# taz.de -- Pro & Contra Christian Wulff: Geht's noch? | |
> Die Aufregung um das Staatsoberhaupt und seine reichen Freunde hält an. | |
> Kann der Bundespräsident Christian Wulff angesichts der vielen Vorwürfe | |
> noch im Amt bleiben? | |
Bild: Abgang oder Durchhalten? Bundespräsident Christian Wulff. | |
PRO | |
Die Eurokrise ist nicht überstanden, die Verwicklung staatlicher Stellen in | |
die Neonazi-Mordserie noch längst nicht aufgeklärt: Dieses Land hat echte | |
Probleme. Die Fehltritte des Bundespräsidenten gehören nicht dazu. | |
Es stimmt zwar, dass ein Politiker wie Christian Wulff jeden Eindruck | |
vermeiden muss, Amtsgeschäfte und Privatinteressen nicht sauber zu trennen. | |
Insofern war sein Verhalten jedenfalls ungeschickt. Doch der Vorwurf, sich | |
für Urlaubsreisen und Privatkredit mit irgendwelchen Gefälligkeiten | |
revanchiert zu haben, ist bislang nicht belegt. Und im internationalen | |
Vergleich sind die Vorwürfe, die jetzt gegen Wulff erhoben werden, | |
Bagatellen. Deshalb ist die Empörung über ihn maßlos übertrieben. | |
So drängt sich der Verdacht auf, dass da auch noch ein paar andere | |
Rechnungen beglichen werden. Denn es ist ja nicht wahr, dass sich Wulff als | |
Präsident noch keinerlei Verdienste erworben hat. Im Gegenteil: Mit seinem | |
Satz, auch der Islam gehöre mittlerweile zu Deutschland, hat er einen | |
stärkeren Akzent gesetzt als die meisten seiner Vorgänger. Mancher | |
"Leitkultur"-Konservative nimmt ihm das bis heute übel. Das erklärt einen | |
Teil der Wut, die Wulff jetzt entgegenschlägt. | |
Doch eine satte Mehrheit der Bevölkerung findet, dass Wulff im Amt bleiben | |
soll. Damit fällt die Kampagne, die manche Medien gegen Wulff betreiben, in | |
sich zusammen. Dass sich ausgerechnet Bild, Spiegel, Frank Schirrmacher und | |
Günther Jauch jetzt zu Hütern von Anstand und Moral aufschwingen, entbehrt | |
ohnehin nicht der Komik. Denn sie alle würden zur Not auch ihre eigene | |
Großmutter verkaufen, wenn es nur der Quote oder der Auflage dient. | |
Medien haben die Aufgabe, Missstände aufzudecken und Skandalen nachzugehen. | |
Sie haben aber nicht die Aufgabe, Politiker zur Strecke zu bringen, nur um | |
sich selbst ihre Macht zu beweisen. Es sollte unter der Würde von | |
kritischen Journalisten sein, sich mit diesem Rudelverhalten | |
gemeinzumachen. | |
DANIEL BAX ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz | |
*** | |
CONTRA | |
Aus dem Jahr 2000 stammt ein pointierter Satz von Christian Wulff. Er leide | |
physisch darunter, "dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben", | |
sagte er über Johannes Raus Flugaffäre. Er war einer der Ersten, die den | |
Rücktritt des Amtsinhabers forderten. Es ist, aus heutiger Sicht, ein | |
gruseliger Satz. | |
Wulff hat 2010 vor dem niedersächsischen Landtag eine Geschäftsbeziehung | |
zum Unternehmer Egon Geerkens verneint. Der Kredit für sein Haus stamme von | |
Geerkens Frau. Doch Egon Geerkens selbst betont, dass alles von ihm | |
verantwortet wurde. Stimmt das, hat Wulff getäuscht - und ist als | |
Bundespräsident nicht mehr tragbar. | |
Wulff stützt sich auf juristische Argumente. Aber darum geht es lange nicht | |
mehr. Alle Macht des Bundespräsidenten beruht auf seiner moralischen | |
Autorität. Sie ist dahin. | |
Nicht nur durch den Kredit: Wulff ist ein Mann mit Geschichte. Sechsmal hat | |
er Urlaub gemacht in Traumhäusern von Wirtschaftsfreunden, ein geschenkter | |
Businessflug kommt dazu. Wulff bewegt sich systematisch an der Schwelle | |
dessen, was erlaubt ist, was entdeckt werden kann. Jetzt windet er sich | |
auch noch bei der Aufklärung. | |
Zudem: Wulff hat sich nur durch einen einzigen Satz zum Islam so etwas wie | |
Kredit als Bundespräsident erarbeitet. Wo ansonsten von ihm eine leitende | |
Idee verlangt war, schwieg er. Das Jahr 2011 ist das Jahr eines kriselnden | |
Europas, einer Bevölkerung, die den sozialen Abstieg fürchtet. Gibt es ein | |
Wort dazu von Wulff, an das man sich erinnert? Anders gefragt: Kann man | |
sich für 2012 noch einen Satz vorstellen, den der Bundespräsident Wulff zu | |
diesem Thema glaubwürdig aussprechen könnte? | |
Was bleibt, ist ein geknebelter Präsident, dem eine einzige Macht bleibt: | |
Er selbst kann entscheiden, wann er aus dem Amt scheidet. Wenn er wirklich | |
Rücksicht nimmt auf physische Leiden, dann wartet er damit nicht mehr allzu | |
lange. | |
GORDON REPINSKI ist Parlamentskorrespondent der taz | |
20 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
D. Bax | |
G. Repinski | |
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