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# taz.de -- Debatte Frauen: "Designermösen" sind unerforscht
> Intimoperationen bergen ein Emanzipationspotenzial für Frauen.
> Problematisch sind sie vor allem, weil es kaum Kenntnisse zu den
> Nebenwirkungen gibt.
Als "Brötchen" beschreiben viele SchönheitschirurgInnen die aktuell
nachgefragte Idealform des weiblichen Genitals. Nach offiziellen
Statistiken werden in Deutschland jährlich über 1.400 sogenannte
Intimoperationen durchgeführt.
Dabei lassen sich Frauen die Vagina straffen, am Venushügel Fett absaugen,
die Schamlippen verkleinern oder das "Jungfernhäutchen rekonstruieren" -
und so eine jungfräulich-mädchenhafte Vulva und Vagina formen.
Christa Stolle, Geschäftsführerin von Terre des Femmes, wertet die
eklatante Zunahme dieser kosmetischen Eingriffe als herben [1][Rückschlag
für das Frauenbild unserer Gesellschaft].
Doch so problematisch die Intimoperationen sein können, sie bergen auch ein
Emanzipationspotenzial. Wer diese Ambivalenz ignoriert, wird dem neuen
Phänomen nicht gerecht.
## Gemacht, um verletzt zu werden
Stolle warnt eindringlich davor, die Rekonstruktion des Jungfernhäutchens
(Hymen) als Schönheitsoperation zu bezeichnen: Während sie bei
Schamlippenverkleinerungen allenfalls eine ärztliche Verantwortung der
Kundin gegenüber sieht, beschreibt sie Hymenrekonstruktionen in erster
Linie als kulturelle Gefährdung.
Damit relativiert Stolle jedoch, was sie zunächst selbst anspricht, nämlich
die Tatsache, dass jede Intimoperation sowie auch jede Schönheitsoperation
kulturellen Vorstellungen folgt und zugleich auf diese zurückwirkt.
Denn die (Wieder-)Herstellung des Jungfernhäutchens verschmilzt mit all den
anderen intimchirurgischen Techniken zu einem gemeinsamen Bild von
"korrekten" und "normalen" weiblichen Genitalien.
Kaum eine Intimchirurgie-Website, die diesen Eingriff nicht bewirbt. Und
auch die Deutsche Gesellschaft für Intimchirurgie und Genitalästhetik
bietet Fortbildungskurse zur Hymenrekonstruktion ebenso an wie zur Labien-
und Klitoriskorrektur.
## Mittels Skalpell in den Körper geschrieben
Dabei gibt es zunächst einen zentralen Unterschied: Zwar wird bei allen
Intim-OPs an gesunden Körperstellen geschnitten und eine Verletzung in Kauf
genommen. Allerdings schafft nur die Hymenoplastik eine verwundbare Stelle,
die erst dann ihre Funktion erfüllt, wenn sie blutet und verletzt wird.
Und doch folgen die Eingriffe auf einer abstrakt-analytischen Ebene
ähnlichen Motiven: Die je vorherrschenden Vorstellungen von "richtigen" und
"falschen" Frauen werden mittels Skalpell in den weiblichen Körper
eingeschrieben.
Ein essenzieller Bestandteil dieser Vorstellungen ist der Mythos des
Jungfernhäutchens, das bis heute - ob in der Bravo oder auf den Webseiten
von IntimchirurgInnen - als Membran beschrieben wird, die den
Scheideneingang teilweise oder ganz verschließt. Christa Stolle hat recht,
wenn sie diesen Mythos als "katastrophal" bezeichnet.
## Und ewig grüßt die Kindfrau
Das Ideal, das nun mittels Intimchirurgie hergestellt werden soll, ist das
eines straffen, jungfräulichen und geschlossenen weiblichen Genitals. Wo
sich die Vulva durch hervorschauende innere Schamlippen öffnet, werden
diese entfernt. Wo die Vagina sich weitet, wird gestrafft und
zusammengenäht. Die Idee eines "Zuviel" weiblicher Sexualität, die es zu
zähmen gilt, schwingt dabei stets mit.
So beschreiben IntimchirurgInnen die kindliche und vorpubertäre Vulva und
Vagina - ohne Spuren von Geburt, Alter oder sexueller Erfahrung - als
ästhetisch-funktionales Optimum.
Zugleich preisen sie Schamlippenverkleinerungen ebenso wie
Hymenrekonstruktionen als Hilfestellung für verbessertes sexuelles
Wohlbefinden, neue Höhepunkte und sexuelle Befreiung an. Es geht um die
Optimierung zur Kindfrau, wobei partriarchale Vorstellungen von Reinheit
und Jungfräulichkeit reaktiviert werden.
## Ein Verbot ist keine Lösung
Dennoch kann es nicht die Lösung sein, all diese Eingriffe per se zu
verurteilen oder gar zu verbieten. Die Sozialwissenschaftlerin Kathy Davis
etwa mahnt in Bezug auf Schönheitsoperationen an, die Leidensgeschichten
von Frauen ernst zu nehmen.
Schaut man sich die Geschichten von Frauen an, die sich für eine
Hymenrekonstruktion entschieden haben, so kommt auch hier der Wunsch zum
Ausdruck, einigermaßen handlungsmächtig in den Prozess der
Verobjektivierung des eigenen Körpers einzugreifen.
Das löst nicht das Problem der kulturellen Normierung von weiblichen
Körpern, denn die Eingriffe bleiben ambivalent und Ergebnis einer
Doppelmoral.
## Selbstbewusst der Norm gefolgt
Gleichzeitig eröffnet sich jedoch innerhalb des problematischen kulturellen
Rahmens, innerhalb der Grenzen mystifizierter Weiblichkeit ein
Möglichkeitsraum: Etwa wenn Frauen selbst darüber bestimmen können, ob und
mit wem sie vor der Ehe Sex haben und sich anschließend ein Hymen
rekonstruieren, oder besser: konstruieren lassen, welches ihnen erlaubt,
die Entjungferung im klassisch patriarchalen Sinne zu inszenieren. Oder
wenn Frauen sich erst nach Verkleinerung ihrer Schamlippen dazu in der Lage
fühlen, eine selbstbewusste Sexualität zu leben.
So unterschiedlich die Praktiken von Hymenrekonstruktion und anderen
ästhetisch-funktionalen Eingriffen in den konkreten Gründen sind, so sehr
müssen wir in beiden Fällen ernst nehmen, dass es eine
"Denormalisierungsangst" (Jürgen Link) gibt.
Emanzipation, das hat uns die Frauenbewegung gezeigt, muss auf mindestens
zwei Wegen stattfinden. Es gilt Mythen und gesellschaftliche Konstruktionen
"adäquaten" Frau-Seins zu analysieren und in ihre Bestandteile zu zerlegen,
um sie dann neu zusammenzusetzen und zu verändern.
## Es fehlen Informationen und Forschung
Doch so lange uns die vorherrschenden Weiblichkeitsmythen unter die Haut
gehen, müssen wir uns auch für die Qualitätssicherung intimchirurgischer
Angebote und für Verbraucherinnenschutz einsetzen.
Frauen sind handlungsmächtig, aber es fehlt an Informationen und Forschung,
etwa im Hinblick auf Nebenfolgen und Risiken. Eine pauschale Verurteilung
von Intimoperationen verhindert keine weiteren Eingriffe, aber sie
verhindert einen reflektierten und informierten Umgang damit.
Intimoperationen sind nämlich immer beides: ein Sich-Einfügen in die
gesellschaftliche Norm und ein Aufbegehren gegen die zugewiesene Position.
19 Dec 2011
## LINKS
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## AUTOREN
Anna Katharina Messmer
## TAGS
Jugendliche
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