# taz.de -- Frühchen-Tode: Gesundheitsamt unter Beschuss | |
> Bremer Justiz-Staatsrat Matthias Stauch wirft Gesundheitsamt und | |
> kommunaler Klinik Versäumnisse und Schlamperei vor. | |
Bild: Der Bremer Justiz-Staatsrat Matthias Stauch (l.) kritisiert das Gesundhei… | |
BREMEN taz | Enna W. wurde sieben Tage alt. Am 16. Oktober starb das | |
Frühgeborene im kommunalen Klinikum Bremen-Mitte. Drei Tage zuvor hatte es | |
sich dort mit Stäbchenbakterien der Gattung Klebsiella infiziert. Enna war | |
das dritte tote Frühchen auf der Station. Als sie starb, wusste das | |
Gesundheitsamt seit fünf Wochen von den Infektionen mit den | |
multiresistenten Keimen. Sieben Tage hätte das Amt laut Gesetz Zeit gehabt, | |
die Aufsichtsbehörde zu informieren, dies wäre lange vor Ennas Infektion | |
gewesen. Doch es erstattete erst am 1. November Meldung - nach ihrem Tod. | |
"Die Meldepflichten wurden nicht beachtet", urteilte gestern der Bremer | |
Justiz-Staatsrat Matthias Stauch. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hatte | |
Stauch gebeten, den Bremer Frühchen-Skandal juristisch aufzuarbeiten. Seit | |
April hatten sich zwölf Frühgeborene in der Bremer Klinik mit | |
Krankenhauskeimen infiziert. Schlamperei und Verstöße gegen eine Reihe von | |
Vorschriften - der Bericht, den Stauch am Dienstag vorlegte, enthält eine | |
lange Liste von Versäumnissen. | |
Nachdem das Gesundheitsamt im November die verspätete Meldung an | |
Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) leitete, schaltete die | |
sofort das zuständige Robert-Koch-Institut ein und ließ die | |
Frühchen-Station schließen. Ob dies ebenso geschehen wäre, wenn die Meldung | |
vorschriftsmäßig erfolgt wäre, "das ist offen", sagte Stauch. "Aber man | |
hätte auf jeden Fall mehr Zeit gehabt, um zu reagieren." Das Gesundheitsamt | |
war am Nachmittag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. | |
Das Amt war aber nicht die einzige Stelle, die Informationen viel zu spät | |
weiterleitete. Auch das Krankenhaus schwieg zu lange. "Ärzte müssen | |
unverzüglich melden, wenn gehäuft Infektionen auftreten, bei denen ein | |
epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist", sagte Stauch. "Gehäuft" | |
bedeute, dass mehr Infektionen auftreten als im Vorjahr. 2010 gab es in der | |
Klinik eine Infektion, 2011 wurde die zweite Infektion am 7. August | |
nachgewiesen. Das Frühchen starb am folgenden Tag. "Spätestens dann war die | |
Meldung an das Gesundheitsamt erforderlich", so Stauch. | |
## Einen Monat zu spät | |
Doch die Klinik-Ärzte informierten das Amt erst einen ganzen Monat später - | |
am 7. September. Auch seiner Verpflichtung, die Keimausbrüche zu | |
dokumentieren, sei das Klinikum "vermutlich nicht ausreichend | |
nachgekommen", sagte Stauch. Dadurch wurde fast ein halbes Jahr lang | |
übersehen, dass der Keim zum ersten Mal im April auftrat. Es sei "nicht | |
auszuschließen", dass bei korrekter Dokumentation "früher und nachhaltiger | |
Gegenmaßnahmen" ergriffen worden wären. | |
Auch die Obduktionspflicht wurde missachtet. "Todesfälle, die | |
möglicherweise in ursächlichem Zusammenhang mit medizinischen Maßnahmen | |
stehen, müssen der Rechtsmedizin gemeldet werden", sagte Stauch. Das gelte | |
für alle drei toten Frühchen. Doch niemand informierte die Pathologen. | |
Er habe "keine Hinweise" entdeckt, "dass irgendjemand was vertuschen | |
wollte," sagte Stauch. Er vermute "Unklarheiten in Bezug auf die | |
Meldepflichten". Die Behörde und die Klinikleitung hätten Hygienepläne und | |
andere Dokumente "präziser an die Gesetzeslage anpassen" müssen. Gleichwohl | |
belastet Stauchs Bericht den entlassenen Chefarzt der Frühchen-Station, | |
Hans-Iko Huppertz. Der wäre "sicher einer der Meldepflichtigen gewesen", | |
sagte Stauch. | |
## Zu wenig Personal | |
Die Linken-Abgeordnet Claudia Bernhard, die im Untersuchungsausschuss | |
"Krankenhauskeime" sitzt, machte den Personalmangel für den Keimausbruch | |
mitverantwortlich. Das System der Frühgeborenen-Versorgung habe sich als | |
"multimorbid" erwiesen. | |
20 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Klinik-Skandal in Bremen: Wieder zwei tote Frühchen | |
Bremens Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper hat den Geschäftsführer | |
der kommunalen Kliniken gefeuert. Einmal mehr war sie nicht vollständig | |
informiert worden. | |
Wieder Darmkeim in Bremer Klinik: Frühchen von Keimen befallen | |
Bei nunmehr drei Frühchen wurden in einer Bremer Klinik resistente Keime | |
festgestellt. Bisher sind die Kinder jedoch gesund. | |
Kommentar Frühchen-Tode: Das finale Übel liegt anderswo | |
Wenn sich Pfleger und Schwestern die zur Hygiene nötige Zeit nehmen | |
könnten, ließen sich wahrscheinlich viele Todesfälle verhindern. |