# taz.de -- die wahrheit: Kirchen, Keller, Käfige | |
> Heute vor genau 1.219 Jahren, am 16. Januar 793 um zehn Uhr morgens, | |
> gründete der Missionar Liudger an einer Furt mit dem Ausruf: "Jetzt | |
> gründe ich die Stadt Münster in Westfalen!"... | |
Bild: In Münster gibt es ein Rathaus, in dem rüsselnasige und schwarzbefellte… | |
... die Stadt Münster in Westfalen. Als Allererstes baute er einen Dom und | |
ein Brauhaus, und so dauerte es auch nicht mehr lange, bis aus allen | |
Richtungen bisher versprengte Münsteraner herbeigeströmt kamen, die nun | |
endlich ein Zuhause hatten. | |
Einem inneren Instinkt folgend, begannen die Bürger sofort an jedem freien | |
Fleckchen Erde katholische Dome, Kirchen, Kapellen, kurz einen bunten | |
Strauß zahlloser Gotteshäuser in allen Formen und Farben aus dem Boden zu | |
stampfen. | |
Vorsichtige Schätzungen belaufen sich in heutiger Zeit auf vierzig- bis | |
fünfzigtausend dieser Gebäude allein in der Innenstadt, doch wirklich | |
gezählt hat sie bis heute wohl niemand. Es geht allerdings die Legende, | |
dass vor ungefähr siebzig Jahren einmal ein junger, aufstrebender | |
Stadtarchivar, an die fünfundzwanzig Jahre alt, mit der stolzen Aufgabe | |
betraut war, ebendieses zu tun. Er wurde ausgerüstet mit Bleistift und | |
Notizblock, um eine Erhebung über Anzahl, Namen und Standorte der | |
Münsteraner Kirchen durchzuführen. Frohen Mutes, so heißt es, sei er damals | |
losgezogen - nur um nie wieder aufzutauchen. Er blieb für immer | |
verschwunden. | |
Doch von Zeit zu Zeit - so wird oft am Schanktresen in einer der ebenfalls | |
zahllosen Wirtsstuben nach dem Genuss mehrerer Humpen Pinkus Pils erzählt - | |
sieht man des Abends in der Dämmerung bei Nieselregen ein schattengleiches | |
Hutzelmännchen gebückt durch die Straßen und Gassen der Stadt schleichen, | |
das mit einem kaum zu vernehmenden Stimmchen Wörter wie | |
"Zwanzigtausendsechshundertundsiebenundsechzig" oder auch | |
"Zwanigtausendsiebenhundertundeinundzwanzig" flüstert, wobei es mit fiebrig | |
glänzenden Augen und begleitet von einem leisen, leicht irren Lachen, das | |
eher wie das Rascheln trockenen Herbstlaubes klingen soll, hastige | |
Aufzeichnungen auf einem vergilbten, fast schon zerfallenden Notizblock | |
macht. | |
Heute sind die eingeborenen Münsteraner von Natur aus reich und behäbig und | |
von Geburt an in grüne Lodenmäntel gewandet. Auch tragen Männer wie Frauen | |
grüne Hüte mit Fasanenfedern auf den Köpfen, weshalb Fremdlinge, die neu in | |
der Stadt sind, die Münsteraner stets für ein Volk von Förstern halten. | |
Alle Münsteraner sind grundsätzlich verbeamtet. | |
In Münster gibt es ein Rathaus mit einem Keller, in dem Ratsherren wohnen | |
und regelmäßige Versammlungen abhalten, denn Ratsherren sind eine gesellige | |
Spezies. Der berühmte Volkskundler Prof. Dr. Ludger Sandbaumhüter, dem es | |
1999, unter einem Tarnzelt versteckt, gelungen ist, eine dieser | |
Versammlungen zu beobachten, beschreibt seine Eindrücke in dem Fachbuch | |
"Überblick über die Ratsherrenpopulation in Münster unter sozialen | |
Gesichtspunkten" (Oktober Verlag 2001). | |
Dort heißt es: "Pinkus Pils um Pinkus Pils wurde aufgetragen, die Stimmung | |
hob sich immer weiter, die alleweil übermütig vorgetragenen Anekdoten von | |
verschiedenen Ausschusssitzungen wurden frecher und frivoler. Nach jedem | |
weiteren Humpen veränderte sich die Physiognomie der Ratsherren. Bei der | |
achten Runde sahen sie alle schon ganz gleich aus, obwohl sie vorher | |
absolut verschieden aussahen: Manche hatten zuvor noch einen wilden Blick | |
oder ein zynisches Zucken um die Augen oder Mundwinkel, andere dünsteten | |
eine wohlgerichtete Arroganz über ihre Glatzenhaut aus, wieder andere | |
rochen nach Scheinen und Gold. Doch plötzlich konnte ich sie kaum mehr | |
auseinanderhalten. Alle hatten sie rote Köpfe, verquollene kleine Äugelchen | |
und violett gefärbte Nasen, die sich beinahe zu Rüsseln nach außen zu | |
stülpen schienen. Auch war mir, als wüchsen ihnen lange Hauer aus dem | |
Unterkiefer und als bekämen sie ein schwarzes Borstenfell. Und sie redeten | |
ja auch alle gleich, wenn man dieses unverständliche Gemisch aus Quieken, | |
Grunzen, und Schnauben tatsächlich noch als menschliche Sprache beurteilen | |
möchte. Mir wurde angst und bange." | |
Heute also jährt sich die Gründung Münsters zum 1.219. Mal. Nach alter | |
Tradition sperren die Münsteraner dann zum Stadtjubiläum den | |
Oberbürgermeister, den Bischof und den Architekten des Stadttheaters in | |
eiserne Käfige und foltern die drei Mächtigsten der Stadt unter lautem | |
Jubel mit glühenden Zangen, denn so feiert es sich am schönsten. | |
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebes Münster in Westfalen, altes | |
Haus! Weiter so, und halt die Ohren steif | |
16 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Corinna Stegemann | |
## TAGS | |
Hexen | |
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