# taz.de -- Volleyball-Star Angelina Grün: Dynamo und Devisen | |
> Nach hundert Tagen beendet die Nationalspielerin Angelina Grün ihr | |
> Gastspiel bei Alemannia Aachen. Denn Dynamo Moskau lockt sie mit einem | |
> lukrativen Angebot. | |
Bild: Champions League statt Schulsporthallen: Nationalspielerin Angelina Grün… | |
AACHEN taz | Sie biss sich verlegen auf die Unterlippe, als sie vor | |
Spielbeginn zum letzten Mal vorgestellt wurde: "Mit der Nummer 15: …" Die | |
gleiche Geste, kurz nachdem sie, der große Star des deutschen Volleyballs, | |
den Matchball zum 3:1 ihrer Aachener Ladies in Black gegen den SC Potsdam | |
mit einem krachenden Schmetterschlag verwandelt hatte. | |
Ausgerechnet sie. Wie inszeniert. Diese dynamische Urgewalt. Die rund | |
tausend Zuschauer jubelten ihr noch mal zu und alle wussten: Das wars. | |
Damit war ein besonderes Kapitel im deutschen Frauen-Volleyball beendet. | |
Ja, sagte Angelina Grün, 32, "das alles berührt mich schon". Eine tolle | |
Zeit gehe vorbei, "die sehr schöne Episode Aachen". Dabei waren es gerade | |
mal hundert Tage und neun Ligaspiele (fünf Siege). Mitten in der Saison ist | |
"Grüni", schwupps, schon wieder weg. Vor 14 Tagen kam plötzlich ein | |
Riesenangebot von Dynamo Moskau. Der Ruf des Geldes. | |
Champions League statt deutscher Schulsporthallen. 13 Stunden nach dem | |
Matchball am Samstagabend hob die Aeroflot-Maschine ab. Heute hier, morgen | |
dort - die Karriere von Angelina Grün ist wie ein sportiver Gruß an | |
Liedermacher Hannes Wader. Nicht mal das Hallenmagazin von Alemania Aachen | |
hatte Zeit für ein paar Abschiedszeilen. | |
"Miss Volleyball" heißt Angelina Grün seit einem Jahrzehnt, sie hat fast | |
300 Länderspiele gemacht, war neunmal Volleyballerin des Jahres. Nach dem | |
Karrierestart in Münster spielte sie sieben Jahre bei den großen Teams in | |
Europa: Modena, Bergamo, Istanbul. Zweimal gewann sie (mit Bergamo) die | |
Champions League. | |
## Teamspiel vermisst | |
Dann entschwand sie, mäßig erfolgreich, 2009 zum Beachvolleyball. Und | |
heuerte, zur großen Überraschung der Szene, im Sommer bei Alemannia Aachen | |
an, nicht eben eine Top-Adresse. Aber sie lebt in Köln, und nebenan in | |
Düren baggert ihr Lebenspartner Stefan Hübner in der Bundesliga. Da passte | |
das schon. | |
Grün musste sich wieder umstellen auf Halle: Das Teamspiel, das sie "sehr | |
vermisst" hatte, der harte Boden und wie viele Leute da kreuz und quer | |
flitzen (einmal kollidierte sie am Samstag mit Alemannias Stellerin heftig | |
und entschuldigte sich lachend). | |
Aachen war Übungsterrain zur Reintegration, Grün wurde schnell Leaderin mit | |
gestenreicher Kommunikation, etwa ihrem typischen extrovertierten | |
Kopfnicken nach Teampunkten. Schon im September war sie fit für das | |
Nationalteam-Comeback bei der EM in Serbien. Da verloren die Deutschen nur | |
das Finale hauchdünn gegen die Gastgeberinnen. Vizeeuropameister. Angelina | |
Grüns größter Erfolg mit dem Nationalteam. | |
## Kanalreiniger und Luftgitarre | |
Bundesliga-Volleyball der Frauen ist sportlich eine prickelnde | |
Angelegenheit, voller Dynamik, Spannung und beeindruckendem Drumherum: Die | |
Ballkinder in Aachen heißen "Helferlein", es gibt Blechkuchen, kalte | |
Schnitzel, Flaschenbier und sogar eine kleine VIP-Lounge (Schnitzel | |
umsonst, Bier vom Fass). | |
Während der Auszeiten schickt ein Sponsor (örtlicher Kanalreiniger) ein | |
kühnes Öko-Wortspiel mit Grün durch die Lautsprecher, und der | |
Hallensprecher fordert beim dröhnenden "Rockin all over the world" auf: | |
"Wenn Sie eine Luftgitarre dabeihaben, holen Sie sie raus." Ansonsten | |
erklärt er mal eine Regel und heizt zum Stakkato-Klatschen an. | |
Angelina Grün sagte nachher, diese "tolle moderierte Form von Stimmung" | |
gebe es so wohl nur in der Bundesliga, die "animierten Gesänge, gemeinsam | |
mit dem Publikum den Rhythmus eines Matches aufzunehmen". Das werde sie in | |
Moskau vermissen, wobei: "Ich hab noch nie so wenig gewusst, was mich | |
erwartet." | |
Halle, Stimmung, das Team? "Keine Ahnung, ich weiß nur, ein großer Club mit | |
etlichen russischen Nationalspielerinnen." Die Kultur ist ihr nicht fremd: | |
Grün wurde 1979 in Duschanbe, im heutigen Tadschikistan geboren, sie kann | |
passabel Russisch sprechen und hofft, dass alte Freunde ihrer Eltern ihr in | |
Moskau etwas helfen. | |
## Kein Platz mehr im Reisepass | |
Fast übrigens wäre der Transfer doch noch geplatzt: In Grüns Reisepass war | |
nur noch eine Seite frei, das Düsseldorfer Konsulat verweigerte das Visum | |
und die Vielgereiste musste beim Botschafter in Frankfurt vorsprechen. Alle | |
im Kader, heißt es, gönnen ihr den lukrativen Sprung. | |
Einer aus dem Team-Umfeld scherzte am Samstag in hartem Ost-Deutsch: "Wenn | |
Russland ruft, dann würde ich mein Büro hier auch zumachen für ein halbes | |
Jahr." Wobei: Ob es wirklich 500.000 Gage sind, ob Euro oder Dollar, oder | |
nicht mal die Hälfte bis Saisonende im Mai, weiß niemand. Im deutschen | |
Frauenvolleyball sind bereits 3.000 Euro im Monat schon ganz gut. | |
Heute absolviert sie ihre erste Trainingseinheit in Moskau und am Mittwoch | |
ist bereits Champions-League-Premiere in Belgrad. Und dann kommt sogar | |
etwas ganz Neues, nach einer langen Karriere quer durch die Welt in beiden | |
Spielarten des Stellens und Schmetterns: Dynamos erstes | |
Meisterschaftsspiel, das am nächsten Samstag angepfiffen wird. "Nee", sagte | |
Angelina Grün, "am Heiligen Abend hab ich noch nie gespielt." | |
18 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernd Müllender | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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