# taz.de -- GESINNUNGSPFLICHTEN: Noch gilt der Radikalenerlass | |
> Nach 40 Jahren will der Bremer Senat heute den "Radikalenerlass" von 1971 | |
> abschaffen. Jahrelang haben die Opfer um ihre Rehabilitierung kämpfen | |
> müssen | |
Bild: Anfang der Achtziger Jahre: Demo gegen das Berufsverbot für Barbara Lari… | |
Heidi Schelhove gehört zu jenen, die am Ende "großes Glück" hatten, wie sie | |
selbst sagt. In den Siebzigerjahren war sie Lehrerin in Bremen - aufgrund | |
ihrer Mitgliedschaft im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) warf sie | |
der Senat 1981 mit dem "Radikalenerlass" aus dem Schuldienst. Heute ist | |
Heidi Schelhove wieder Beamtin, Professorin, ja, sogar Konrektorin für die | |
Lehre an der Bremer Universität. Und eine von rund 70 BremerInnen, die | |
Opfer des Berufsverbots wurden. Obwohl Willy Brandt selbst "seinen" | |
Radikalenerlass rückblickend als Fehler seiner Regierung bezeichnete und | |
Nachfolger Helmut Schmidt einräumte, man habe mit "Kanonen auf Spatzen | |
geschossen", ist die Verordnung in Bremen noch in Kraft - derzeit in der | |
Fassung von 1996. Heute will der Senat die Aufhebung beschließen. Am 28. | |
Januar würde sich der ursprüngliche Erlass zum 40. Mal jähren. | |
Bereits im Juli 1971, also ein halbes Jahr vor dem Radikalenerlass, hatte | |
der Bremer Senat die Berufung von Horst Holzer zum Professor abgelehnt - | |
"wegen dessen Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei | |
(DKP)". 1972 wurde Horst Griese die Einstellung als Sozialpädagoge in den | |
bremischen Schuldienst wegen seiner Kandidatur für die DKP zur | |
Bürgerschaftswahl 1971 verweigert. Auch Barbara Larisch, zuletzt in Walle | |
stellvertretende Schulleiterin, geriet damals ins Visier: Trotz sehr guter | |
dienstlicher Zeugnisse sah die Schulbehörde eine "mangelnde Bewährung" als | |
Lehrerin - Begründung war die Teilnahme an Demonstrationen gegen | |
Fahrpreiserhöhungen der BSAG und die Unterstützung des Befreiungskampfes in | |
Zimbabwe. Das bringe sie "in die Nähe des KBW", so die Behörde. Ihren | |
Entlassungsbescheid bekam Larisch 1979. | |
Viele der Berufsverbots-Opfer haben Jahre - der KBW löste sich nach 1982 | |
auf - in langwierigen Verhandlungen die Wiedereinstellung in den | |
öffentlichen Dienst erreicht und spüren jetzt noch die Folgen auf ihren | |
Rentenbezügen. Schelhove konnte 1982 ein zweites Informatikstudium beginnen | |
- nach zehn Jahren an den Unis in Hamburg und Berlin wurde sie Professorin | |
für Digitale Medien in Bremen. | |
Über Jahre hinweg hat die Bremer Schulverwaltung sich für die Berufsverbote | |
engagiert. Oberschulrat Günther Eisenhauer hat sich durch einen Erlass von | |
1975 einen Namen gemacht, in dem er die Schulleiter aufforderte, ihm | |
Beobachtungen über "extremistische" Kollegen zu melden. "Schnüffelei" sei | |
das nicht, schrieb er: "Dieser Vorwurf der Schnüffelei ist ohnehin Ausdruck | |
einer angsterzeugten und angsterzeugenden Tabubildung; ein solches Tabu ist | |
in dem Bereich politischer Aktivität unangebracht. In dieser Hinsicht haben | |
wir alle noch viel zu lernen." | |
Renate Kuhn, auch sie ein Opfer der Berufsverbote, bekam im vergangen Jahr | |
eine Urkunde - für ihr "25-jähriges Dienstjubiläum". Sie war zu dem | |
Zeitpunkt aber schon 31 Jahre im Schuldienst - wenn man die Jahre vor dem | |
Berufsverbot dazurechnet. Eine Korrektur der Urkunde lehnte die | |
Schulbehörde ab: Sie sei aus "eigenem Verschulden" aus dem Dienst entfernt | |
worden, so die Begründung im Jahre 2011. | |
16 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
Klaus Wolschner | |
## TAGS | |
Berufsverbot | |
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