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# taz.de -- Palästinensische Rennfahrerin Noor Daoud: Keiner kann sie stoppen
> Viele Palästinenserinnen in ihrem Alter denken übers Heiraten nach. Noor
> Daoud über ein neues Auto. Erst kürzlich gewann sie ein israelisches
> Autorennen.
Bild: Die meisten Männer staunen, wenn Noor den Helm abnimmt.
RAMALLAH taz | Hinter der israelischen Sperranlage im Westjordanland gibt
es nur zwei Richtungen. Links führt es scheinbar ins Nirgendwo, rechts in
die Ausläufer der Palästinenserstadt Ramallah. Von dort kommt ein großer
Jeep angebraust, darin eine von Palästinas erfolgreichsten Rennfahrerinnen:
Noor Daoud, 22 Jahre alt, Palästinenserin, diesjährige Gewinnerin des
ersten israelischen Formel-3-Autorennens für Frauen.
Es war eine Zweitageveranstaltung in der Wüste von Eilat am Roten Meer. Ein
Rennen im Stil des Grand Prix - zwar kein offizielles, aber
nichtsdestotrotz: Noch nie haben Palästinenser an einem israelischen Rennen
teilgenommen und auch noch gewonnen. Sie ist die erste.
In der Nobelboutique ihrer Mutter auf den edleren Vorstadthügeln von
Ramallah zeigt Noor die Ausgabe einer palästinensischen Zeitung mit Fotos
von ihr. "Die sind stolz auf mich", sagt sie. "Jeder hier ist stolz auf
mich und unterstützt mich." Aber warum war sie die einzige Palästinenserin
im Rennen? Schließlich gibt es doch ein ganzes Team weiblicher
Rennfahrerinnen im Westjordanland, das sich Speed Sisters nennt.
"Die, die sich beworben haben, haben die Tests nicht bestanden", sagt Noor.
Andere konnten nicht teilnehmen, weil sie keinen israelischen
Personalausweis haben, so wie Noor, die in Ostjerusalem gemeldet ist. "Und
außerdem …", sie zögert etwas, "gibt es die Speed Sisters eigentlich nicht
mehr."
## Auf Facebook zermobbt
Das kommt etwas plötzlich, schließlich sind die sechs - neben Noor Betty
Saadeh, Mona Ennab, Maysoon Jayyusi, Marah Zahalka und Suna Aweida - recht
präsent in der internationalen Presse. Das Frauenteam wird vom britischen
Konsulat finanziell unterstützt, einen Film über sie soll es auch bald
geben. Und erfolgreich sind sie auch: Nicht nur Noor, auch Teamkollegin
Betty Saadeh hat bereits diverse Rennen gewonnen.
Was ist also innerhalb der letzten Wochen mit den Speed Sisters passiert?
"Es gab Probleme …", weicht Noor aus, bis es plötzlich aus ihr
herausplatzt: Sie sei von zwei ihrer Exkolleginnen auf Facebook gemobbt
worden, weil sie in Israel gefahren ist. Als die beiden dann öffentlich
über die Palästinensische Motorsportvereinigung und deren Vorsitzenden
Chaled Qadura lästerten, sah der sich gezwungen, gerichtlich gegen sie
vorzugehen.
"Es ist nicht so, dass es das Team nicht mehr gibt", sagte er.
"Möglicherweise trennen wir uns von einer Fahrerin. Wir wollten es dabei
belassen sie für ein Jahr zu sperren, aber sie hat entschieden, ganz
aufzuhören. Dafür gibt es aber drei neue Fahrerinnen, zusätzlich zu den
verbleibenden vier."
## Zwischen Neid und Verrat
Für Noor ist es einfach eine neue Herausforderung, in Israel gegen Israelis
zu fahren, sagt sie. Aber Kolleginnen, die nicht dieselben Privilegien
genießen, könnten das als Verrat ansehen. Letztendlich habe das aber
weniger mit der israelischen Besetzung der Palästinensergebiete zu tun,
sagt Noor: "Es ist purer Neid."
Die Geschichte der Speed Sisters - ein Stück weit repräsentiert sie, was
aus Palästina geworden ist: ein geteiltes und durch Siedlungen und
Checkpoints zerfasertes Land mit versprengten Städten und Menschen, deren
Lebensstile, Bildung und Wohlstand häufig von ihrem Ausweis abhängen.
Noor hat einen amerikanischen Pass und ist schon ziemlich herumgekommen.
Sie war auf einem Schweizer Internat und hat in Miami Sport studiert. Ihren
Vater kennt sie nicht. Zwar schlägt ihr Herz jetzt in erster Linie für den
Rennsport, aber sie war auch schon im olympischen Schwimmerinnenteam und in
der Fußballnationalmannschaft. Für Palästina und für Israel. Was dazu
geführt hat, dass sie nun für keines der Teams mehr spielt.
## "Sie haben gestaunt, als meine Mähne zum Vorschein kam"
Von der Terrasse ihres schicken Hauses aus kann man die Skyline von Tel
Aviv sehen. Drei Etagen tiefer, in der Garage, steht ihr 1998er BMW, den
sie vollends entkernt hat, bis auf Lenkrad, Fahrersitz und Gangschaltung.
Der Wagen hat Hinterradantrieb. "Betty hat Vorderradantrieb, darum ist sie
schneller", sagt Noor und findet, jetzt, nach ihrem Erfolg in Eilat, sei
endlich ein neuer Wagen fällig. Schließlich will sie auch internationale
Erfolge feiern. "Und wenn ich sage, ich will ein neues Auto, werde ich auch
ein neues Auto bekommen. Und wenn ich mir wie in Eilat vornehme zu
gewinnen, dann gewinne ich."
Das Wasser des BMWs läuft ständig aus, deswegen muss Noor dauernd Wasser
aus zweckentfremdeten 2-Liter-Colaflaschen nachfüllen. Weder sie noch ein
befreundeter Mechaniker konnten den Schaden selbst beheben, also muss der
Wagen in die Werkstatt. Als ein Mann in einem Auto vorbeifährt und Noor im
Rennanzug an ihrem Wagen lehnen sieht, gibt er Gas und schleudert seinen
Wagen um die kleine Wegkurve. Imponiergehabe. "Sein Wagen ist wahrlich
nicht dafür gedacht", sagt Noor kopfschüttelnd.
Führen sich Männer immer so auf, wenn sie eine Frau am Rennsteuer sehen?
"Die meisten männlichen Rennfahrer waren erst mal skeptisch. Sie haben mir
beim Rumkurven zugesehen und gestaunt, aber als ich den Helm abgenommen
habe und meine Mähne zum Vorschein kam, da konnten sie es kaum fassen",
sagt sie. Inzwischen würde aber bei Rennen nach ihr gefragt: "Wo ist denn
die mit dem schwarzen BMW?"
## Schleuderkurven ohne Training
Trainieren würde sie nämlich eigentlich gar nicht, sagt Noor. "Ich fahre
und improvisiere. Dort hinten in der Nähe des Checkpoints und des
Gefängnisses fahren wir manchmal ein paar Runden." Sie zeigt hinüber zum
Ofergefängnis, einem der größten im Westjordanland, das anlässlich der
vielen Verhaftungen nach der zweiten Intifada von den Israelis gebaut
wurde.
Die Schleuderkurven, die Noor vor diesem Bau hinlegt, präsentiert sie auch
bei Rallys Tausenden von Fans in Ramallah, Jericho oder Bethlehem. Wenn
Noor sagt, "wir fahren dort manchmal", meint sie immer Betty und sich.
Zusammen mit den männlichen Rennfahrern.
Demnächst könnten sie alle, männliche wie weibliche Fahrer, auch einen
richtigen Trainingsplatz bekommen. Denn der palästinensische Präsident
Abbas habe 3.000 Quadratmeter in Jericho als Rennstrecke freigegeben, sagt
der Motorsportvorsitzende Qadura - jetzt müsse er noch finanzielle
Unterstützer für das Projekt in anderen arabischen Ländern und in Europa
finden.
## Gegen die Einsamkeit
Beim Verlassen der riesigen Wohnung im französischen Landhausstil, die sie
allein mit ihrer Mutter bewohnt, geht sie an einem Klavier vorbei. "Ich
habe sechs Jahre lang gespielt, aber fast alles vergessen. Bis auf einen
Song, weil ich ihn so oft gespielt habe - den aus dem Film ,Titanic'. Also
spiele ich ihn manchmal noch, wenn mir langweilig ist." Das kann ja nicht
sehr häufig sein, bei all dem Sport und Freunden und Fitness-Training? "Ich
fühle mich oft einsam. Ich habe nicht viele Freunde. Ein paar Israelis und
Betty. Hier kann man nicht einfach mit denen befreundet sein, die man mag."
Betty Saadeh ist nicht nur Noors Rennfahrerkollegin, sondern auch ihre
beste Freundin in Ramallah. Zehn Jahre älter als Noor, geschieden, Mutter
von Zwillingen. Und hat doch vier von fünf Rennen im Westjordanland 2011
gewonnen. Plus vier Siege in Jordanien.
Als gebürtige Mexikanerin arbeitet Betty im mexikanischen Konsulat in
Ramallah. Weil die Blondine stets mit perfekt gezogenem Lippenstift und
manikürten Fingernägeln auftritt, wird sie von Männern an den Rennorten
manchmal nicht ernst genommen. Ein großer Fehler, sagt ihre Freundin Noor.
Und was ist mit Noor selbst? Denken die meisten muslimischen Mädchen in
ihrem Alter nicht langsam übers Heiraten nach? "Ja. Das könnte nicht weiter
entfernt von meinem Leben sein. Ich glaube überhaupt nicht an die Ehe."
## Mit 200 geblitzt
Deswegen fährt sie so oft es geht nach Tel Aviv, um dort ihre Freunde zu
treffen. "Bei meinem Tempo brauche ich nur 30 Minuten", behauptet Noor.
Aber diese Tage sind vorerst vorbei, denn sie ist ihren Führerschein los.
Weil sie auf der Autobahn mit 200 Stundenkilometern geblitzt wurde.
Die Musik hatte sie so laut aufgedreht, dass sie weder die
Lautsprecherdurchsagen noch die Sirene der fünf Polizeiwagen hörte, die sie
verfolgten. Keiner konnte sie stoppen. Als sie schließlich begriffen hatte
und rechts rangefahren war, waren die Polizisten überrascht, dass eine Frau
am Steuer saß. Vor allem aber, weil noch nie jemand mit über 200
Stundenkilometern über die Autobahn gerast ist - erlaubt ist in der Regel
gerade einmal Tempo 100.
Noor hat sich daraufhin tränenreich entschuldigt. Denn für dieses Vergehen
hätte sie ins Gefängnis kommen können. "Es blieb zum Glück beim
Führerscheinentzug für ein Jahr", sagt sie, während sie ihren Wagen durch
die Straßen von Ramallah lenkt. "Das hier ist Ramallah, das ist was
anderes. Die wissen, ich fahre Autorennen, also lassen sie mich in Ruhe."
6 Jan 2012
## AUTOREN
Julia Niemann
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