# taz.de -- SPD-Fraktion geht in sich: Feuertaufe für Raed Saleh | |
> Fünfzehn Neulinge hat die SPD-Fraktion - und einen neuen Chef. Der will | |
> die Fraktion als neues Kraftzentrum der SPD etablieren. Manche zweifeln, | |
> ob er das schafft | |
Bild: Raed Saleh ist Chef der SPD-Fraktion. | |
Wie heißt sie denn nun, die Arbeitsgruppe? "Reko", schlägt Raed Saleh vor. | |
Soll heißen: "Rekommunalisierung". Auf der Resolution, die die SPD-Fraktion | |
am Samstag bei ihrer Klausur in Rostock verabschiedet hat, steht indes | |
"Arbeitsgruppe Daseinsvorsorge". Das eine ist ein Ziel, das andere eine | |
offene Debatte. Saleh guckt sich um in der Runde, der neue Fraktionschef | |
will sich nicht festlegen. Hauptsache, sie steht, die Arbeitsgruppe - und | |
stärkt die Fraktion in der Debatte mit dem Senat um so wichtige Themen wie | |
S-Bahn, Wasserbetriebe und Wohnungsbaugesellschaften. | |
Das dreitägige Treffen in Rostock ist Salehs Feuertaufe. Der 34-jährige | |
Spandauer mit palästinensischem Migrationshintergrund muss sich als Chef | |
der 47-köpfigen Fraktion ebenso zurechtfinden wie die Gruppe der 15 neuen | |
Fraktionsmitglieder. Ein Drittel Neue, das hat es in der SPD schon lange | |
nicht mehr gegeben. Für Saleh ist auch das Teil eines Aufbruchs. Er will | |
nicht alles anders machen, manches aber doch. Gleich zu Beginn stellt er | |
deshalb den Genossinnen und Genossen die anwesenden Journalisten namentlich | |
vor: "Damit ihr wisst, wem ihr was sagt." Weniger als Warnung war das zu | |
verstehen denn als Aufforderung. Jeder von uns ist wichtig, lautet die | |
Botschaft des neuen Übungsleiters. | |
## Positive Botschaften | |
Wirtschaft war eigentlich das Thema, zu dem sich die Abgeordneten | |
austauschen sollten. Also trug Melanie Bähr, die neue Chefin der | |
Wirtschaftsförderer "Berlin-Partner", ihre positiven Botschaften vor wie | |
eine Dauerwerbesendung im Privatfernsehen. Die neuen Senatoren versprachen, | |
auch bei Bildung, Finanzen, Stadtentwicklung und Arbeit das Thema | |
Wirtschaft nicht zu vernachlässigen, und Rita Müller-Hilmer vom | |
Meinungsforschungsinstitut infratest dimap bestärkte sie darin: | |
"Wirtschaftskompetenz ist wahlentscheidend." Allerdings konnte die | |
Politikwissenschaftlerin zum Erstaunen der Genossen nicht erklären, warum | |
die SPD in Berlin überhaupt weiter am Ruder ist. "Vor der Wahl haben sich | |
38 Prozent der Berlinerinnen und Berliner unzufrieden mit dem Senat | |
gezeigt. Bei einem solchen Wert wird eine Regierung normalerweise | |
abgewählt." | |
Trotz des Wirtschaftsschwerpunkts setzt Saleh auf der Klausur Akzente. Sein | |
offener Umgang mit den Abgeordneten unterscheidet ihn von seinem eher | |
zurückhaltenden Vorgänger Michael Müller, der nach der Wahl ins | |
Stadtentwicklungsressort gewechselt ist. "Er hat uns gleich bei der ersten | |
Sitzung seine Handynummer gegeben und gesagt: Wenn was ist, ruft an", | |
berichtet der Marzahner Abgeordnete Sven Kohlmeier. Auch die neue | |
Arbeitsgruppe, egal wie sie nun heißt, stößt bei den Genossen auf | |
Gegenliebe. "Es gibt mehr Bewerber als Plätze", freut sich Saleh. | |
"Die Fraktion geht selbstbewusst ins neue Jahr", hatte Saleh zu Beginn des | |
Treffens am Freitagmittag versprochen. Der neue Chef hat Wort gehalten. | |
Auch das nächste Versprechen ist bereits formuliert: "Die Fraktion soll als | |
neues Kraftzentrum der SPD nicht nur abnicken, was Rot-Schwarz beschließt, | |
sondern eigene Vorstellungen entwickeln", sagt ein Genosse. | |
Gute Stimmung herrscht nicht nur in der Fraktion, sondern auch auf der | |
Regierungsbank. Mit Michael Müller hat die SPD einen | |
Stadtentwicklungssenator, der das Thema Mieten endlich ernst nimmt, und | |
seine beiden neuen Staatssekretäre Christian Gaebler (Verkehr) und Ephraim | |
Gothe (Bauen) sprühen geradezu vor Tatendrang. Bei so viel positiver | |
Energie darf natürlich auch der Regierende nicht fehlen. "Wir werden bald | |
die rote Laterne abgeben", verspricht Klaus Wowereit. Gemeint ist die | |
Arbeitslosenquote: Noch ist Berlin hier mit 12,3 Prozent Schlusslicht im | |
bundesweiten Vergleich. Geht es nach Wowereit, dürfte demnächst | |
Mecklenburg-Vorpommern hinter Berlin liegen. Keine nette Geste an | |
SPD-Ministerpräsident Erwin Sellering, der den Besuch aus Berlin am Freitag | |
freundlich begrüßt hatte. | |
## Aufmüpfige Fraktion | |
Vielleicht hat die Freude auf der Regierungsbank auch damit zu tun, dass | |
die Fraktion zwar aufmüpfiger geworden ist, nicht aber unbedingt | |
schlagkräftiger. "Saleh muss in die neue Rolle noch hineinwachsen", sagt | |
ein SPD-Mann und lässt durchblicken, wie schwer das für den | |
Fraktionsvorsitzenden werden könnte. Auch Saleh selbst wirkt immer wieder | |
unsicher. Mehrfach betont er, dass Berlin nun eine "stabile Regierung" | |
brauche. | |
Hundert Tage jedenfalls bekommt Saleh nicht zugebilligt. Bereits am | |
Dienstag wird der Senat, Arbeitsgruppe "Reko" hin oder her, den | |
Doppelhaushalt 2012/2013 beschließen. Und auch die Teilausschreibung für | |
die S-Bahn liegt in der Schublade. "Jetzt gelten keine Parteitagsbeschlüsse | |
mehr, sondern der Koalitionsvertrag", sagt ein Senatsmitglied. | |
## Debatte über Parteichef | |
Vielleicht auch deshalb wollen manche in der SPD noch am neuen Machtgefüge | |
rütteln. Am Rande der Rostocker Klausur macht das Gerücht die Runde, dass | |
der Kreisvorsitzende von Friedrichshain-Kreuzberg, Jan Stöß, beim Parteitag | |
im Juni gegen Landeschef Michael Müller antreten könnte. Zwar kam das | |
Dementi umgehend: "Es ist jetzt nicht die Zeit, den amtierenden Vorstand zu | |
schwächen", sagte Stöß. Allerdings wird in einigen Kreisverbänden | |
tatsächlich eine Personaldebatte geführt. "Es ist problematisch, wenn ein | |
Mitglied des Senats gleichzeitig Landesvorsitzender ist", sagte Abgeordnete | |
Sven Heinemann vom linken Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. | |
Auch in Spandau, Salehs Kreisverband, ist man mit der Besetzung des | |
derzeitigen 33-köpfigen Landesvorstands unzufrieden. "Es ist sicher nicht | |
gut, wenn fast die gesamte Exekutive im Landesvorstand vertreten ist", | |
meint der Spandauer Umweltpolitiker Daniel Buchholz, der ebenfalls zur | |
SPD-Linken gehört. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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