# taz.de -- Elektropop im Wohnzimmer: Zweifler in der Wiederholungsschleife | |
> Der spanische Produzent John Talabot ist als DJ und Remixer stark | |
> nachgefragt. Mit seinem Debütalbum "fin" zeigt er, wie gut elektronischer | |
> Pop jenseits des Clubs funktioniert. | |
Bild: Bilder können das Hörerlebnis beeinflussen, findet John Talabot. Desweg… | |
Über John Talabot kursieren die wildesten Gerüchte. Er sei ein namhafter | |
Engländer, hieß es. Eine Art Fantomas des House, der sich in Spanien | |
versteckt hält. Jemand, der sich nicht fotografieren lässt.Und dann kam | |
doch alles ganz anders. "Lange Zeit habe ich geflunkert, dass ich einmal | |
elektronische Tanzmusik produzieren werde und dafür den Namen meiner Schule | |
benutze." | |
Als er es endlich wahrgemacht hat, nannte sich der 29-jährige Spanier, | |
dessen bürgerlichen Namen niemand kennt, tatsächlich nach dem "El Colegio | |
John Talabot" in Barcelona. Namensgeber war ein englischer Übersetzer, der | |
spanische Literatur ins Englische übertragen hat. "Mein Künstlername ist | |
eine Verbeugung vor meinen Mitschülern und Lehrern. Ich ging sehr gerne zur | |
Schule, sie war kein Alptraum für mich." | |
Zum Albtraum geriet dagegen die Fertigstellung seines Debütalbums. John | |
Talabot hat während 20 Monaten pausenlos an "fin" gearbeitet und lief dabei | |
Gefahr, sich zu verbasteln. "Dann kam der Moment, an dem ich beschloss, die | |
Aufnahmen einfach zu belassen wie sie sind. Ich hätte die Tracks beim | |
Produzieren am Computer noch weiter umstrukturieren können, Arrangements | |
ändern, Texte umschreiben. Erst durch diesen Schnitt war es mir möglich, | |
wieder andere Sachen anzufangen. 'fin' benennt diesen für mich | |
abgeschlossenen Zyklus." | |
"fin" wie Ende. Genaugenommen markiert das Album den Start einer | |
hoffnungsvollen Karriere. John Talabot hatte seit 2009 bereits mit | |
Maxisingles und Remixen für andere Künstler auf sich aufmerksam gemacht, | |
aber ein Album ist in der Sphäre der elektronischen Musik doch ein | |
Riesenschritt, auch jenseits funktionaler Tanzbodenbeschallung gehört zu | |
werden. | |
## Subtiler als die Norm | |
"fin" ist Beleg dafür, wie viel Pop in elektronischer Tanzmusik steckt. | |
Talabots elektronische Entwürfe zeigen, dass sich die euphorischen Gefühle | |
vom Dancefloor ohne Reibungsverluste auf Albumlänge übertragen lassen. | |
"House hat eine Menge für Pop getan. Hören Sie sich die Bassläufe von | |
Chartsongs im Radio an, die lehnen sich oft an Chicago House an. Die | |
Melodieführung ahmt die Gesangstechniken von Neunziger-Jahre-House nach. | |
Auch wenn es viele Hörer gar nicht wahrhaben wollen, House ist ein | |
Versuchsfeld für Pop, ein Steinbruch, aus dem sich auch namhafte Stars | |
bedienen." Talabot ist als Remixer gefragt. Er macht Maschinenmusik, aber | |
er ist kein Fließbandarbeiter. Er lässt das achttaktige Pattern, die | |
genormte Klangarchitektur von House, zugunsten von subtileren Strukturen | |
fallen. Das f auf dem Albumcover "fin" ist der Notenschrift entlehnt, wo es | |
den Vortrag bezeichnet. F wie forte, also laut. | |
## Loops in der Schwebe | |
Gut laut sind die elf Tracks von "fin". Aber nicht nur. Sie schrauben sich | |
fast unmerklich in Stimmung, bis sie Funken sprühen, durch repetitive | |
Kniffe wiedererkennbar werden, nicht mehr aus dem Ohr gehen. "Das ist aus | |
der Minimal Music entlehnt. Der Verstand gewöhnt sich an repetitive | |
Klangelemente, und dann bedarf es nur kleiner Modifikationen, die das | |
Gehirn als riesige Umwälzung wahrnimmt. Repetition funktioniert also, wenn | |
diese geringen Änderungen die Klangschichten anwachsen lassen." Talabot ist | |
ein Meister dabei, seine Loops zwischen Auftauchen und Verschwinden in der | |
Schwebe zu halten. Und das macht auch das Spezifische seiner Musik aus. | |
Sein Sound ist einer, der gleitet, der Raum lässt, um abzuschweifen. Das | |
sei inspiriert von langen Autofahrten, erklärt Talabot. Musik fusioniert | |
beim Autofahren mit der Mobilität, mit der Bewegung des Reisens, aber auch | |
mit der Dynamik, die Natur- und Stadtlandschaften beim Vorbeifahren vor dem | |
geistigen Auge entwickeln. Zur Inspiration für den Track "El Oueste" hat | |
Talabot etwa die Strecke von Barcelona nach Sevilla zurückgelegt - 830 | |
Kilometer einfache Distanz. Zwischen Barcelona und dem südwestlich | |
gelegenen Sevilla liegen Welten, sagt Talabot. "El Oueste" ist auch die | |
spanische Bezeichnung für Western. "Wenn ich El Oueste lese, denke ich | |
sofort in der Kategorie Western und mein Verstand transportiert mich | |
automatisch dahin. Ich sehe die Filme direkt vor meinen Augen." | |
"Oro y Sangre" heißt ein weiterer eindrücklicher Track, mit blinkenden | |
Keyboardtönen und einem aggressiv aufgaloppierenden Beat. Anstatt | |
romantisch in die Ferne zu schweifen, lässt "Oro y Sangre" ungute | |
Erinnerungen an die spanische Geschichte aufkommen. "Gold und Blut haben | |
als Begriffe im Spanischen viele unangenehme Assoziationen, man denke nur | |
an die spanischen Eroberer, an den Bürgerkrieg oder an Stierkampf. Ich | |
finde Stierkampf schrecklich, andererseits wirken seine Plakate und seine | |
Bilderwelten visuell ansprechend. Gold und Blut spielen auch in der | |
Ikonografie des Katholizismus eine Rolle. Es gibt da schlimme Traditionen, | |
aber ihre Darstellungen sind dennoch atemberaubend." | |
## Noch ein Spanier in Berlin | |
Wir treffen John Talabot in der Nähe der Kreuzberger Oberbaumbrücke, für | |
Hipster längst eine No-go-Area und der Inbegriff des Berliner | |
Nachtlebentourismus. Speziell Spanier sind hier in Teilen der | |
schollenbesitzenden Deutschen als Störenfriede verpönt. John Talabot freut | |
sich, am Abend Platten aufzulegen und Musikerkollegen wie den koreanischen | |
Migranten Hunee endlich persönlich kennenzulernen. So wie viele | |
Protagonisten in der House-Szene, strahlt auch John Talabot Offenheit aus, | |
eine Haltung, der Arroganz oder Weltekel einfach fremd sind. | |
Geboren und aufgewachsen ist Talabot in Barcelona. Seine Heimatstadt hat | |
ihn vielfach geprägt. "Was ich über Musik weiß, habe ich durchs Clubben in | |
Barcelona gelernt", erzählt Talabot. Elektronische Musik in Barcelona steht | |
gleichbedeutend mit dem "Sonar-Festival", zu dem Menschen aus der ganzen | |
Welt jeweils im Juni pilgern, um elektronische Musik aus der ganzen Welt zu | |
goutieren. Dass Barcelona abgesehen davon eine funktionierende Clubszene | |
hat, fiel oft unter den Tisch von Spanienklischees zwischen Sonne, Sommer | |
und Ibiza-Drogentourismus. Themen mit denen Talabot wiederum gar nichts | |
anfangen kann. | |
## Der Winter als Inspiration | |
"Der Sommer ist in Barcelona unerträglich. Wer keine Aircondition hat, ist | |
verratzt. Ich bringe da viel schlechter etwas zustande. Die Hitze bringt | |
das Hirn zum Schmelzen. Es ist allgemein eine nicht sehr produktive | |
Jahreszeit." Sein eigenes kleines Label heißt nicht zufällig Hivern-Disc. | |
Winter-Schallplatten. | |
"Mir fallen an meiner Musik dunkle Stellen auf." Ob das etwas mit der | |
Rezession in Spanien zu tun habe? "Nein", erklärt Talabot, "selbst wenn es | |
mir ökonomisch schlecht geht, kann ich glücklich sein. Es geht eher um | |
meine eigene kreative Krise. Ist das, was ich mache, gut? Hat es Bestand?" | |
Ja, die Ängste kann man John Talabot nehmen. Gegen Ende von "fin" | |
vergegenwärtigt sein Track "When the Past was Present" die Klassiker des | |
Chicago-House auf elegante Weise. Sein Acid-Basslauf, die Kickdrum und die | |
häufigen Snareschläge erzeugen feeling, elektronische Emotionen, die | |
nachwirken. | |
Zurück zum Anfang: "Ich habe mich lange gar nicht fotografieren lassen, | |
weil ich nicht wollte, dass die Hörer mit einem Image von mir in den | |
Information-Overload geraten. Wen kümmert mein Gesicht? Wer braucht zu | |
wissen, wie meine T-Shirts aussehen? Unerkannt zu bleiben, verschaffte mir | |
größere künstlerische Freiheiten. So haben mich ganz viele Menschen zuerst | |
über meine Musik entdeckt." | |
27 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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