
bayerisch. Doch vor knapp 300 Jahren musste im oberbayerischen Freising, | |
wer es zu können behauptete, mit dem Leben bezahlen. | |
Denn "Mäuselmachen" wurde dort nicht als Hirngespinst abgetan. Es stand für | |
verbotene Zauberei, Verbindung mit dem Bösen, Teufelspakt. Und es bildet | |
als Gerücht von einem Ereignis den Anfang einer Geschichte, die den | |
Historiker Rainer Beck nicht mehr losgelassen hat. | |
Die Geschichte eines der letzten Hexenprozesse im auf deutschem Boden zog | |
sich über Jahre hin und kostete etliche Freisinger Kinder und Jugendliche | |
das Leben. Beck hat Vernehmungsprotokolle und Dokumentationen gesichtet, | |
die fast drei Jahrhunderte lang unbeachtet im Bayerischen Hauptstadtarchiv | |
München lagen und für seine Studie "Mäuselmacher oder die Imagination des | |
Bösen" aufgearbeitet. | |
Dahinter steckt nicht weniger als der Anspruch, "so etwas wie eine | |
Kulturgeschichte zu schreiben: die Kulturgeschichte einer süddeutschen | |
katholisch-konfessionellen Gesellschaft am Vorabend der Aufklärung." | |
1.000 Seiten umfasst der Wälzer, in dem Beck die Details des Verfahrens, | |
das von 1715 bis 1723 im katholischen Erzbistum Freising geführt wurde, | |
beleuchtet. Die Beschuldigten sind nicht etwa die "üblichen" Verdächtigen: | |
in die Jahre gekommene, allein lebende, rothaarige Frauen, denen dämonische | |
Machenschaften nachgesagt werden. | |
## Die Kinder werden gefoltert | |
Die vermeintlichen Teufelsbündner des Freisinger Hexenprozesses sind meist | |
Kinder, Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, die die Pubertät oft noch nicht | |
erreicht haben. Sie werden eingesperrt und verhört, immer wieder befragt, | |
massiv unter Druck gesetzt, gefoltert. Beck zitiert aus den Protokollen, | |
die fantasievollen Kindergeschichten von Hexentänzen und Begegnungen mit | |
dem Teufel in seinen verschiedenen Tier- und Menschengestalten. | |
Oft sind diese "Geständnisse" Ergebnisse des Drohens und der Folterbank. | |
Kaum einer der Inquisiten kann widerstehen und bei seinen | |
Unschuldsbehauptungen bleiben. Beck zitiert Akten des Freisinger | |
Amtshauses, die die Inhaftierten gegen Ende der ersten Prozessphase um 1717 | |
als "immer widerwärtiger und verwirrter" beschreiben - für einige bleibt | |
Selbstmord der einzige Ausweg. | |
Unter Anleitung der Inquisitoren erfanden die Kinder Geschichten von | |
skurrilen Orgien mit dem Teufel und seinem Gefolge, behaupteten (kindliche) | |
homosexuelle Praktiken sowie die Schändung christlicher Symbole. Durch | |
Becks mikroskopische Arbeit werden die Aussagen in ihren damaligen | |
soziokulturellen, historisch katholischen Kontext eingebettet und | |
entmystifiziert. | |
Beck rekonstruiert die traditionelle Wirklichkeit Anfang des 18. | |
Jahrhunderts in einer Stadt von 3.000 Einwohnern, in der das Böse in | |
Gestalt der Kirche sein Unwesen treibt und jeden herausfordert, der sich | |
nicht mit allen - wiederum katholischen - Mitteln dagegen zu wehren weiß. | |
Über den Wahrheitsgehalt von Teufelsgeschichten lässt sich schlecht | |
streiten, doch über die Rekonstruktion des Freisinger Hexenprozess gelingt | |
es Beck, ein umfassendes Bild der vormodernen Wirklichkeit auf deutschem | |
Boden zu zeichnen. Hier war noch keine Aufklärung in Sicht. | |
## Acht Jahre dauert der Prozess | |
Die Komplexität des Prozesses mit seinen vielen minderjährigen Opfern, den | |
verschiedenen Fortsetzungen und Wiederaufnahmen macht Becks Buch zu einer | |
nicht eben leichten Kost. Doch der wissenschaftliche Blick und die vielen | |
Exkurse werden getragen von einer mitreißenden Leidenschaft für das | |
historische Material und eine teilweise rührende Empathie mit den | |
Protagonisten. | |
Beck zitiert gekonnt aus den Quellen. So kommen die Freisinger | |
"Malefikanten" oft zu Wort. Vom "Deifl" ist in ihren Äußerungen die Rede. | |
"Hab's nit getan", versuchen sie verzweifelt in den Verfahren zu | |
überzeugen. Erst nach acht Jahren, im Jahre 1723, kommt der Prozess zu | |
einem Ende. Nach und nach, aber doch recht zügig, werden Inhaftierte auf | |
Anweisung des Hofrats entlassen, die mit gleichen Vorwürfen belastet waren | |
wie die eben erst Hingerichteten. | |
Die Beendigung des Verfahrens eilt, denn ein Jahr darauf steht die | |
1.000-Jahr-Feier des Bistums Freising an, das sich durch die Herrschaft | |
angesehener Bischöfe und die Förderung von Kunst und Bildung einen Namen | |
gemacht hat. Einen laufenden Hexenprozess, den Teufel in der eigenen Stadt, | |
kann man sich da schlichtweg nicht mehr leisten. Mit dem Ende des Prozesses | |
endet auch Becks Studie, wenn auch etwas schleppend und langsam. | |
Schleppend und langsam neigte sich auch die vormoderne katholische | |
Gesellschaft Mitte des 18. Jahrhunderts - zumindest in den städtischeren | |
Regionen - ihrem Ende zu. Das mächtige Fürstbistum Freising fällt um 1800 | |
der Säkularisation zum Opfer, worauf der Ausgang des Prozesses eine leise | |
Vorahnung zu geben scheint. | |
Rainer Beck hat ohne Zweifel eine Kulturgeschichte ersten Ranges | |
geschrieben, eine, die vor allen Dingen auch der Perspektive der Kinder | |
einen großen Platz einräumt. | |
29 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Carla Baum | |
## TAGS | |
Hexenverfolgung | |
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