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# taz.de -- Schlechte Aussichten für Ghanas Fischer: Das "Sha-ba-do-ga" verstu…
> Über 550 Kilometer erstreckt sich Ghanas Küste. Zahlreiche Fischerdörfer
> gibt es an dem Küstenstreifen. Doch statt Fischer wohnen dort immer mehr
> Freizeitler.
Bild: Fischerboote am Strand: Ein Bild, das zunehmend der Vergangenheit angehö…
David Buabasah steht am Bug seines Kanus und gibt den Takt vor. Jedes Mal,
wenn eine Welle angerauscht kommt und die Brandung das Boot weiter an Land
spült, ruft er: "Sha-ba-do-ga!". Zwanzig abgerissen aussehende Männer
antworten im Chor: "A-way!" und stemmen ihr ganzes Gewicht in ein dreißig
Meter langes Seil. Es ist eine alltägliche Szene, neun Uhr morgens am
Strand von Ningo: Die Fischer sind heimgekehrt und bringen die Kanus an
Land.
Das "Shabadoga! - Away!" ist ihr Arbeitsrhythmus. Schon seit Jahrhunderten
ist das so. Aber wie lange wird er noch ertönen an Ghanas Küste, der
Schlachtruf der Fischer?
Über 550 Kilometer erstreckt sich Ghanas Küste. Wie auf einer Perlenkette
aufgezogen reihen sich die Fischerdörfer an dem Küstenstreifen. Laut einer
Studie der Vereinten Nationen sind es 189. Die meisten von ihnen sehen
malerisch aus und sind bettelarm - so auch Ningo, wo David seit fünf
Monaten lebt.
In Ningo gibt es einen Palmenhain, eine Lagune, bunt bemalte Pirogen und
zusammengeflickte Holzhütten - ohne Strom und fließend Wasser. Da Accra nur
70 Kilometer entfernt ist, kommen viele Hauptstädter über das Wochenende
her. Am Strand schießen die Ferienhäuser wie Pilze aus dem Boden.
David Buabasah, 27 Jahre alt, eine Schmucknarbe auf der rechten Wange und
Hände so rau wie Schmirgelpapier, fährt, seit er 18 ist, zur See. Wie auch
schon sein Vater und sein Großvater. Etwas anderes als fischen kann David
nicht. Dennoch sagt er: "Manchmal frage ich mich, ob das alles überhaupt
noch Sinn macht."
Die Zeiten sind schwerer geworden für die Fischer. Immer weiter müssen sie
rausfahren, immer weniger fangen sie. Schuld sind die Trawler, die sich im
Golf von Guinea tummeln. Mit ihren Schleppnetzen plündern sie die
Fischgründe und zerstören so die Lebensgrundlage der Kleinfischer.
Rund 75 Trawler sollen zurzeit durch ghanaische Gewässer kreuzen. Sie
kommen aus China, Korea oder der EU. Viele von ihnen fischen illegal. Das
heißt, sie missachten Schutzzonen, überschreiten Fangquoten und segeln
unter Billigflaggenländern wie Panama oder den Bahamas, um internationale
Fischereiabkommen zu umgehen. Laut einer Studie des britischen Thinktanks
MRAG verursacht illegales Fischen in Ghana jeden Tag einen Schaden von
100.000 Dollar.
David versucht, sich ein Lächeln abzuringen, als er seinen Fang
begutachtet. Doch die Enttäuschung steht ihm unübersehbar ins Gesicht
geschrieben. Die ganze Nacht war er mit seinem Kanu draußen, einer
Nussschale mit Außenbordmotor, mehr als 20 Seemeilen von der Küste
entfernt, neun Stunden lang.
"Es war ein schlechter Tag", sagt David. Gefangen habe er nicht viel.
Lediglich ein paar Red Snapper, einen Hummer und jede Menge Kleinfisch -
Makrelen, Sardinen, Anchovis. Den Frauen, die sich um David scharen, ist
das herzlich egal. Sie kaufen, was sie kriegen können.
Nachdem David auch die letzten zwei Sardinen verkauft hat, schreibt er eine
große 52 in sein Notizbuch und unterstreicht sie doppelt. 52 Ghana Cedi,
hat er heute verdient. Das sind ungefähr 26 Euro. "Mit dem Dreifachen wäre
ich zufrieden gewesen", sagt David.
## Nur ein Dollar am Tag
Dann zahlt er die sechs Fischer aus, die gemeinsam mit ihm zur See fahren -
auf seinem Kanu. Sie treten ihm dafür ein Fünftel ihres Fangs ab, er
bezahlt das Benzin. Das ist der Deal. Von der großen 52 in seinem Notizbuch
bleiben David unter dem Strich 8 Ghana Cedi. Damit geht es ihm besser als
vielen anderen Ghanaern.
Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 1 Dollar pro Tag. Doch 8
Ghana Cedi sind nicht viel, wenn man davon seine Frau und seine zwei
kleinen Kinder ernähren muss. Und das, was übrig bleibt, schickt David
seinen Eltern nach Hause. Zwei Millionen Menschen leben in Ghana von der
Fischerei, das ist jeder zwölfte. Die meisten sind Verkäufer,
Mittelsmänner, Großhändler oder Bootsbauer. Nur 150.000 arbeiten als
Fischer.
David und seine Familie wohnen zur Miete in einem 8 Quadratmeter großen
Raum. Man sieht gleich: Sie sind auf der Durchreise. Die Wände sind
unverputzt, in der Ecke stehen zwei zusammengerollte Schlafmatten aus Bast,
ein paar Koffer und der Außenbordmotor. Es ist die spartanische Behausung
eines Mannes, der nach Ningo gekommen ist, um hier zu arbeiten. Fischen, um
zu leben. Irgendwie.
David fischt noch genau so wie sein Großvater: auf einer zehn Meter langen
Piroge und mit Muskelkraft. Es hat sich wenig verändert, seitdem die Briten
vor 50 Jahren Außenbordmotoren einführten. Fischen in Ghana ist ein
Handwerk geblieben.
Die Trawler hingegen, die in den Hochseehäfen von Tema oder Takoradi vor
Anker liegen, sind schwimmende Fabriken. Mitunter sind sie monatelang auf
See, der Fisch wird gleich an Bord verarbeitet und in Dosen gefüllt, bereit
für den Export. Ausgerüstet sind die Trawler mit engmaschigen, bis zu 900
Meter tiefen Schleppnetzen, die Unmengen an Beifang produzieren. Darunter
Meerestiere, die unter Artenschutz stehen, wie Meeresschildkröten, Haie und
Rochen. Achtlos werden sie ins Meer zurückgekippt.
## Ein ungleiches Duell
Noch haben die Kleinfischer die Oberhand. 70 bis 80 Prozent des Fischs, der
in Ghana gefangen wird, stammt aus ihren Netzen. Doch die industrielle
Massenfischerei holt auf. Die Zahl der Trawler wächst im Gleichschritt mit
der Nachfrage nach Thunfisch und Shrimps in Europa und Asien.
Es ist ein ungleiches Duell. Tradition und Moderne prallen ungebremst
aufeinander. Zum Beispiel dann, wenn die Trawler in der Schutzzone der
Kleinfischer wildern. "Manchmal zerstören sie unsere Netze. Sie fahren
einfach drüber hinweg", sagt David.
## Die Heimat auf der Sandbank
Ursprünglich stammt David aus dem Osten Ghanas, aus Anloga, einem Dorf,
errichtet auf einer Sandbank zwischen der Keta-Lagune und dem Atlantik. Es
ist kein gutes Terrain für Fischer. Die See ist wild, und immer wieder gibt
es Überschwemmungen.
Davids Eltern leben noch immer dort. Die Jungen und Arbeitsfähigen aus dem
Buabasah-Clan haben jedoch alle das Weite gesucht. David war erst drei
Jahre in Nyanyano, im Westen Ghanas, dann ist er nach Ningo gekommen. "Weil
meine Cousins hier sind", sagt er.
Davids Cousins leben schon ein paar Jahre in Ningo. Dennoch sind sie Fremde
geblieben. Das liegt daran, dass sie zum Stamm der Ewe gehören. In Ningo
aber sind die Dangbe zu Hause. Zwei Stämme, zwei Sprachen und jede Menge
Ressentiments.
Für die einheimischen Fischer sind die Ewe Eindringlinge, die ihnen das
Geschäft verderben. Bevor die Buabasahs in Ningo fischen durften, mussten
sie eine Erlaubnis vom Chief Fisherman einholen. Der Preis: 60 Ghana Cedi
und zwei Flaschen Gin.
Chief Fisherman Nartey Adimai der Fünfte trägt einen blauen Kaftan und
sitzt den ganzen Tag auf seinem Stuhl neben der Tankstelle, an der er
Schiffsdiesel verkauft. Vor drei Jahren hat er das Amt von seinem Vater
geerbt. Selbst fischen muss er seitdem nicht mehr. Was er denn gegen die
Trawler ausrichten könne? Chief Nartey schweigt. Englisch spricht er nicht.
Dafür antwortet sein Sekretär: "Wenn wir einen Trawler dabei erwischen,
dass er unsere Netze zerstört, rufen wir bei der Regierungsstelle in Tema
an und melden sein Kennzeichen." Nach einer kleinen Pause fügt er an: "Aber
dann passiert meistens gar nichts."
Chief Nartey lächelt nur dumpf. Der Mann, der die Interessen von rund 1.000
Fischern vertritt, ist sprachlos. Eine Schule hat er nie besucht.
## Kontrollen sind selten
Vielen lokalen Autoritäten geht es so. Sie sind überfordert. Auch das ist
Teil des Problems. Schwerer aber wiegt, dass es keinerlei Restriktionen für
die Trawler gibt. Zwar müssen sie Lizenzen erwerben und bis zu 2 Millionen
Dollar Strafe zahlen, wenn sie beim illegalen Fischen erwischt werden, doch
eine Kontrolle gibt es nur auf dem Papier.
Die staatlichen Behörden sind unterbesetzt und unterfinanziert. Zuletzt
wurden im Dezember 2009 zwei chinesische Trawler unter Arrest gestellt.
Richster Nii Amarfio von der ghanaischen Umweltorganisation CSRM spricht
daher von einem "Open Access Marine Regime". Man könnte es auch einen
rechtsfreien Raum nennen. Es gilt das Recht des Stärkeren.
Am späten Nachmittag sitzt David am Strand von Ningo und flickt sein Netz.
Er redet davon, dass es sein Sohn einmal besser haben soll als er, und
davon, dass er ihn auf eine gute Schule schicken möchte. Auf dem Kanu, an
dem David mit seinem Rücken lehnt, steht in blauen Lettern auf gelbem
Untergrund "Fear Tomorrow".
Ob er denn die Zukunft fürchte? Manchmal mache ihm das, was komme, schon
Angst, gesteht er. Dennoch schmiedet der Fischer ohne Zukunft Pläne. Ab
Oktober wolle er auf das Nautica College in Tema gehen, sagt David. Und
dann Kapitän werden. Auf einem Trawler.
3 Dec 2011
## AUTOREN
Björn Stephan
## TAGS
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