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# taz.de -- Kolumne Geräusche: Reden und Schweigen
> Über die Berliner Stille und das menschliche Grundrauschen Italiens, das
> so wichtig ist wie ein gelungener Espresso.
"Wir müssen reden!" Da schwant einem oft genug nichts Gutes; denn gerade im
Zwischenmenschlichen gibt es Zeiten, wo das Reden-Wollen zum impertinenten
Belagern wird, das einen längst und mühsam geklärten Sachverhalt immer
wieder neu aufrollen will - aber sprechen wir an dieser Stelle nicht von
der Liebe.
In Deutschland ist es mit dem reden so eine Sache. Fast alle Bücher und
Büchlein, die landsmannschaftliche Besonderheiten abhandeln, kommen
irgendwann auf die knorrigen, wortkargen Bewohner der jeweiligen Gegend zu
sprechen, deren Mund zwar hartnäckig verschlossen bleibt, die dafür aber
das Herz auf dem rechten Fleck haben: Schade, dass man eben davon oft so
gar nichts mitbekommt.
Und sogar die Berliner, die doch eigentlich keine Gelegenheit auslassen,
einen vollzuquatschen, leisten nichts, womit man etwa Italiener
beeindrucken könnte. Auf einer Tagung in Kreuzberg vergangene Woche war es
schon überraschend zu - ja - hören, wie durch die Bank alle Teilnehmer
eines vom Goethe-Institut initiierten deutsch-italienischen
Journalistenaustausches die Stille in den germanischen Städten, in den
U-Bahnen wie in den Räumen ihrer Gastredaktionen vermerkten.
Es war keine Beschwerde, es war mehr Ungläubigkeit, Unwohlsein; die
Kollegen aus dem Süden erzählten von dieser dauernden
Gesprächsgeräuschverweigerung als schämten sie sich ihres Lärms in Genua,
Rom oder Palermo, als könnten sie aber auf eben dieses Grundrauschen des
Menschlichen so wenig verzichten wie auf einen gelungenen Espresso.
Auch ich hatte an dem Austausch teilgenommen und war nun ebenfalls bedrückt
von der Berliner Stille, vor allem im bauspekulativ sedierten Teil rund ums
Märkische Museum, wohin ich die Kollegin Francesca Sabatinelli aus Rom
begleitete. Es war gegen fünf am Nachmittag, es war Samstag und schon
dunkel; und still; und leer als habe ein fieses Gas alles menschliche Leben
ausgelöscht.
Francesca, der Römerin, ging es hier gar nicht gut, auch das taz-Gebäude
stand wie ausgeschaltet herum. An der Friedrichstrasse trafen wir endlich
auf ein wenig Verkehr, auf Menschen, auf Geräusche. In einem Souvenirshop,
wo wir einen Stadtplan kauften, war es sogar fast voll. Aber es waren kaum
Deutsche, die hier fröhlich lärmten und stöberten.
Auf dem Rückweg war es dann wieder so dumpf und trist auf den Straßen wie
nach der Mordserie der Naziterroristen, nein, noch dumpfer und trister,
nicht mal eine Lichterkette wie damals in München nach den
Postwendepogromen beleuchtete unseren Weg. Der Autocorso Tage später zur
NPD-Zentrale wurde von Deutsch-Türken organisiert.
Es war eben immer noch ein ruhiges Land, dieses Deutschland der
schweigenden Mehrheit; und ich dachte, wie mir Guttenbergs Frechheit immer
gerade auch deshalb nicht so wahnsinnig widerlich gewesen war, weil er die
Ruhe der monadischen Unistreber gestört hatte. Die erste Lichterkette 1992
in München hat übrigens Giovanni di Lorenzo organisiert. Text: "Schatten
und Nacht ist das Schweigen; Tag das Wort" (Konstantinos Kavafis) Musik:
Shout!
8 Dec 2011
## AUTOREN
Ambros Waibel
Ambros Waibel
## TAGS
Justin Trudeau
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