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# taz.de -- Eliot Weinbergers neuer Essayband: Es gibt kein Blau
> Was hat George W. Bush mit Foucault zu tun? In seinen Essays, unter dem
> Titel "Orangen! Erdnüsse!" erschienen, findet Eliot Weinberger überall
> Exotisches.
Bild: George W. Bush: Als Yale-Student verpasste er Kommilitonen, die in seine …
Eliot Weinberger ist weit gereist. Und er hat viel gelesen. Hochachtung vor
der Kultur der anderen ist der Generalbass seines vielgestaltigen Werks als
Übersetzer, Herausgeber - und nicht zuletzt Essayist, der einen stets aufs
Neue verblüfft mit stupenden Kenntnissen in den abseitigen Wissensregionen
dieser Welt.
Mit 19 beginnt Weinberger Octavio Paz zu übersetzen, und kommt immer wieder
auf ihn zurück, später Borges, Vicente Huidobro und andere
lateinamerikanische Lyriker. Er geht nach London, um Sinologie zu
studieren, überträgt die Gedichte des chinesischen Klassikers Wang Wei und
des verbannten Dissidenten Bei Dao. Man hat dem New Yorker nicht zu Unrecht
den Ehrentitel "postnationaler Autor" verliehen.
Vielleicht ist er auch schlicht ein "uramerikanischer Autor", der die
schöne Schmelztiegelideologie wenigstens literarisch noch nicht ad acta
legen will, weil er weiß, dass Einwanderung eine nationale Kultur
grundsätzlich "revitalisiert". "Jede Literatur blüht in Zeiten auf, in
denen viel übersetzt wird und/oder es einen Zustrom von Menschen gibt, die
eine neue Sprache sprechen und schreiben: neue Ideen, neue Geschichten,
neue Ausdrucksformen."
Seine Polemiken gegen die Bush-Regierung in der Folge von 9/11 haben
Weinberger nolens volens zu einer Art Leitfigur der US-Linken gemacht.
Berühmt wurde vor allem seine Collage "Was ich hörte vom Irak", auf Deutsch
in Lettre International publiziert, eine scharfsinnige, beißende Abrechnung
mit dem "Krieg gegen den Terror", und das zu einer Zeit, da solche Töne als
"unpatriotisch" gebrandmarkt wurden und sogar die New York Times zum
besseren Verlautbarungsorgan der Regierung verkam.
Ungezählte Nachdrucke, Übersetzungen, szenische Lesungen verbreiteten
dieses lange Prosapoem weltweit. "Ich hörte einen amerikanischen Soldaten,
einen Bradley-Kanonier, sagen: ,Im Grunde suchte ich nach sauberen Wänden,
also ohne Löcher drin. Und dann machten wir da Löcher rein.' "
Nach Bushs Abwahl legte sich sein politischer Furor etwas und er kehrte zu
seiner Paradedisziplin zurück, dem lyrischen Essay. Einige der daraufhin
entstandenen Texte hat er nun in seinem jüngsten Buch "Orangen! Erdnüsse!"
zusammengestellt.
## Die Distanz auskosten
Umwege erhöhen die Ortskenntnis, weiß der Reisende. Der US-Fotograf Mitch
Epstein öffnet in seinen Bildern das scheinbar Alltägliche oft durch eine
minimale Unregelmäßigkeit: "Eine Gruppe von typischen New Yorker Polizisten
auf der Straße. Nur dass einer von ihnen Lippenstift zu tragen scheint."
Und so beginnt Eliot Weinberger seinen Essay zu Mitch Epsteins Bildern mit
einem langen Exkurs über Victor Segalen, den Theoretiker des Exotischen.
Man versteht zunächst nicht, was der Autor bezweckt, denn exotisch scheinen
Epsteins Bilder nun gerade nicht zu sein. Sie sind es in dem von Weinberger
gefundenen emphatischen Sinn aber natürlich doch.
Segalen definiert Exotismus als die "lebhafte und neugierige Reaktion einer
starken Individualität auf den Zusammenstoß mit einer Objektivität, deren
Distanz sie wahrnimmt und auskostet"; mit anderen Worten: als die "exakte,
augenblickliche Wahrnehmung einer unveränderlichen Unverständlichkeit". In
dieser Bedeutung des Wortes lassen sich Epsteins Bilder dann tatsächlich
lesen als Manifestationen exotischer Augenblicke.
Das Gleiche könnte man nun auch von Weinbergers Essays sagen. Die
Epstein-Annäherung offenbart sich folglich als poetischer Schlüsseltext und
steht vielleicht deshalb genau in der Mitte des Buches. Seine Aufsätze sind
exotisch nicht nur insofern, als sie sich ihr Anschauungsmaterial häufiger
in den Kulturen anderer Zeiten und Länder suchen - seiner Profession gemäß
vor allem im asiatischen Raum.
Sie sind es auch in jenem weiteren, ästhetische Sinne. Sie beleuchten ihren
Gegenstand, und zwar von allen Seiten, beschwören aber gerade dadurch seine
grundsätzliche, nie ganz aufzulösende "Unverständlichkeit". Und man könnte
nun langsam mal fragen, inwieweit sich Segalens Begriff vom Exotischen
nicht eigentlich deckt mit der handelsüblichen Definition des Poetischen.
Ähnlich wie bei dem wahlverwandten Fotografen bewährt sich Weinbergers
Methode gerade im Bekannten oder gänzlich Profanen. Zum Beispiel beim
ehemaligen US-Präsidenten. "Ende der sechziger Jahre war George Bush jr. in
Yale und verpasste Studenten, die in die Verbindung Delta Kappa Epsilon
aufgenommen werden wollten, mit einem heißen Kleiderbügel ein Brandzeichen
auf das Gesäß. Michel Foucault saß in der Société française de philosophie
und überdachte die Frage: ,Was ist ein Autor?' "
Nun, der Leser überdenkt zunächst mal die Frage, was das nun wieder soll.
Aber das wird schon bald deutlich. Im Folgenden nämlich liest er Bushs
Autobiografie "Decision Points" als postmodernen Text, der "in derselben
Beziehung zu George W. Bush steht wie eine Serie von Modeaccessoires oder
ein Parfüm zum Filmstar, dessen Namen sie tragen". Das Buch hat nämlich
keinen eigentlichen Autor, stattdessen waren ein Dutzend Mitarbeiter damit
mehr oder weniger befasst. "Wen kümmerts, wer spricht?", meinte Foucault.
## Bush mit Foucault
Weinberger scheint das als Aufforderung zu verstehen und mischt sich unter
die Schar der Biografen. Seine Besprechung wächst sich aus zu einer Art
Nachwort samt Addenda-Liste mit all den sprechenden Details, die das
Autorenteam geflissentlich unterschlagen hat. "Rumsfeld, der wusste, mit
wem er es zu tun hatte, präsentierte seine Tagesberichte in glänzend bunten
Umschlägen, auf denen sich ein ergreifendes Bild aus dem Kampfgebiet fand,
daneben eine ermutigende Bibelstelle."
Es ist die Fähigkeit, auch entfernte Ähnlichkeiten aufzuspüren, die
Weinberger immer wieder souverän ausspielt in diesen Essays. Das alte Ideal
des "gelehrten Witzes". Und die im Analogieschritt aufeinander bezogenen
Dinge, das ist der analytische Mehrwert, offenbaren dabei nur umso
deutlicher ihre Differenzen, schärfen also gegenseitig ihr Profil. Bush mit
Foucault verstehen zu wollen ist zwingend - und natürlich völlig absurd.
Damit wären wir wieder bei Segalens Theorie des Exotischen. "Nur im
Unterschied liegt der Reiz. Je feiner und unscheinbarer der Unterschied,
desto stärker erwacht und schärft sich der Sinn des Diversen", zitiert
Weinberger zustimmend. "Getrennt schienen die Gegenstände fast gleich und
homogen zu sein, werden sie jedoch zusammengestellt, so treten ihre
Gegensätze zutage und ,existieren' mit umso größerer Kraft."
Das formale Äquivalent eines solchen ästhetischen Programms ist die
Montage, die es ihm erlaubt, das historisch, geografisch, thematisch weit
Entfernte ohne Krachen im Prosagebälk gegenüberzustellen. "Kaskaden" hieß
sein erster Sammelband auf Deutsch, ein schönes Bild für die Gestalt dieser
Essays, deren treppenförmige Architektonik immer wieder das Lektüretempo
verlangsamt, eine Einladung an den Leser zur Bedächtigkeit, ohne völlig an
Fluss zu verlieren. Weinberger ist zuallererst ein stilsicherer Monteur,
dessen enzyklopädische Bildung dafür sorgt, dass ihm nie die sprechenden
Belegstellen ausgehen.
## Es gibt kein Blau
In vielen seiner seriellen, aphoristischen Essays, die immer noch gern als
experimentell bezeichnet werden, obwohl man literarische Montagetechniken
nun langsam mal als bekannt voraussetzen können sollte, geht es denn auch
wirklich um feinste Unterschiede. Etwa wenn er in einem Essay dem Wort
"Blau" nachspürt:
"Geh nur weit zurück, und es gibt kein Blau. Blau, blue, black, blond,
blass, das französische blanc, ja selbst yellow und gelb stammen alle von
einem indogermanischen Wort ab: *bhel - das, was glänzt, brennt, funkelt
oder bereits verbrannt ist. Homers Meer ist bekanntermaßen weindunkel.
Odysseus Haare sind hyazinthfarben. (Milton wiederum, blind und Klassizist,
gab seinem Adam ,Hyazinthne Locken'.)
In den meisten Sprachen Asiens, Afrikas und des präkolumbischen Amerikas
gibt es nur ein Wort für blau und grün. Linguisten, die kein Ohr für
Sprache haben, nennen das Wort blün. Thoreau: ,Der Waldensee, von der
gleichen Stelle aus gesehen, sieht auch einmal blau, einmal grün aus. Er
liegt zwischen Himmel und Erde und vereint beide Farben in sich.' Geh nur
weit genug zurück, und die Afrikaner sind, in den europäischen Sprachen,
blau. Raben, in den isländischen Sagas, sind blau."
Das Exotische findet sich eben überall. Wenn man nur genau genug hinschaut.
Und genug gelesen hat.
12 Dec 2011
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
US-Literatur
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