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# taz.de -- Ein Bekenntnis zur FDP: Die Erben des Asterix
> Egal, ob sich die FDP der Gegenwart mit Populismus, Realitätsverlust,
> seltsamem Personal oder Selbstzerfleischung lächerlich macht: Ich wähle
> die Liberalen.
Bild: Widerstand und innerfamiliäre Corporate Identity: Die FDP als Erben des …
Immer wenn ich Bekannten erzähle, dass ich nach wie vor FDP wähle, ernte
ich zunächst meist ungläubiges Staunen, das schnell in politisch korrekte
Empörung mündet: Über am Boden Liegende mache man keine Scherze, egal ob
die Ursache ihres Sturzes im blinden Stolpern über Fünfprozenthürden oder
in einem fehlgesprungenen Einzelstern à la Möllemann zu suchen ist.
Manchmal eilt mir dann ein wohlmeinender Freund zu Hilfe, die FDP sei
schließlich selber schuld. Wie der Führer weiland im April 45 sitze sie in
ihrem Bunker und verschiebe wahnhaft Wählerpotenziale, die längst
aufgerieben sind, während der Abstand zwischen vermuteter Westfront
(Saarland) und Ostfront (Berlin) sich auf die Distanz zwischen Rednerpult
und halbleerer erster Reihe beim Stuttgarter Dreikönigstreffen der
Liberalen angenähert habe.
Eine Strecke folglich, die jede lahme Ratte beim Verlassen des sinkenden
Schiffs (Lindner) mühelos in wenigen Sekunden zurücklegt. Da sei Spott sei
sogar noch das Mildeste, denn streng genommen bliebe nach genauer
Bilanzierung sämtlicher Faktoren von A wie Asozialität bis Z wie
Zwecklosigkeit im Grunde nur noch die Konsequenz des Parteiverbots.
Doch keiner dieser Punkte spielt für mich die geringste Rolle. Mir ist
völlig egal, in welcher Form sich die FDP von heute lächerlich macht: ob
durch Populismus, Realitätsverlust oder Selbstzerfleischung. Ich wähle die
FDP, weil sie nun mal da ist, ein liebgewonnenes Relikt meiner Kindheit.
## Genscher und die FDP
Die Freien Demokraten standen für mich im Zentrum meiner ersten politischen
Wahrnehmung. Denn auch ohne das geringste Interesse geschweige denn Kapé
(hier sprießt bereits der Keim des späteren FDP-Wählers!) beginnt die
unbewusste politische Sozialisation schon sehr früh.
Die Gespräche der Erwachsenen, die seltsame Wichtigkeit induzierende
Intonation, das Küchenradio, der Fernseher - all die Namen prägten
gehirnwäscheartig meinen kleinen politischen Kosmos: Brandt, Strauß,
Schmidt. Nixon, Ford, Breschnew. Franco, der böse gewesen sein soll, und
starb. Und schließlich Genscher und die FDP. Das war die Partei, die meine
Eltern wählten. Das wusste ich. Sie mussten es einfach tun, sie waren
Ärzte.
Das Lebensalter, in dem man sich für die eigenen Eltern zu schämen beginnt,
hatte ich noch lange nicht erreicht. Eine Art innerfamiliäre Corporate
Identity war Trumpf, selbst das spießige Auto des Vaters wurde gegen
Außenstehende mit aller Macht verteidigt. Die FDP waren für mich also
selbstverständlich die Guten.
Von meiner Mutter ließ ich mir die Zusammenhänge notdürftig erklären: Die
FDP war eine Partei der Mitte. Und die Mitte ist gut, weil vernünftig.
Nicht schwarz und nicht weiß. Mitte war das Graubrot, das wir aßen, und der
Mittelklassewagen, den wir fuhren. Die großen Volksparteien (die damals
ansatzweise noch Konturen aufwiesen) würden, ungebremst von dieser kleinen,
tapferen und schlauen Partei unserer Wahl nichts als gefährlichen Unsinn
anstellen.
Da ich früh angefangen hatte, Asterix zu lesen, konnte ich mit dem Prinzip
des Widerstands schon etwas anfangen. Nur die Beschaffenheit des Unsinns
war mir unklar. Erst später ahnte ich, dass damit die Umverteilung des
Wohlstands gemeint sein musste. Sehr vorausschauend von meinem Alten, der
zu jener Zeit als alleinverdienender Assistenzarzt noch alles andere als
rosig aufgestellt war.
## Die Reichen sind reicher geworden, die Armen ärmer
Seitdem sind etliche Jahre vergangen. Die Reichen sind reicher geworden,
die Armen ärmer, der Ton hat sich verschärft, mit dem man die Lager
gegeneinander ausspielt. Heute wird die Hetze von Demagogen mit
SPD-Parteibuch erledigt - die FDP hat auch noch ihre letzte Kernkompetenz
abgegeben.
Und mit dieser die Mitglieder, Parteifunktionäre, Wähler. Nur ich bin
geblieben und entdecke immer neue anziehende Seiten an den Dauerlosern. Da
wäre zum Beispiel diese kleintierhafte Possierlichkeit des
Parteivorsitzenden, die ich an den abgefeimten Politcracks sonst vermisse.
Dazu passend und durchaus sympathisch ist mir, dass Philipp Rösler dem
Vernehmen (FDP-Generalsekretär Döring) nach "kein Kämpfer" ist.
Diese Eigenschaft beinhaltet für mich, neben dem charmanten Drückebergertum
der Exdoktortitelträgerin Koch-Mehrin, das größte persönliche
Identifikationsmoment, das sogar die Selbstgerechtigkeit und soziale Kälte
des neoliberalen Chaos-Clubs emotional mehr als aufzuwiegen vermag. Wir
alle sind doch typische Vertreter der gar nicht mal so kleinen, in der
Charakterkonsistenz ein wenig weinbergschneckenähnlichen Gruppe mittelalter
Pseudosensibler, die im Kino schon bei der Reklame weinen.
## Der letzte "Penner"
Hätte ich obendrein noch Geld (möglichst ererbt oder im Rahmen einer
keinerlei Mehrwert schaffenden Tätigkeit erworben), wäre ich der ideale
FDP-Wähler. So aber kann ich mir immerhin das Alleinstellungsmerkmal des
landesweit einzigen Fans mit prekärem materiellem Hintergrund an die
ausgemergelte Brust heften.
Bis vor kurzem waren wir noch zu zweit, doch nachdem der Frührentner
Manfred Gelp aus Waltrop als Spätfolge einer bei einer Kneipenschlägerei
erlittenen Hirnverletzung zum Segen seiner ehemaligen Nachbarn sowie
unzähliger argloser Passanten endlich entmündigt wurde, bin ich der letzte
"Penner" (Parteijargon für die Verdienstgruppe unter 20.000 Euro im Jahr),
den jeweils zu Weihnachten und Genschers Geburtstag die in Büttenpapier
gestanzten Glückwünsche aus der Bundesparteizentrale in der Reinhardtstraße
erreichen.
Umso stolzer kann ich sein, da sich mittlerweile nicht einmal mehr die
Crème der klassischen Klientel traut, FDP zu wählen, denn wer hat schon
Lust, seine Stimme zu verschenken und sich darüber hinaus noch lächerlich
zu machen - der beharrliche Idealismus eines notorischen KPD/ML-Wählers
geht den aalglatten Geldsammlern naturgemäß ab.
Meine Eltern sind ohnehin schon vor Jahren abtrünnig geworden. Der Vater
ist Mitglied bei den Grünen, die Mutter wählt vermutlich irgendeine Partei
mit Schwerpunkt Ordnungswahn. Nur ich halte die Fahne nach wie vor hoch.
Die hat übrigens dieselben Farben wie mein Lieblingsverein. Ich denke, das
ist am Ende auch der eigentliche Grund.
10 Jan 2012
## AUTOREN
Uli Hannemann
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