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# taz.de -- Taizé-Jugendtreffen in Berlin: Achtung, die Christen kommen
> Die Stadt hat zur Jahreswende das weltweit größte christliche
> Jugendtreffen zu Gast. Die Vorbereitung ist mühevoll - was auch an der
> mangelnden Euphorie der Berliner liegt
Bild: Auf dem harten Boden müssen wohl einige junge Christen in Berlin überna…
Berlin fasziniert ihn. Immer noch. Immer wieder. Bruder Han-Yol, Mitglied
der französischen Taizé-Bruderschaft, blickt aus einem Fenster der
ehemaligen Justizvollzugsanstalt an der Landsberger Allee und sagt: "Die
Fülle der Lebensformen hier ist überwältigend." Der 49-jährige Südkoreaner
hat 1989 noch das geteilte Berlin mit all seinen Problemen erlebt. Die
Freiheit und Vielfalt, die er heute bei seinen täglichen Fahrradtouren
erfährt, kann er immer noch nicht ganz fassen.
Diese Vielfalt - vor allem die religiöse - ist es auch, die Han-Yol und
seinen Mitstreitern momentan das Leben schwer macht: Für die Organisation
des 34. Europäischen Taizé-Jugendtreffens finden sie in der wenig
christlichen Stadt zu wenig engagierte oder begeisterte Helfer. Seit
September leben Han-Yol und neun weitere Brüder des ökumenischen
Männerordens in dem ehemaligen Lichtenberger Gefängnis. Es ist zum
Basislager des Jugendtreffens geworden.
An diesem Vormittag des 10. Dezember eilt Bruder Han-Yol durch die Flure,
erkundigt sich bei seinem Team nach Neuigkeiten und telefoniert
zwischendurch mit einem Bruder, der gerade in einer der 200 teilnehmenden
Gemeinden den aktuellen Stand überprüft. Das Europäische
Taizé-Jugendtreffen findet zum ersten Mal in Berlin statt.
In jedem Jahr gastiert das ökumenische Großevent in einer anderen Stadt, an
fünf Tagen beten, singen und diskutieren die jungen Menschen aus aller Welt
miteinander, so wie es im Kleinen jeden Tag in Taizé geschieht. Damit der
Geist des französischen Männerordens in die jeweilige Gaststadt getragen
werden kann, ist ein planerischer und logistischer Kraftakt nötig.
In Berlin werden zur Jahreswende 30.000 junge Christen, Andersgläubige und
Konfessionslose erwartet. Doch während kleinere Städte Taizé-Treffen mit
hunderttausenden Teilnehmern stemmten, fehlen in Berlin-Mitte Dezember noch
10.000 Schlafplätze für die Gäste.
Bruder Han-Yol glaubt, dass bis zum Eröffnungstag am 28. Dezember noch alle
Probleme gelöst werden können. Doch die Vorbereitungen der jeweils
fünftägigen Treffen haben ihn in seinen mehr als 20 Jahren als
Taizé-Mitglied auch schon weniger Kraft und Nerven gekostet. "In Breslau
waren wir 1989 mindestens doppelt so viele Leute", sagt Han-Yol mit Blick
auf sein erstes Taizé-Treffen. "Nach der Wende herrschte eine
Aufbruchstimmung in ganz Europa, die Christen und Andersgläubige ergriffen
hat, alle hatten Lust, gemeinsam etwas aufzubauen." Davon sei in diesem
Jahr nicht so viel zu spüren.
## Kein Glaubensaufbruch
In politischer Hinsicht war das ausklingende Jahr sicher ebenfalls ein
Aufbruchsjahr, auch in Berlin. Etliche tausend Menschen fuhren zu den
Anti-Atomkraft- und Anti-Castor-Protesten ins Wendland, und im Zuge der
Occupy-Bewegung empörten sich viele Bürger erstmals lautstark über das
Gesellschaftssystem. "Aber was ihren Glauben angeht, sind viele Menschen
heute orientierungslos und ziehen sich eher ins Privatleben zurück als sich
zu engagieren", sagt Bruder Han-Yol.
Eigentlich eigne sich der Grundgedanke der Gemeinschaft von Taizé bestens,
um gerade diese Leute wieder einzufangen. "Es geht dem Orden nicht um
strenge Regeln oder festgelegte christliche Identitäten", sagt Han-Yol.
"Sondern um Toleranz, Interesse am menschlichen Miteinander, kurz:
Offenheit." Doch in dem in Glaubensfragen bis zur Gleichgültigkeit offenen
Berlin scheint selbst diese lose religiöse Definition nur mäßig anzukommen.
Marieke den Boer schwingt sich auf ihr Fahrrad und rast hinter den anderen
her, zum täglichen Mittagsgebet in die Marienkirche am Alexanderplatz. "Da
tanke ich wieder Kraft auf", sagt die 23-jährige Niederländerin und zieht
die frische Luft in die Nase. Sie tut gut, nach den angespannten
Morgenstunden vor dem Laptop. Den Boer ist eine der elf Freiwilligen aus
Taizé, die seit September bei Gastfamilien in Berlin leben. Zwischen fünf
und sieben Stunden stehen sie täglich im Kontakt mit den städtischen
Kirchengemeinden, die jeweils unterschiedlich viele Gäste aus drei bis
sechs Nationen aufnehmen und betreuen.
Den Boer und ihre KollegInnen koordinieren Schlafplätze, beantworten Fragen
zum Programm und den Gestaltungsfreiräumen der Gemeinden. In der restlichen
Zeit arbeiten die jungen Leute, die auch aus außereuropäischen Nationen wie
Chile, Südafrika oder Australien kommen, mit den Brüdern am Programm des
Treffens. Es erscheint in 20 Sprachen - da ist die Pause zwischen 12 und 14
Uhr dringend nötig.
Den Boer lässt sich auf dem Sitzteppich vor dem Altar der Marienkirche
nieder und stimmt mit den etwa 100 Anwesenden das erste Taizé-Lied an. Vor
etwa einem Jahr hat die Medizinstudentin ihr Studium unterbrochen, weil ihr
der Sinn eines Versorgungssystems, "das Krankheiten behandelt, nicht
Menschen", nicht mehr klar war.
Seitdem lebt sie als freiwillige Helferin in der Communauté de Taizé in der
Nähe des westfranzösischen Cluny. Die Gemeinschaftserfahrungen, die sie in
dem Orden gemacht habe - zum Beispiel, dass in der Gruppe sogar
Toilettenputzen Spaß machen kann -, würden nun in gewisser Weise in die
Großstadt transferiert, sagt den Boer. "Hier kann ich für mich erproben,
wie alltagstauglich diese Gemeinschaftserfahrungen sind."
## Dialog der Religionen
Sie habe schon viele positive Begegnungen mit den Berlinern gehabt, die
dafür sprechen, dass der Taizé-Gedanke in der Metropole funktioniert.
"Neulich kamen zwei Muslime zum Mittagsgebet. Sie haben sich über Taizé
informiert und dann haben sie spontan beschlossen, einen Teilnehmer
aufzunehmen", sagt die Katholikin den Boer, die so viel Offenheit aus ihrer
Heimatstadt Breda im Süden der Niederlande nicht gewöhnt ist.
Während sie solche Erfahrungen als Kraftquell empfindet, ist die tägliche
Kommunikation mit den Gemeinden oft ein Kampf. Nicht gegen die Gemeinden.
Sondern gegen deren schwindende Hoffnung, dass das Megatreffen reibungslos
klappen könnte. "Es tut weh, wenn die Leute schreiben, dass sie kein
Vertrauen in die Organisation mehr haben."
Auch Valentin Kwaschik wird beim Mittagsgebet ganz ruhig. "Hier glätten
sich die Wogen ein bisschen", sagt er. Damit meint er die nicht immer
leichte Kommunikation zwischen den Gemeinden und den Taizé-Brüdern, "die
sowieso immer schon wissen, wie alles funktioniert". Als Mitglied der
evangelischen Gemeinde Heiliger Geist in Moabit erlebt er die
Taizé-Vorbereitungen von der anderen Seite. Der 29-jährige Student kennt
den Geist Taizés, er war bereits viermal dort. Er glaubt an das Treffen und
seine Wirkung auf Berlin.
Doch er sagt auch: "Wir haben viel zu spät begonnen, unsere kirchlichen
Kreise zu verlassen - deshalb sind wir jetzt so in Bedrängnis." In Moabit
beteiligen sich drei von insgesamt sieben Gemeinden aktiv an der Planung
des Treffens, die anderen nehmen nur einige Gäste auf.
Es ist ein symptomatisches Bild: Von 190 evangelischen Gemeinden in Berlin
bieten 170 Plätze zum Schlafen an, 110 übernehmen Programmverantwortung.
Bei den Katholiken nehmen etwa 30 von 64 Pfarreien im Stadtgebiet teil. Und
innerhalb derer strengen sich wie etwa in Moabit einige wenige Menschen
extrem an, um alles gewuppt zu bekommen. "Berlins Potenziale hätten wir
genutzt, wenn wir daneben von Anfang an die Dönerbudenbetreiber und die
Kulturvereine, die Menschen, die hier einfach leben, eingebunden hätten",
sagt Kwaschik.
## Drei Gebete täglich
An den Taizé-Tagen liegt der Schwerpunkt auf Thementreffen am Nachmittag;
dreimal täglich wird außerdem gebetet. Bei den Diskussionen geht es um
solidarisches Wirtschaften, die Rolle der Jugend in der Gesellschaft und
Kooperationen mit einer jüdischen Gemeinde und zwei Moscheen. "In Berlin
nichts mit Muslimen und anderen Glaubensgemeinschaften zu machen, wäre
undenkbar", sagt Bruder Han-Yol.
Nach Meinung von Valentin Kwaschik hätten die Teilnehmer Berlins Vielfalt
bei den "Orten der Hoffnung" noch näher kommen können. Bei den sogenannten
Programmvormittagen der Gemeinden geht es ausdrücklich nicht um religiöse
Projekte, sondern darum, zu zeigen, wer sich in einem Bezirk alles
engagiert. Diese Chance sei aber wegen schlechter Planung unzureichend
genutzt worden, sagt Kwaschik. "Um hier am Ende nicht nur bei der
Kälte-Hilfe der Diakonie und den Pfadfindern zu landen, hätte man das viel
langfristiger planen müssen."
Die Schuld schiebt er weniger den freiwilligen Helfern zu, sondern vielmehr
der Landeskirche. "Da hätten mehr Impulse kommen müssen, nicht nur der
Hinweis vor einem Jahr, dass Taizé hierherkommt", sagt Kwaschik. Eine
Sprecherin der evangelischen Landeskirche erwidert auf Anfrage: "Die
evangelische Kirche ist von den Gemeinden aus aufgebaut, und es liegt auch
in der Entscheidung der einzelnen Gemeinden, wie stark sie sich
engagieren."
Auch das katholische Erzbistum Berlin drückt das Engagement auf die unteren
Ebenen ab: "Der besondere Charme des Taizé-Jugendtreffens liegt darin, dass
die Vorbereitung direkt an die Pfarrgemeinden herangeht, gewissermaßen von
unten beginnt. Dazu passt auch das Anliegen, die Teilnehmer in Familien
unterzubringen und nur im Notfall auf Massenquartiere auszuweichen."
Dieser Notfall wird nun vermutlich für viele eintreten: 2.000 Jugendliche
haben noch keinen Schlafplatz. Etliche von ihnen werden in
Gemeinschaftsunterkünften und Schulen nächtigen müssen, das katholische
Erzbistum Berlin und Bezirke haben eine Urlaubssperre für Schulhausmeister
verhängt. Taizé war zu wenigen Leuten ein Begriff, meint Kwaschik, der mit
seiner Frau sieben Leute in einer Zweizimmerwohnung aufnimmt. "Aber wenn es
losgeht und all die jungen Menschen hier sind, hat die Stadt noch mal die
Gelegenheit", sagt er. "Berlin wird Taizé kennenlernen und so schnell nicht
mehr vergessen."
23 Dec 2011
## AUTOREN
Karen Grass
## TAGS
sexueller Missbrauch
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