# taz.de -- Ghanas Goldküste: Topadresse für weltsüchtige Volunteers | |
> Ghanas Hauptstadt Accra ist ein Ort, in dem man ohne Angst flanieren | |
> kann. An den Stränden gibt es in zahlreichen Bars auch tagsüber | |
> Disco-Feeling. | |
Bild: Die Festung Elmina, direkt am Meer gelegen, war früher ein Zentrum für … | |
Überall in Jamestown hängen handgemalte Plakate, die zu einem Konzert der | |
Band Wulomei im Club Papillon einladen. Ein Taxi, dessen Aktionsradius wohl | |
nicht weit über die Altstadt von Accra hinausreicht, setzt uns abends vor | |
dem unscheinbaren Hinterhof ab, auf ein Konzert deutet wenig hin. | |
Vielleicht sind wir zu spät? Auf dem, was die Bühne sein könnte, spielen | |
zwei Drummer, es scheint sehr voll zu sein - aber man sieht nicht viel, | |
weil gerade Stromausfall ist. | |
Die Gäste plaudern, trinken Club-Bier und beleuchten mit ihren | |
Mobiltelefonen die Teller, wenn das Essen kommt. Kurz nach Mitternacht geht | |
das Licht wieder an - und die knapp dreißig Bandmitglieder, deren gelbe | |
Hochmützen spektakulär abgefahren aussehen, setzen ihr Konzert fort. Ein | |
fantastisch eingespieltes Ensemble, das unter Beweis stellt, dass die | |
"Highlife"-Musik entweder in ihrer Heimat Ghana gerade eine Renaissance | |
erlebt - oder nie wirklich aufgehört hat, en vogue zu sein. | |
Immer mehr Leute kommen, die Mehrzahl scheint aus der Nachbarschaft, man | |
kennt sich. Einige Herren in coolen Anzügen mit Hut bemühen sich stilvoll | |
um die hübschesten Damen als Tanzpartnerinnen. Es swingt im Papillon" in | |
einer undefinierbaren Mischung aus afrikanischem Retro und urbaner | |
Gegenwart. | |
Accra ist eine Stadt, in der man tatsächlich wunderbar flanieren kann. | |
Während diese doch sehr europäische Urlaubsbeschäftigung in anderen | |
afrikanischen Metropolen als leichtsinniges oder äußerst wagemutiges | |
Unterfangen gilt, kann man sich in Ghanas Hauptstadt tagelang auf Märkten | |
verlieren, über nichtige und wichtige, glitzernde und nützliche Waren | |
staunen oder sich durch die Haupt- und Nebenstraßen einfach treiben lassen. | |
So man will, findet sich allenthalben eine Gelegenheit zum Gespräch oder | |
zum Verweilen. Hier eine Bar, dort ein Plätzchen im Schatten, vor allem | |
entlang der Küste, wo sich trefflich das Wochenende verbringen lässt. | |
Am Stadtstrand Labadi ist es jedoch oft so voll, dass man vor lauter | |
vergnügungshungrigen Menschen gar keinen "Liegeplatz" mehr bekommt. | |
Nun ist das Strandleben hier auch weniger auf Schwimmen und Lesen | |
ausgerichtet als darauf, wie in der Disco zu tanzen, ein Bierchen zu | |
zwitschern und neue Leute kennenzulernen. Touristen gehören ausdrücklich | |
dazu. Und an Touristen gibt es in Ghana inzwischen mehr, als man aus der | |
Ferne erwarten würde. | |
Ghana ist in letzten Jahren zu einer "Topdestination" für "Volunteers" | |
geworden: für all jene Menschen also, die aus persönlicher oder politischer | |
Motivation ein paar Wochen, Monate oder gar Jahre zumeist ohne Gehälter für | |
Hilfsorganisationen oder NGOs arbeiten - für Kost und Logis, mit ein wenig | |
vertraglich zugesicherter "Auszeit" zum Herumreisen. | |
## Neue Form des Bildungsurlaubs | |
Ob diese freiwilligen Arbeitsdienste in Afrika dann eher den jungen Damen | |
und Herren aus Europa und den USA bei der Persönlichkeitsbildung nützen - | |
oder den ghanesischen Schulkindern, Kranken oder verwaisten Babys | |
zugutekommen, darüber kann man unterwegs viele Meinungen hören. | |
Die meisten Ghanesen jedenfalls begegnen dieser neuen Form des | |
Bildungsurlaubs mit Toleranz und sind sich der Ursachen für die | |
Attraktivität ihrer Heimat sehr wohl bewusst. | |
Anders als in den meisten Nachbarländern ist die politische Lage in Ghana | |
relativ stabil, die Kriminalitätsrate vergleichsweise niedrig, das Klima | |
ist angenehm und Englisch Verkehrssprache - all das macht das Fehlen von | |
spektakulären touristischen Attraktionen, wie sie etwa Kenia oder das | |
südliche Afrika zu bieten hat, mehr als wett. | |
Unkompliziert und sogar mit relativ knappem Budget kann man in ganz Ghana | |
umherreisen, es gibt einen leicht durchschaubaren und recht gut | |
funktionierenden öffentlichen Nah-und Fernverkehr und zudem eine | |
erstaunliche Anzahl bezahlbarer Hotels, Pensionen, Unterkünfte, in manchen | |
bekommen Volunteers Vergünstigungen. | |
## Strände wie aus dem Bilderbuch | |
Eine der beliebtesten Routen führt von Accra aus entlang der "Gold Coast" | |
Richtung Westen, bis zur Grenze zur Elfenbeinküste. Die Region ist für ihre | |
Bilderbuchstrände - und für ihre dramatische Geschichte bekannt: Bereits in | |
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kamen Europäer hierher, um in den | |
vielen natürlichen Häfen erst mit Gold und Elfenbein, später mit Sklaven zu | |
handeln. | |
Für die weißen Sklavenhändler, die ab dem 15. Jahrhundert bis in das 19. | |
Jahrhundert Sklaven aus Afrika bezogen, um diese in ihren Kolonien in | |
Amerika einzusetzen, war die Existenz des innerafrikanischen Sklavenhandels | |
eine Voraussetzung. Sie konnten die Menschenware bei afrikanischen (und | |
arabischen) Sklavenhändlern und Herrschern einkaufen. Diese erhielten im | |
Gegenzug "Luxusgüter" wie Textilien und Nahrungsmittel aus Europa, Alkohol | |
und Feuerwaffen. | |
Alle paar Kilometer zeugen massive Festungen von dieser brutalen | |
Geschichte, mehr als dreißig Forts sind hier von der Unesco als | |
"Weltkulturerbe" restauriert worden. Elmina, die älteste und größte Anlage, | |
diente als Kulisse für mehrere Spielfilme und wird entsprechend oft | |
besucht. | |
Am Eingang zum Innenhof werden wir gebeten, die Besichtigung als Gruppe zu | |
machen. Unser Guide stellt sich als Kofi vor und zeigt uns, wo die Frauen, | |
wo die Männer gefangen gehalten wurden. Er erklärt, wie viele der Menschen | |
noch in Gefangenschaft starben, wie sich der Gouverneur von seiner Wohnung | |
im oberen Stockwerk im Hof Frauen aussuchen konnte, deren Kinder - so sie | |
schwanger wurden - aus der Sklaverei entlassen wurden, wie die Sklaven | |
durch die "Tür ohne Wiederkehr" auf die Schiffe verladen wurden. | |
Es ist eine merkwürdige Erfahrung, diese Stätten des Grauens zu | |
besichtigen. Es kämen fast nur Europäer, sagt Kofi bedauernd am Ende der | |
Tour zu uns, den Europäern. | |
## Eine Festung für Touristen | |
Im Butre, einem Dorf eine gute Tagesreise westlich von Elmina, wird derzeit | |
eine kleine Festung auf dem Berg restauriert - mit italienischen Geldern. | |
Der örtliche Touristenverband hofft mit der Fertigstellung auf mehr Gäste. | |
Denn bislang kommen nur so viele, dass man sie sehr persönlich betreuen | |
kann. | |
Wer Zeit hat, ein paar Tage zu bleiben, dem werden die Sehenswürdigkeiten | |
mit einem dramaturgisch brillanten Konzept enthüllt: heute die Kanufahrt im | |
Morgengrauen, morgen die Besichtigung der Schule, das Kiffer-Café, die | |
Schnapsbrennerei, die Nachtwanderung zu den Nestern, wo man mit etwas Glück | |
frisch geschlüpfte Schildkröten sehen kann. Erst ganz am Schluss, als | |
Höhepunkt, zeigt uns Toni dann das völlig verwilderte Fort Dorothea. | |
Obwohl direkt in Dorfnähe, hätten wir dieses Zeugnis des kläglich | |
gescheiterten Versuchs einiger Brandenburger, in den Sklavenhandel | |
einzusteigen, niemals gefunden. Toni lächelt wissend beim Abschiedsbier im | |
Sonnenuntergang und sagt, er hätte gewusst, dass uns das Fort gefällt. | |
Toni ist ein kluger Mann, sehr erfahren im Umgang mit Europäern. | |
Wahrscheinlich ist ihm klar, dass es sich für Deutsche gut anfühlt, einmal | |
nicht zu den Nachfahren der allerschlimmsten Verbrecher zu gehören. | |
3 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothee Wenner | |
## TAGS | |
Reiseland Ghana | |
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