Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- "Gólgota Picnic": Töten, Entfremdung und Gier
> Die Inszenierung "Gólgota Picnic" wird massiv von christlichen
> Fundamentalisten kritisiert. Dabei handelt es sich eigentlich um eine
> zutiefst moralische Veranstaltung.
Bild: Gar nicht unmoralisch: Gólgota Picnic.
HAMBURG taz | Auf der Bühne des Thalia Theaters liegen 25.000
Hamburger-Brötchen fein säuberlich nebeneinander, ein elastischer, süßlich
riechender Teppich. Zwei Klappstühle, eine Picknickdecke, frisches Gemüse
liegt herum. Die Stirnseite der Bühne ist eine einzige große Videoleinwand.
Die Zuschauer blicken von einer aufsteigenden Tribüne aus auf das Geschehen
herab.
Das ist der Schauplatz des Stückes "Gólgota Picnic", das am Montag trotz
heftiger Proteste unter anderem der Piusbrüderschaft am Hamburger Thalia
Theater im Rahmen der Lessingtage gezeigt wurde. Fundamentalistische
Christen hatten das Thalia Theater mit Protestmails und -faxen bombardiert.
Es gab indirekte Drohungen, die Aufführung mit Tränengas zu stören.
Außerdem ging die Strafanzeige einer christlichen Gruppe bei der Hamburger
Staatsanwaltschaft ein. Das Hamburger Verwaltungsgericht lehnte noch am
Montag in einem Eilverfahren einen Antrag auf ein Aufführungsverbot ab.
## Aufführungsverbot abgelehnt
Vorgeworfen wurde dem Stück des spanisch-argentinischen Regisseurs Rodrigo
García Blasphemie und Pornografie - wie bereits bei den Aufführungen des
Stücks in Madrid, Paris und Graz. Nicht ganz frei von Sensationslust,
teilte das Thalia Theater im Vorfeld mit, die Aufführung werde
möglicherweise "bei manchen die Grenze der Wahrnehmungsbereitschaft
überschreiten". Von "Zumutungen" war die Rede und von "radikalen und
verstörenden Gesten".
Und dann? Betreten drei Männer und eine Frau den Brötchen-Teppich und
tragen Texte auf Spanisch vor, die in Deutsch die Leinwand füllen. Es geht
um Luzifer, der den Menschen nichts mehr beibringen könne, weil sich die
Menschen vom Kindesmissbrauch bis zum Völkermord alle Grausamkeiten schon
selbst angeeignet hätten. Es geht um Jesus, der verrückt sei, ein Tyrann,
der nur Zwietracht bringe. Es geht um die Ikonografie der Kirche, die eine
Ikonografie der Grausamkeit und des Schmerzes sei. Und es geht um
MP3-Player, um Fußballstadien, Nikon-Kameras und Duschgel.
## Nackt am Klavier
Parallel zu den Texten gibt es abstrakte szenische Umsetzungen, deren
Details die Schauspieler auf die Leinwand hinter der Bühne projizieren. Da
wird Fleisch durch einen Fleischwolf gedreht, lebende Würmer und
Hamburger-Brötchen werden zu einem kleinen Turm von Babel gestapelt, ein
Hackfleisch-Hamburger wird zerkaut und der Schauspieler drückt den
Nahrungsbrei in Großaufnahme wieder aus dem Mund. Drei farbbespritzte
Schauspieler in Unterhosen verknoten sich ineinander, drei nackte
Schauspieler modellieren ihre Schamhaare mit Duschgel zu Zöpfchen. Am Ende
spielt ein hervorragender Pianist, nackt, über 40 Minuten lang Joseph
Haydns "Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze".
Der rote Faden der Texte und Szenen ist die Haltlosigkeit in einer
metaphysisch leeren, von Gewalt und Konsum zerrütteten Zeit. Die
Inszenierung ist ein Panoptikum der Klage aus der Perspektive der auf sich
gestellten und damit überforderten Existenz. Dabei ist die Religion nur
eine der angeklagten Instanzen. Die anderen sind der Kapitalismus und die
zerstörerischen menschlichen Triebe, die er unterstützt: das Töten, die
Entfremdung vom eigenen Körper, die Gier. Insofern ist "Gólgota Picnic"
keine blasphemische, sondern eine zutiefst moralische Veranstaltung.
Ein wiederkehrendes Motiv der Inszenierung ist der freie Fall, szenisch
übersetzt durch ohrenbetäubend laute Videobilder eines Fallschirmspringers
bei seinem Flug Richtung Erdoberfläche. Der freie Fall kommt zu Beginn des
Stücks und er kommt am Ende, ein brutaler Schlusspunkt nach dem meditativen
Haydn-Konzert. Haydn und die bürgerliche Kultur sind auch keine Lösung,
will der Regisseur damit sagen. Und schickt ein erschöpftes Publikum raus
in eine verregnete Nacht.
24 Jan 2012
## AUTOREN
Klaus Irler
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ortstermin Mahnwache: ... und führe uns nicht Versuchung
Um gegen die Aufführung des Theaterstücks "Gólgota Picnic" zu
demonstrieren, versammelten sich am Montag Abend rund 30 Katholiken vor dem
Hamburger Thalia Theater.
Intendant zum Protest gegen "Gólgota Picnic": "Die Vorwürfe sind Unsinn"
Fundamentalistische Christen protestieren gegen die Hamburger Aufführung
von "Gólgota Picnic". Der Intendant des Thalia-Theaters über nackte Körper
und Theatersicherheit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.