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# taz.de -- Leutheusser-Schnarrenberger über Freiheit: "Die FDP ist keine Mach…
> Ob Altersvorsorge oder Datenschutz: Der Staat soll Chancen schaffen, die
> der Einzelne dann aber auch nutzen muss, sagt Sabine
> Leutheusser-Schnarrenberger.
Bild: "Wir sagen: Du kannst es, pack es an! Und nicht: Es ist schwierig, also f…
taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Freiheit ist einer der wichtigsten
Slogans der FDP. Können Sie uns Ihre Idee von Freiheit umreißen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Für mich gehören Freiheit und
Verantwortung unmittelbar zusammen. Der Einzelne muss nach seinen
Fähigkeiten freie Entscheidungen treffen können in Verantwortung für
andere.
Jetzt wird's spannend: Was heißt in Verantwortung für andere?
Das Entscheidende dabei ist das Menschenbild, das alle Liberalen haben. Das
ist die Befähigung jedes Einzelnen, alle Möglichkeiten zu ergreifen.
Liberale sagen dann aber auch, dass es in der Verantwortung des Einzelnen
liegt, diese Chancen für sich zu nutzen, um teilzuhaben.
Wer im falschen Viertel geboren ist, hat Pech gehabt?
Nein, der Staat hat die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Chancen
da sind. Wir wollen die Freiheit des Einzelnen nicht aus ökonomischen
Gründen. Wir sagen: Du kannst es, pack es an! Und nicht: Es ist schwierig,
also frage andere, zum Beispiel den Staat. Das heißt aber nicht, dass die
Rahmenbedingungen alle stimmen.
Wo fehlt es?
Grundsätzlich muss die Möglichkeit der Teilhabe am wirtschaftlichen
Geschehen mit individuellen Möglichkeiten verbunden werden. Im Bereich der
Finanzmärkte bedeutet Freiheit, dass Risiken durchaus eingegangen werden
dürfen. Aber dann muss auch Verantwortung übernommen werden.
Bislang übernehmen für die Krise die Steuerzahler insgesamt und nicht etwa
die Finanzakteure die Verantwortung.
Die FDP setzt auf die richtige Regulierung der Finanzmärkte, schon zu
Oppositionszeiten. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat ungedeckte
Leerverkäufe verboten, übrigens lange vor anderen Staaten. Wir setzen auf
das Zusammenführen von Risiko und Haftung, von Entscheidung und
Verantwortung. Für den Bereich Internet und elektronische Kommunikation
bedeutet das, die Selbstbestimmung des Einzelnen zu stärken, indem
Medienkompetenz vermittelt wird. Also nicht, Datenerfassung per se zu
verbieten, sondern Datenerfassung zuzulassen – aber nur durch Transparenz,
also dass der User weiß, was mit seinen Daten geschieht.
Sie sind nunmehr seit 30 Jahren im Geschäft. Wo mussten Sie Ihre
Vorstellung von Freiheit und Regulation, also von Individuum und Staat neu
definieren?
Vom Grundsatz her eigentlich nirgends.
Was sich eindeutig verändert hat, ist die Idee von Kollektivität der
Generation 2.0. Was bedeutet diese andere Form von technisch forciertem
Individualismus für die Idee von Staat beziehungsweise für seine Aufgaben?
Staatliches Handeln hat sich grundlegend gewandelt. Gerade die Finanzkrise
macht überdeutlich, dass wir uns von der Idee verabschieden müssen,
Probleme nationalstaatlich umfassend und mit Wirkungskraft regeln zu
können. Hier ist für eine liberale Partei ganz klar die Europäische Union
die Ebene, auf der am ehesten parlamentarisch legitimiert gehandelt und
agiert werden muss. Nur hier kann die notwendige Finanzaufsicht geregelt
werden.
Wie gut also, dass sich die antieuropäischen Stimmen in der FDP nicht
durchgesetzt haben. Aber brauchen wir gerade wegen der europäischen
Perspektive nicht mehr Staat als in den 70ern? Für die notwendige Aufsicht,
wie Sie sagen, aber auch um die Umverteilung von oben nach unten zu
organisieren – Stichwort Steuern?
Der Staat organisiert ja nicht die Umverteilung, sondern er muss sehen,
dass er seine Aufgaben erfüllen kann und Chancen schafft. Das bedeutet in
Europa: Der deutsche Staat kann nicht Europa neu organisieren. Andere
Staaten haben andere Gesellschaftsmodelle. Was wir tun können, ist durch
einen Fiskalpakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Stabilität in der
EU zu sorgen. Die Wirtschaftspolitik muss in den einzelnen Staaten gemacht
werden.
Anders gefragt: Wo brauchen wir die starke Hand des Staates?
Wir brauchen einen handlungsfähigen Staat beispielsweise im Bereich
Alterssicherung. Aber das heißt auch hier nicht, dass der Einzelne nicht
Verantwortung übernehmen muss. Der Staat macht die gesetzgeberischen
Vorgaben, und der Einzelne muss seinen Teil zur Alterssicherung beitragen.
Mit der Agenda 2010 haben die Sozialdemokraten mit den Grünen einen
Durchbruch erzielt, der richtig und weitsichtig war.
Wenn wir uns die jüngsten Statistiken zum Thema Frauenarmut im Alter
anschauen, ist von dieser Weitsicht wenig zu sehen. Dabei sind durchaus
viele Frauen betroffen, die ihr Leben lang gearbeitet haben.
Deshalb ist es der Auftrag der Politik, die Rahmenbedingungen zu verändern.
Es ist absolut richtig, viel stärker zu fördern, dass auch Männer
Verantwortung für ihre Familien übernehmen. Ich habe schon den Eindruck,
dass das die Generation der unter 30-Jährigen auch will.
Wie sehen Sie das Spannungsverhältnis von Verortung und Freiheit? Darf man
als freiheitsliebender Mensch auch die Partei wechseln? Persönlich gefragt:
Gehen Sie demnächst zu den Piraten?
Ich bin fest verortet in der FDP als der Partei des organisierten
Liberalismus. Ich würde mich keiner anderen Partei anschließen, nur weil
sie in diesem oder jenem Bereich auch ein paar Freiheitsvorstellungen
entdeckt hat. Das ist aber ein innerparteilicher Blick von Menschen, die
sich zu einer Partei bekennen wollen.
Wie sieht es von außen aus?
Für Bürgerinnen und Bürger verändern sich persönliche Schwerpunktsetzungen
durch die Umstände. In einer Finanzkrise sind das vielleicht andere als in
Zeiten des Terrors. Dadurch, dass es die festen parteipolitischen Bindungen
so nicht mehr gibt, wird das politische Geschäft für alle etablierten
Parteien schwieriger und entsprechend leichter für neue Bewegungen.
Damit wären wir schon wieder bei den Piraten. Die verkörpern den aktuellen
Zeitgeist von Individualismus und Datenschutz besser als die FDP. Wo liegen
die Versäumnisse der Liberalen?
Also: Die Piraten haben in Berlin einen Erfolg erzielt, in den anderen
Bundesländern schwankt es erheblich. Und Sie haben kein konsequentes
Freiheitsverständnis. Sie sind ein Stück auch Ausdruck der Unzufriedenheit
mit den etablierten Parteien und vielleicht haben sie deswegen eine Chance,
in mehr als ein Parlament gewählt zu werden.
Sie sind also eine ernstzunehmende Konkurrenz.
Aber nicht nur für die FDP. Auch für die Grünen. Zwischen uns und den
Piraten gibt es sehr klare Unterschiede. Für uns heißt Individualismus
nicht organisierter Individualismus. Auf den Menschen setzen, heißt für uns
nicht, dass jeder Einzelne mit Ellenbogen nur um seiner selbst willen sich
durchsetzt und nur auf seine Rechte sieht. Individualismus um jeden Preis,
ohne Rücksicht auf andere, das ist nicht der Freiheitsbegriff der
Liberalen.
Egoismus macht den Erfolg der Piraten aus? Aufseiten der Liberalen gibt es
kein Versäumnis, das den Piraten den Wind in die Segel bläst?
Es ist wichtig, dass wir deutlich machen, dass das Internet nicht nur etwas
für Freaks ist, sondern als eine der gesellschaftlichen Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts gesehen wird. Wir als FDP müssen viel deutlicher
machen, was dieser Prozess für jeden Einzelnen bedeutet, und was wirklicher
Individualismus ist und wo die Verantwortungskomponente ins Spiel kommt.
Was heißt das für die Politik: Regulierung im Netz?
Das heißt, wenn Regulierungspolitik, dann auf europäischer Ebene. Das
heißt, kein Verbot von Anonymisierung, denn das wäre unverhältnismäßig.
Regulierung muss eingebettet werden in die Erkenntnis, dass das Internet in
20 Jahren ganz anders die Gesellschaft prägen wird, als wir uns das im
Moment vorstellen können. All das futuristisch und visionär über die
nächsten zwei Jahre hinweg zu denken, das muss mit der FDP verbunden
werden.
Sie waren die erste Frau im deutschen Parlament, die ein sogenanntes hartes
Ministerium leitete. Wo sind die Frauen in der FDP?
Hier (zeigt auf sich und lacht). Ja, also wir haben zu wenig Frauen in der
FDP, auch in unserer Mitgliedschaft, das ist leider so. Wir haben Frauen in
Vorfeldorganisationen, also in Netzwerken, in denen Frauen nicht Mitglied
sein müssen, aber 24 Prozent Frauenanteil ist zu wenig.
Könnten Sie da als Vorbild nicht ein bisschen mehr tun?
Ich mache sehr viel in meinem politischen Umfeld, bis hin zu Mentoring für
Frauen. Aber vielleicht werden mit uns nicht so sehr die Themen verbunden,
die für Frauen eine wichtige Rolle spielen. Da haben wir echt etwas, wo wir
uns verbessern müssen.
Frauenförderung ist also kein FDP-Thema?
Nein, ich sage, es wird nicht genug mit uns verbunden. Wir fordern die
Finanzierung von Betreuungseinrichtungen und nicht von Betreuungsgeld.
Müssen Sie daran arbeiten, dass die FDP weniger mit Machotum in Verbindung
gebracht wird?
Dieses Etikett lassen wir uns nicht anheften, wir sind keine Machopartei.
Wir brauchen mehr Frauen in den unterschiedlichen Funktionen, das ist
richtig. Aber in der Wahrnehmung spielt auch eine Rolle, dass wir mit
unserem Politikkonzept dem Einzelnen viel abverlangen.
Andere Parteien verlangen Frauen weniger ab?
Wenn sie stärker damit verbunden werden, dass der Staat mehr fördert, mehr
absichert, mehr Garantien gibt, finden sich manche Frauen vielleicht eher
wieder.
26 Jan 2012
## AUTOREN
I. Kappert
I. Pohl
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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Die FDP ist immer noch eine Partei in Regierungsverantwortung. Gut möglich,
dass sich gerade jetzt Lobbyisten und Steuersenker aufschwingen, den Laden
zu übernehmen.
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