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# taz.de -- Inklusion von Behinderten in Deutschland: "Viele haben im Kopf eine…
> Menschen mit Behinderung gehören überall dazu, auch in den Schulen, sagt
> Martin Georgi von "Aktion Mensch". Und zeigt Verständnis für wütende
> Eltern.
Bild: Sollte selbstverständlich sein: Teilhabe im Alltag.
taz: Herr Georgi, 2012 soll das Jahr der Inklusion werden. Auch die Aktion
Mensch findet dieses Thema wichtig. Was ist Inklusion eigentlich?
Martin Georgi: Inklusion drückt eigentlich etwas Selbstverständliches aus:
dass Menschen mit Behinderung in allen Bereichen des Lebens von Anfang an
dabei sind. Dass sie dazugehören - egal, ob es sich um Schule, Arbeit oder
Freizeit handelt. Mit dem Begriff der Inklusion kann in Deutschland kaum
jemand etwas anfangen, während bezeichnenderweise jeder sofort die Worte
exklusiv und Exklusion versteht.
Woran liegt das?
Viele Menschen haben im Kopf eine Barriere - und die ist viel wirksamer als
die Einschränkung, die Menschen mit Behinderung selbst haben. Viele Bürger
begegnen im Alltag kaum Menschen mit Behinderung. Und wenn sie auf diese
treffen, sehen sie nur ein vermeintliches Defizit, ein Sorgenkind. Unsere
Organisation hieß früher auch so, heute nennen wir uns einfach: Aktion
Mensch. Das sollte die ganze Gesellschaft lernen. Es geht um Menschen,
nicht um Sorgenkinder.
Wie weit ist Deutschland mit der Inklusion behinderter Menschen, die ja
immerhin in einer völkerrechtlich bindenden UN-Konvention steht?
Als Organisation sind wir enttäuscht. In Deutschland tut sich unseres
Erachtens noch viel zu wenig. Die UN-Konvention für die Rechte von Menschen
mit Behinderungen ist ja nicht vom Himmel gefallen. Die wurde jahrelang
vorbereitet und diskutiert, seit März 2009 ist sie bereits in Kraft.
Immerhin gibt es einen Nationalen Aktionsplan.
Den gibt es, das finden wir als ersten Schritt auch gut. Die
Bundesregierung verwendet ja sogar das Wort Inklusion, obwohl sie es lange
Zeit vermieden hat, das zu tun. Dennoch, der Aktionsplan ist aus der Sicht
der Menschen mit Behinderung nicht ausreichend: Er ist überwiegend eine
Ansammlung von bereits Bestehendem und von Absichtserklärungen.
Wo sehen Sie die Schwächen?
Die liegen eindeutig auf der politischen Ebene. Bei der Politik ist noch
nicht angekommen, dass das Thema Menschen mit Behinderung keine Randgruppe
betrifft, sondern ein Querschnittsthema durch alle Politikfelder hindurch
ist. Es gibt in Deutschland rund 10 Millionen Menschen mit einer
Behinderung, die in ihrem Alltag, aber vor allem durch widrige Bedingungen
behindert werden. Viele Politiker glauben, mit ein paar warmen Worten ist
diesen Menschen geholfen. Das ist aber falsch. Die Barrieren aller Art
müssen weg. Dazu haben sich die Politiker verpflichtet, denn aus der
Konvention ergibt sich unmittelbar geltendes Recht. So haben alle Kinder
zum Beispiel das Recht, auf eine wohnortnahe Regelschule zu gehen.
Das ist eine der wichtigsten Forderungen der UN-Konvention für Deutschland:
dass aus seinem extrem exklusiven Schulsystem mit vielen Spezial- und
Sonderschulen ein inklusives wird. Ist das überhaupt machbar?
Es wird zum Schuljahresbeginn 2012 nicht über Nacht lauter inklusive
Schulen geben. Das ist klar. Aber selbstverständlich ist Inklusion machbar.
Viele Schulen haben sich schon auf den Weg gemacht, inzwischen kommt auch
sukzessive politische Unterstützung aus den Bundesländern dazu. Insgesamt
stehen wir sicher vor einem Prozess, der sich über einige Jahre hinziehen
wird.
Was tun Sie dafür?
Wir unterstützen jene bahnbrechenden Schulmodelle, die es heute schon gibt.
Und wir versuchen, sie dabei besser sichtbar zu machen - sodass andere
Schulen lernen können, wie man inklusiven Unterricht für sehr heterogene
Gruppen ermöglicht. Die Sophie-Scholl-Schulen in Bad Nauheim und in Gießen
sind solche Schulen. Auch der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe
nimmt mit einem Verbund von fünf deutschen Schulen auf dem Weg zum
gemeinsamen Lernen eine Vorreiterrolle ein. Es gibt noch viel mehr solcher
Beispiele.
Was ist das Ziel?
Das ist sehr klar in der UN-Konvention beschrieben. Kinder mit
sonderpädagogischem Förderbedarf müssen das wohnortnahe Angebot einer
Schule bekommen, in der Inklusion Realität ist. Das bedeutet, niemand soll
mehr gegen seinen Willen 30 oder 40 Kilometer fahren müssen, um eine
geeignete Schule besuchen zu können.
Oft ist es aber genau andersherum: Da werden etwa in Augsburg zwei
gehörlose Mädchen, obwohl die Regelschulen vor der Tür sie aufnehmen
wollen, als behindert diagnostiziert und sollen nun weit weg zu einer
Sonderschule fahren.
Es ist vollkommen inakzeptabel, was viele Eltern und Kinder zum Teil noch
erdulden müssen. Ich kann deren Verärgerung und Wut vollkommen verstehen.
Kinder werden von ihren langjährigen Spielkameraden getrennt, nur weil die
Schulbehörden nicht verstanden haben, dass es ein Recht auf gemeinsamen
inklusiven Unterricht gibt.
Was können Sie in solchen Fällen tun?
Wir haben ein offenes Ohr für Betroffene. Wir machen auch solche Fälle
öffentlich.
Die Kultusminister haben nun ihrerseits so etwas wie einen Aktionsplan …
… dieses Wort sollte man an dieser Stelle so bitte nicht verwenden. Wir
haben erwartet, dass die Schulminister wirklich Termine und Fristen nennen,
bis wann sie Inklusion verwirklichen wollen. Das ist nicht der Fall. Wir
brauchen aber diesen klaren Plan mit konkreten Umsetzungsvorschlägen. Die
Kinder und ihre Eltern haben ein Recht darauf.
11 Jan 2012
## AUTOREN
Christian Füller
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