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# taz.de -- Justiz entmündigt Erziehungsberechtigte: "Ultimative Maßnahme"
> Das Amtsgericht Hannover will Eltern von notorischen Schulschwänzern
> künftig das Sorgerecht in schulischen Angelegenheiten entziehen.
Bild: Drastische Maßnahme oder Unterstützung für Familien? Sorgerechtsentzug…
HANNOVER taz | Das Amtsgericht Hannover will Eltern von Schulschwänzern
künftig auch das Sorgerecht in schulischen Angelegenheiten entziehen. Das
sieht ein nach Angaben des Gerichts bundesweit einmaliges Projekt zur
Wiedereingliederung von Schulverweigerern vor, das seit Dezember läuft.
Zielgruppe sind Schüler ab 14 Jahren, die Bußgelder des Ordnungsamtes wegen
Schwänzens selbst zahlen müssen. Ihre Fälle landen bei den Jugendrichtern,
wenn sie nicht zahlen können: Dann beantragen die Ordnungsämter bei Gericht
eine Umwandlung des Bußgeldes in Sozialstunden. Allein in Hannover, sagt
Gerichtssprecher Michael Siegfried, gibt es monatlich 200 solcher Anträge.
"Das ist eine Anzahl, die wir nicht bewältigen können", sagt er.
Die Fälle von Schulverweigerern mit mehr als 20 Fehltagen fließen nun in
das Projekt ein: Das Gericht meldet sie den Jugendämtern, die wiederum die
familiären Verhältnisse begutachten. Danach entscheide das Gericht über
"Einzelmaßnahmen", so Siegfried. Und die reichten von psychologischer
Unterstützung bis hin zum Entzug des Sorgerechts in schulischen
Angelegenheiten als "letzte Möglichkeit". Die bietet laut Gerichtssprecher
Siegfried das Jugendgerichtsgesetz, nach dem für die Einhaltung der
Schulpflicht Sorge zu tragen sei.
Verantwortlich sind dann statt der Eltern sogenannte Ergänzungspfleger, die
das Gericht bestellt. Sie seien Ansprechpartner der Schulen und für alle
Fragen rund den Schulbesuch zuständig - bis zu der, ob die Jugendlichen es
schaffen, morgens pünktlich aufzustehen.
Siegfried hält das für ein milderes Mittel: "Hier geht es nicht wie bisher
um Sanktionen wie Bußgelder oder Arrest für den Fall, dass jemand
Sozialstunden nicht leistet", sagt er. Niedersachsens Landeselternrat sieht
das anders: Die Möglichkeit, einen Teil des Sorgerechts zu entziehen, sei
eine "sehr ultimative Maßnahme", sagt Sprecher Pascal Zimmer. "Drohen mit
dem erhobenen Zeigefinger bringt wenig", davor müsse ein "langer Weg aus
Unterstützung und Beratung" stehen, sagt er. Probleme sieht Zimmer vor
allem bei den Schulen: Der Hilfegedanke stehe dort zu wenig im Vordergrund,
Schulschwänzen werde zu schnell problematisiert und an die Ordnungsämter
gemeldet.
Auch Niedersachsens Kultusministerium betont, man setze vor allem auf
Prävention. "Der richtige Weg ist es, zunächst alle pädagogischen Mittel
auszuschöpfen, bevor Zwangsmaßnahmen zum Zuge kommen", sagt eine
Sprecherin. Präventionsmaßnahmen aber, kritisiert die
Grünen-Bildungspolitikerin Ina Korter, gebe es in Niedersachsen vornehmlich
in zeitlich befristeten Projekten - und in einigen Regionen gar nicht.
Das hannoversche Projekt sieht sie als "schnelle Antwort der Justiz" weil
an anderer Stelle die Mittel fehlten: Niedersachsens
Jugendhilfeeinrichtungen könnten nicht genug Plätze zum Ableisten von
Sozialstunden bereitstellen. Nur deshalb stauten sich beim Gericht die
Fälle.
Für den SPD-Sozialpolitiker Uwe Schwarz ist das Projekt der bloße "Versuch,
bereits eingetretene Schäden zu beheben". Regelmäßiges Schwänzen deute
immer auf mangelnde Erziehungskompetenz der Eltern hin, sagt er. Um die zu
erlernen, bräuchte es aber frühzeitig Unterstützungsangebote für die Eltern
- ein Bereich, der in Niedersachsen noch systematisch aufgebaut werden
müsse. "So lange das so bleibt, kann jede Form der Jugendhilfe nur ein
Reparaturbetrieb sein", sagt Schwarz.
8 Dec 2011
## AUTOREN
Teresa Havlicek
## TAGS
Jugendamt
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