# taz.de -- die wahrheit: Wie ich das Reisen hatte | |
> Beim Zustürzen auf die Sekunde meines Todes finde ich mich plötzlich mit | |
> schwerer Reisetasche an einem unbekannten Ort wieder und muss erkennen: | |
> "Ich reise!" ... | |
Bild: Wenn so ein Jet den Dachfirst fast ankratzt, ist das Leben erst lebenswer… | |
Beim Zustürzen auf die Sekunde meines Todes finde ich mich plötzlich mit | |
schwerer Reisetasche an einem unbekannten Ort wieder und muss erkennen: | |
"Ich reise!" Vieles fürchte und hasse ich, Reisen, zumal so überraschendes, | |
gehört unbedingt dazu. Dieses momentane Reisen ist über mich gekommen wie | |
ein Verhängnis, das mich mutwillig herumstößt und in einem alten Hotel fern | |
meiner Heimat stranden lässt. Die Dame an der Rezeption fragt mich besorgt: | |
"Kann ich Ihnen helfen?" | |
"Ich … habe das Reisen", bringe ich gequält hervor. "Gut, dass Sie sofort | |
hergekommen sind", erwidert die Frau, "wir müssen Ihre Krankenakte | |
anlegen." - "Wie kommt das?", frage ich hilflos. "Dieses Reisen?" | |
Die Antwort der Hotelangestellten verrät Sachkenntnis: "Reisen kann durch | |
Neugier und anderen Leichtsinn ausgelöst werden. Manchmal sind berufliche | |
Gründe die Ursache. Manche Menschen pflegen einen ungesunden Lebenswandel | |
und fordern damit das Reisen geradezu heraus. Gehören Sie zu diesen?" | |
Protestierend weise ich einen solchen Verdacht von mir. Die nächste Frage | |
wird gestellt: "Gibt es Vorschädigungen? Irgendwelche Ortsveränderungen in | |
der Kindheit?" - "Gott, ja, da gab es das eine oder andere …" Sie sieht | |
mich ernst, aber wohlwollend an und redet mir gut zu: "Beim Reisen ist es | |
wichtig, sich ganz ruhig zu verhalten, den Körper zu versteifen, nichts | |
anzufassen und an zu Hause zu denken. Denken Sie immer nur: ,Es geht | |
vorbei, es geht vorbei.' Die längste Zeit vergeht, wenn man nur lange genug | |
wartet. Haben Sie keine Angst, eine Reisepsychose tritt nicht zwingend auf. | |
Es muss bei Ihnen keineswegs so verlaufen wie zum Beispiel bei Hölderlin. | |
Dann zeige ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer." | |
Sie kommt hinter ihrer Theke hervor, hebt mühelos meine schwere Tasche vom | |
Boden auf, um sie leichtfüßig vor mir her ins nächste Stockwerk zu tragen. | |
Das Zimmer ist, was man gemeinhin "einfach" nennt, die Einrichtung wirkt | |
für ihr Alter gut erhalten. Mit der Auskunft "Der Arzt wird gleich nach | |
Ihnen sehen", stellt die Empfangsdame mein Gepäck ab und verlässt mich. | |
Wenig später klopft es. Der Arzt tritt ein. Er begrüßt mich höflich, stellt | |
sich auch vor, doch ich vergesse seinen Namen sofort. "Was der Welt am | |
meisten nottut", meint er dann, "ist ein starkes Zuhausebleiben der | |
Menschen." Nach einem Blick in meine Krankenakte sagt er: "Für Sie besteht | |
Hoffnung. Ich verordne Ihnen strenge Bettruhe. Die Mahlzeiten werden Ihnen | |
gebracht. Teilen Sie Ihre Wünsche bitte dem Personal mit. Gute Besserung!" | |
Schon ist er fort. Ich bleibe allein mit meinen Problemen. Das dem Reisen | |
nächstgrößere ist, dass ich mich durch den Vorgang des Schlafens ganz | |
furchtbar zu verändern pflege. Während der ersten Stunden nach dem | |
Aufwachen darf mich niemand sehen. Dieser leidige Umstand verwehrt mir | |
prinzipiell jedes Übernachten in der Fremde. Beim Anlegen der Krankenakte | |
hätte ich darauf hinweisen müssen, spätestens jedoch im Gespräch mit dem | |
Arzt. Ich höre schon die Schreie, wenn mir morgen jemand das Frühstück | |
bringt. | |
20 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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