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# taz.de -- Test zur Behandlung von Rheuma & Asthma: David gegen Goliath
> Eine kleine Firma hat einen Test entwickelt, der die Dosierung teurer
> Arzneien für chronisch Kranke reduzieren könnte. Ein Pharmariese will
> dessen Verbreitung verhindern.
Bild: Wenn teure Medikamente genauer dosiert werden, könnte das die Einnahmen …
Pavel Strohner hat eine Erfindung gemacht. Das Gerät, das er dafür nutzt,
sieht für Laien aus wie ein roter CD-Player, in den eine Palette mit
winzigen Reagenzgläschen eingeschoben wird. Mit Hilfe von Licht,
eingefärbten Blutserumproben und einem Computerprogramm kann man damit
feststellen, in welchem Umfang ein sehr teures Asthmamedikament bereits
gewirkt hat.
Das aber passt Novartis, dem Hersteller der Arznei, ganz und gar nicht:
Schließlich wird das Medikament bisher ausschließlich nach den Blutwerten
und dem Körpergewicht des Patienten vor Behandlungsbeginn dosiert. 6.000
bis 50.000 Euro kostet so eine Therapie pro Patient und Jahr. Dagegen ist
ein Test von Strohner schon für 85 Euro zu haben. Sein Einsatz könnte die
satten Einnahmen von Novartis merklich schmälern, sollten Ärzte ihre
Dosierung aufgrund der Testergebnisse reduzieren. Schon zweimal hat der
Pharmakonzern deshalb einen Prozess gegen Strohners kleine Firma Biotez
angestrengt. Das offensichtliche Ziel: Fachärzte sollen gar nicht erfahren,
dass es das neue Diagnoseinstrument gibt.
Vor einigen Jahren kam Pavel Strohner auf einem Fachkongress über
Autoimmunerkrankungen mit einem Vertreter eines Pharmakonzerns ins
Plaudern. Die Industrie entwickelt zunehmend gentechnisch hergestellte
Medikamente gegen Asthma und Rheuma, die darauf abzielen, aus dem Ruder
gelaufene Abwehrreaktionen des Körpers zu bremsen. Dabei sollen möglichst
viele der krankheitserzeugenden Eiweiße - Targetproteine - gebunden werden.
Das funktioniere auch sehr gut, berichtete ihm der Angestellte des
Arzneimittelherstellers. Doch es gebe ein Problem: Nach Beginn der Therapie
sei es nicht mehr möglich, herauszufinden, wie viele Targetproteine noch
frei und wie viele bereits eingefangen seien. Mit anderen Worten: Bevor die
Behandlung beginnt, kann der Arzt genau feststellen, wie viel des
krankmachenden Stoffs sein Patient im Blut hat. Danach aber verordnet er
sozusagen im Blindflug, denn Eiweiße, die bereits unschädlich sind, werden
weiter mitgemessen. Somit sei eine Überdosierung in vielen Fällen
programmiert, klagte der Pharmamann.
## Patentiertes Verfahren
Diese Frage elektrisierte Strohner, der ein kleines Biotechunternehmen in
Berlin-Buch mit 20 Angestellten leitet. Der 65-jährige Chef von Biotez ist
promovierter Chemiker und hat sich immer auch leidenschaftlich mit
biologischen und mathematischen Problemen beschäftigt. Innerhalb von zwei
Jahren gelang es ihm, eine Bestimmungsmethode zu entwickeln, die die
ausgeschalteten Schadproteine von den noch freien unterscheidbar macht. Er
nannte den Test recoveryELISA.
Dass das inzwischen patentierte Verfahren funktioniert, hat Strohner
bereits mit zwei Prototypen für ein Asthma- und ein Rheumamedikament
nachgewiesen. Von der Bedeutung seiner Erfindung konnte er 2007 eine
international besetzte Jury überzeugen, die damals über den
Biopharma-Strategiewettbewerb des Bundesforschungsministeriums entschied.
Sie wählte sein Projekt als einen von zehn "wissenschaftlichen
Leuchttürmen" aus. Ein wichtiges Kriterium war "die Neuheit, die
Originalität und das Marktpotenzial der geplanten therapeutischen
Entwicklung", hieß es in der Begründung.
Nun sollte Biotez eine detaillierte Projektplanung ausarbeiten. Die legte
Strohner vier Monate später auf den Tisch: Er wollte für acht in
Deutschland zugelassene Biotechmedikamente jeweils ein passendes
Diagnostikum entwickeln und so die allgemeine Anwendbarkeit seines Prinzips
nachweisen. Das ist ohne Zweifel sehr sinnvoll: Schließlich wächst kein
anderer Bereich der Pharmaindustrie schneller als der Markt für
Antikörpertherapien. 2006 wurden damit weltweit etwa 26 Milliarden Dollar
umgesetzt, in fünf Jahren sollen es bereits 40 Milliarden US-Dollar sein.
Hunderte derartiger Medikamente durchlaufen derzeit klinische Studien.
Mehrere Universitätskliniken waren sehr interessiert und erklärten ihre
Bereitschaft, mitzuwirken. Darüber hinaus stellte Strohner ein Konsortium
zusammen, das die Komponenten herstellen sollte. Doch ein zweiter Antrag
wurde abgelehnt. Das mit der Abwicklung des Förderprogramms beauftragte
Forschungszentrum Jülich begründete das so: Therapiekontrolle sei "ein
Produkt mit unsicherer Vermarktungsperspektive". Diese Einschätzung
widersprach komplett der der ersten Jury, die gerade das bedeutende
Marktpotenzial hervorgehoben hatte.
Das Projekt schien damit gestorben. Auf 4,2 Millionen Euro hatten Strohner
und seine Projektpartner die Entwicklungskosten bis zur Marktreife
kalkuliert, knapp die Hälfte davon sollte durch staatliche Fördergelder
gedeckt werden. Für ein kleines Unternehmen wie Biotez schien es unmöglich,
über 2 Millionen Euro selbst aufzubringen.
## Ethische Verpflichtungen
Doch Pavel Strohner wollte nicht aufgeben. "Ich habe auch eine ethische
Verpflichtung gespürt: Für die Patienten ist es besser, nicht unnötig viel
von einem Medikament zu nehmen. Und volkswirtschaftlich ist es auch gut:
Schließlich sind Biopharmaka extrem teuer und kosten die Krankenkassen
Milliarden." Angst machte ihm die Konfrontation mit den Großkonzernen
nicht. Es ist nicht das erste Mal in seinem Leben, dass er sich mit
Mächtigen anlegt: In der DDR gehörte er zum Kern des Neuen Forums. Er
entschloss sich, in kleinen Schritten voranzugehen.
Zunächst konzentrierte er sich auf den Asthmawirkstoff Omalizumab. Die
Nachfrage danach steigt deutlich, weil immer mehr Menschen an schwerem
Asthma leiden. Allein in Deutschland sind etwa 400.000 Kinder betroffen,
schätzt Jens-Oliver Steiß von der Universitätsklinik in Gießen. Er setzt
Omalizumab bei einigen besonders schwer betroffenen Mädchen und Jungen ein.
Seine Erfahrungen sind positiv: Eine Patientin, die früher durchschnittlich
vier oder fünf Tage im Monat in der Schule fehlte und keinerlei Sport
treiben konnte, spielt jetzt sogar in einer Fußballmannschaft. Alle zwei
Wochen bekommt das Mädchen eine Spritze mit dem Asthmawirkstoff.
"Ich denke, dass die empfohlene Dosierung auf Dauer zu hoch ist", sagt
Kinderarzt Steiß. Dass es dank Biotez jetzt ein Kontrollinstrument gibt,
findet er sehr hilfreich. "Eine jahrelange Therapie mit Omalizumab, die
sich ausschließlich vor Therapiebeginn am Körpergewicht und dem Gesamt-IgE
(Target-Protein bei Asthma, d. Red.) orientiert, ist zu einfach und wird
meiner Ansicht nach den komplexen Wirkungsmechanismen von Omalizumab auf
Dauer nicht gerecht."
Dem stimmt auch die Lungenärztin Stephanie Korn von der Mainzer
Universitätsklinik zu. Sie sieht noch großen Forschungsbedarf. So habe sich
herausgestellt, dass die Omalizumab-Therapie bei etwa einem Viertel ihrer
Patienten nicht anschlug. Warum, sei noch unklar. "Der Test ist für die
Forschung sehr sinnvoll, weil er uns messbare Daten liefert."
## Klage abgewiesen
Direkt nach der Markteinführung des recoveryELISA beauftragte Novartis eine
große Hamburger Rechtsanwaltspraxis und erwirkte bei Gericht eine
einstweilige Verfügung: Strohners Firma sollte zentrale Aussagen von ihrer
Internetseite streichen. Eine empfindliche Geldstrafe und Ordnungshaft bis
zu zwei Jahren wurden bei Zuwiderhandlung angedroht. Beim ersten Prozess
ließ sich Strohner noch auf einen Vergleich ein. Beim zweiten
Gerichtstermin riet ihm sein Anwalt, auf ein Urteil zu bestehen.
Schließlich bestreitet Novartis nicht, dass der Test funktioniert und
korrekt misst. Stattdessen argumentierte der Advokat des Konzerns, dass
Ärzte die Messergebnisse missverstehen und sich aufgefordert fühlen
könnten, die Therapie ganz abzubrechen. "Sie interpretieren da was rein,
was wirklich nicht da steht", beschied der Richter am Hamburger Landgericht
und schmetterte die Klage ab.
Doch es ist ein langer Weg, bis ein Testverfahren tatsächlich im breiteren
Maßstab angewandt wird. Während Krankenhäuser - sofern sie davon erfahren -
das Diagnostikum aus dem Hause Biotez jetzt schon einsetzen können, gilt
das für niedergelassene Ärzte nicht. Dazu müsste es erst in den Katalog
abrechnungsfähiger Produkte aufgenommen werden. Über den bestimmt der
Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Krankenkassen, Ärzten und
Krankenhäusern. Das Gremium verlangt eine klinische Studie, deren Kosten
auf 500.000 bis 2 Millionen Euro zu veranschlagen sind. Um die
aufzubringen, rät der Zuständige, den Bock zum Gärtner zu machen. Stefan
Sauerland, Leiter des Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren beim Institut
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das den
Gemeinsamen Bundesausschuss wissenschaftlich berät, schlägt vor: "Wenn der
Medizinproduktehersteller die Kosten nicht tragen kann, hielte ich es für
sinnvoll, wenn der Medikamentenhersteller hier mithilft, denn auch er würde
ja davon profitieren, dass sein Medikament besser dosiert und damit
vermutlich nebenwirkungsärmer eingesetzt werden kann."
Die Biotez-Truppe ist zäh: In ein paar Monaten will sie ein Diagnostikum
auf den Markt bringen, das die Wirksamkeit des Rheumamittels Adalimumab
misst. Damit legt sich die kleine Firma aus dem Nordosten Berlins erneut
mit einer Supermacht an. Der US-Pharmakonzern Abbott hat mit Adalimumab
2010 etwa 7 Milliarden Dollar verdient.
3 Jan 2012
## AUTOREN
Annette Jensen
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