# taz.de -- die wahrheit: Narkose ist für Muschis | |
> Der Anblick der Notaufnahme hatte mich nicht direkt entmutigt. Wenige | |
> Wartende, ein funktionierender Getränkeautomat, Zeitschriften, nicht | |
> älter als ein Jahr... | |
... Aus purer Naivität schöpfte ich die Hoffnung, dass demnächst eine | |
kompetente, womöglich tröstliche Fachkraft einen Blick auf meinen minütlich | |
wachsenden Mandelabszess werfen und mir helfen würde. Es geschah … nichts. | |
Der Raum und die angrenzenden Gänge jedoch füllten sich sichtlich. Besorgt | |
nach innen blickende Schwangere, ein besoffen vom Gerüst gefallener | |
Bauarbeiter, verwirrt und ohne Schuhe auf Tragen liegende Urgroßmütter | |
bildeten mit mir eine stumme Wartegemeinschaft. Einzig ein älteres Ehepaar, | |
beide mit deutlichen Blessuren im Gesicht, stritt sich leise weiter. Alle | |
Stunde einmal wehte eine Ärztin vorbei und führte einen sichtlich erlösten | |
Patienten mit sich fort. Nicht mich. | |
Mein Optimismus war längst in Fatalismus umgeschlagen. Ich versuchte mich | |
in Noterleuchtung, drosselte alle Gedanken und Erklärungsversuche und gab | |
mich dem Schmerz und der Langeweile hin. | |
Irgendwann betrat ein Wesen unbestimmten Geschlechts die Bühne und fesselte | |
allein durch seine Erscheinung die Aufmerksamkeit der Müden und Geplagten. | |
Femininer Mann? Maskuline Frau? Kesser Vater, Transe, Wasweißich? Es war | |
vom Augenschein her nicht zu entscheiden. Ah, dachte ich mir, für solche | |
gibts doch das "Schnalzen"! Dabei werden Transsexuelle immer gleich mit | |
berücksichtigt, was dann verschriftlicht so aussieht: "Professor_Innen". | |
Der Unterstrich steht für den "Schnalzer". Sprechen Sie das bitte mal nach! | |
Das ist ein bisschen umständlich, aber so viel Zeit muss sein … | |
Entschuldigt sind nur Leute mit Mandelabszess. | |
Ein minderjährig wirkender Krankenpflegeschüler führte mich schließlich ins | |
Behandlungszimmer, um mich wortlos zurückzulassen. Erlösung schien nah, ich | |
konnte mein Glück kaum fassen und freute mich doch zu früh. Auftritt | |
HNO-Arzt, Typ smart & schön. Nach einem Blick auf meine Mandeln | |
telefonierte er eine junge Frau im Kittel herbei, von der ich hoffte, dass | |
sie im Studium wenigstens fortgeschritten sei. Die Hoffnung blieb vage, | |
denn niemand stellte sich vor. Sanft umfasste der Rassemediziner die | |
Debütantin von hinten, im Begriff, ihr die Hand mit dem Skalpell zur | |
Spaltung des Abzesses zu führen. Meinem offenen wunden Mund entrang sich | |
ein Laut, der von den beiden Turteltäubchen richtig als Frage nach einer | |
Narkose interpretiert, jedoch mit Kopfschütteln und dem eher beiläufigen | |
Auftragen eines Anästhesiesprays beantwortet wurde. Der Rest des Dramas sei | |
der Leserschaft erspart … | |
Als ich meine Zunge wieder spürte, fragte ich die Dame, ob dies ihr "erstes | |
Mal" gewesen sei. Sie schien überrascht, dass ich ein richtiger Mensch mit | |
Stimme bin und antwortete mit einem glücklichen Nicken. Ich wollte dann | |
nicht weiter stören und harrte im Warteraum meines Abtransportes. Der | |
trunkene Bauarbeiter brachte es, in sein Handy röhrend, auf den Punkt: | |
"Narkose ist was für Muschis." | |
18 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Stöhring | |
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