# taz.de -- Liebig 14: Ein Haus geht in Deckung | |
> Vor einem Jahr hat die Polizei das linke Hausprojekt Liebig 14 geräumt. | |
> Die neuen Mieter werden von den Nachbarn mit wenig Gegenliebe empfangen. | |
Bild: Die Liebigstraße vor einem Jahr: Mit einem Großaufgebot räumt die Poli… | |
Der Empfang für die junge Frau könnte herzlicher sein. 13 zerplatzte | |
Farbbeutel, rote und grüne, zieren die Fassade ihres neuen Zuhauses. Zwei | |
Fensterscheiben sind eingeworfen. An die Eingangstür zum Treppenhaus hat | |
jemand mit schwarzem Edding "Fuck you" geschrieben. | |
Die Blondgefärbte mit der schwarzen Steppjacke tut, als sähe sie es nicht. | |
Mit zwei Begleitern trägt sie aus einem Umzugswagen Kisten und Kommoden in | |
das Haus in der Liebigstraße, das früher einmal die Nummer 14 trug. Ob sie | |
von der Geschichte des Hauses wisse? "Natürlich wissen wir davon. Geht aber | |
keinen was an." Ihre zwei Helfer brauche man erst gar nicht zu fragen. Dann | |
verschwindet sie im Haus. | |
Mit 3.800 Beamten rückte die Polizei vor einem Jahr, im Morgengrauen des 2. | |
Februar 2011, an, um die Liebig 14 zu räumen. Ein Großeinsatz mit | |
Wasserwerfern und Helikoptern - 1,6 Millionen Euro teuer. Hauseigentümer | |
Suitbert Beulker, ein Ingenieur, hatte den 25 Bewohnern des 1990 besetzten | |
und später legalisierten Hausprojekts bereits vier Jahre zuvor gekündigt. | |
Die linke Szene demonstrierte gegen die Räumung an diesem Februartag, | |
mehrere tausend Menschen beteiligten sich an den Protesten. In der Nacht | |
danach schmissen Autonome in ganzen Straßenzügen Scheiben von Banken und | |
Polizeiwachen ein. Die Polizei konstatierte einen "Millionenschaden". | |
Ein Jahr später ist Alltag in der Liebigstraße eingekehrt. Und die Nummer | |
14 ist ein Haus, das in Deckung gegangen ist: Eigentümer Beulker will | |
nichts sagen. Sein Hausverwalter will nichts sagen. Die neuen Bewohner | |
wollen nichts sagen. Am Klingelschild stehen nur Buchstabenkürzel. Ein | |
Makler verrät, dass bereits vier Monate nach der Räumung, im Juni 2011, | |
erste Wohnungen vermietet worden seien. "Im September waren alle belegt." | |
Als "prächtiges Mietshaus" priesen damals Internetannoncen das just | |
geräumte Gebäude an. "Hochwertiges Wohnen" werde hier geboten, inmitten | |
einer "sozialen Struktur aus Altmietern und Alternativen", 1.117 Euro warm | |
für 106 Quadratmeter sollte gezahlt werden. Nur hieß die Liebig 14 jetzt | |
Rigaer Straße 96 - wie das Nachbarhaus um die Ecke. Bis heute gelangen die | |
neuen Bewohner über den dortigen Hinterhof zu ihren Wohnungen. Die alte | |
Haustür, raus zur Liebigstraße, ist mit Holzplatten vernagelt. | |
"Das ist wie ein Geisterhaus", sagt Andreas und lacht gurgelnd. Der | |
Dreitagebartträger mit langen Haaren lehnt auf seinem Fensterbrett in der | |
Liebig 15, dem anderen Nachbarhaus. "Also, ich kenne kein Gesicht von | |
denen, die da wohnen." Als im Juni die ersten Mietinteressenten anrückten, | |
habe er mit ein paar Mitbewohnern ein meterlanges, orangefarbenes Banner in | |
den Hinterhof gehängt neben den neuen Eingang des Nachbarhauses. "Achtung, | |
Wohnungsbesichtigung! Bitte informiert euch unbedingt über den Eigentümer | |
Beulker und die Geschichte der Liebig 14." Das Banner hängt bis heute. | |
## Ganz schnell wieder weg | |
In der Nachbarschaft erzählt man von zwei der ersten Mieter: junge Männer | |
aus Magdeburg, die von der Geschichte der Liebig 14 nichts gewusst hätten. | |
Zuerst sei ihnen das Auto beschmiert worden, später stand der Wagen mit | |
zerschlagenen Scheiben vor der Tür. Die beiden Magdeburger blieben keine | |
vier Wochen. Natürlich, sagt der Makler, habe man die Interessenten über | |
die Geschichte des Hauses informiert. Aber das, was da passiere, sei kein | |
Vandalismus mehr - das grenze an Terrorismus. | |
Drei von denen, die früher in der Liebig 14 wohnten, sitzen an einem | |
Januarabend in einem kleinen Nebenraum der Friedrichshainer Galiläakirche, | |
die heute keine Kirche mehr ist, sondern ein "Jugendwiderstandsmuseum": | |
Alex, Sarah und Jacob. Alex rollt eine Zigarette, Jacob streift die Schuhe | |
ab und legt seine grün besockten Füße auf den Tisch: "Wir freuen uns über | |
jeden, der wieder auszieht", sagt der 21-Jährige mit den verwuschelten | |
Locken. | |
Drei Jahre hätten sie in der Liebig 14 gewohnt, erzählen sie, zwei von | |
ihnen bis zum Schluss. Heute lebten sie "in der Nähe". Als die Polizei | |
damals anrückte, waren sie draußen unter den Protestierern. Nur neun | |
Bewohner hatten sich im dritten Stock im Haus verbarrikadiert. Fünf Stunden | |
brauchte die Polizei, um zu ihnen vorzudringen. | |
Alex, Stoppelbart, schwarzer Pullover, erzählt, was seitdem im Kiez | |
geschah. Es ist eine Anklage: Überall würden Wohnungen billig saniert und | |
teuer vermietet. "Jede Brache wird zugebaut, gerne mit Ökoneubauten." Und | |
weiter nördlich der Liebigstraße reihte sich heute Townhouse an Townhouse. | |
Wenn man nicht aufpasse, so der 23-Jährige, werde der Samariterkiez zur | |
zweiten Simon-Dach-Straße: "Eine Sauf- und Fickmeile." | |
Genau das war die Erzählung vor einem Jahr: Wenn die Liebig 14 geräumt | |
wird, breche sich die Aufwertung weiter Bahn in Friedrichshain. Je näher | |
die Räumung rückte, desto stärker wurde das Haus zum Symbol: der bunte, | |
unangepasste Freiraum gegen die Profitsanierer. Im Samariterkiez hängten | |
Nachbarn dutzendfach Banner von den Balkonen: "Solidarität mit Liebig 14". | |
Die linke Szene staunte. Und Jacob träumte von einer neuen stadtpolitischen | |
Bewegung. | |
Franz Schulz steht in seinem schlichten Bürgermeisterbüro in der | |
Frankfurter Allee, nicht weit von der Liebigstraße, am Fenster. Der triste | |
Blick geht hinaus auf das Dach einer Einkaufspassage. Mit der Räumung habe | |
der Bezirk "einen Baustein", ein Stück seiner Atmosphäre verloren, sagt der | |
Grüne. "Das Erstaunliche ist, dass die Szene so wenig erreicht hat." Alle | |
würden heute über alternatives Leben und Arbeiten reden, aber niemand über | |
autonome Freiräume. | |
Schulz, dunkelblaues Hemd, graues Jackett, setzt sich und schlägt die Beine | |
übereinander. Immerhin, sagt der 63-Jährige, bei den Mieten gebe es heute | |
viele, die sich gegen Aufwertung wehrten. Im September waren es 5.000, die | |
auf die Straße gingen. "Aber die achten genau darauf, dass sie von | |
niemanden vereinnahmt werden." Schulz hält kurz inne. "Schon gar nicht von | |
denen, die mit Gewalt operieren." | |
Erst kürzlich tauchte wieder ein Aufruf im Internet auf. Es sei "nicht | |
unbedingt schlau, sich als Zugezogener in einen 20 Jahre alten Kampf | |
einzumischen", hieß es dort. "Wir werden schon noch anstoßen auf eure neue | |
Nachbarschaft." Unterschrieben hatte eine "AntiYuppieFront". Dabei geht es | |
nicht nur um Farbbeutel. Als noch vor Einzug der neuen Bewohner der | |
Dachstuhl der Liebig 14 in Brand gesetzt wurde, hängten die Nachbarn | |
Plakate auf: "Zündet uns nicht an!" | |
Jacob, der Exbewohner, sagt, er könne die "Wut" verstehen. Aber alles, was | |
Nachbarn gefährde, sei nicht akzeptabel. Hinter dem Plakat der Anwohner, so | |
Jacob, stünden auch Exbewohner der Liebig 14. Gefragt, was gegen | |
Verdrängung denn zu tun sei, verweist Sarah auf Mieterinitiativen: "Sich | |
organisieren, seine Rechte wahrnehmen." Die Proteste der Liebig 14 hätten | |
gezeigt, dass man sich auch wehren könne, so die 25-Jährige. | |
## Genossen unter sich | |
Im Samariterkiez haben die verbliebenen Alternativen noch eine andere | |
Strategie entdeckt: die pragmatische. Andreas, der Bewohner der Liebig 15, | |
war früher selbst Besetzer. 1990 nahm er sich das Haus, in dem er bis heute | |
wohnt - heute allerdings ist er Genosse. 2003 habe eine Genossenschaft das | |
Haus gekauft und dann wieder der Selbstverwaltung übergeben, erzählt der | |
Endvierziger. Heute zahle er weit weniger für seine Wohnung als die meisten | |
anderen in der Nachbarschaft. | |
Oder die Rigaer 78: bunt bemalt, bröckliger Putz. "Still not loving police" | |
steht auf einem Banner, das davor baumelt. Unten schiebt Ina, die | |
eigentlich anders heißt, ihr Fahrrad ins Haus. 2007 hätten sie eine GmbH | |
gegründet und über eine Stiftung ihr Haus gekauft, erzählt sie. Nun seien | |
eben zwei Mitbewohner Geschäftsführer. "Die haben aber auch nicht mehr | |
Mitspracherechte als alle anderen." | |
Ein Stück weiter die Straße herunter steht hinter einem hohen Zaun aus | |
langen Holzlatten Klaus, die Hände in den Hosentaschen. Um ihn herum bilden | |
14 ausrangierte Bauwagen die Wagenburg Convoi. Als die Liebig 14 geräumt | |
wurde, sagt der 32-Jährige, hätten sie ein paar Bewohner aufgenommen, | |
"vorübergehend." Zu mehr habe der Platz nicht gereicht. Klaus pfeift seinen | |
Hund zurück, der sich in einem Schuppen austobt. Vor vier Jahren sei das | |
Gelände der Wagenburg an eine Genossenschaft verkauft worden. Im Gegenzug | |
habe es einen Pachtvertrag gegeben, "für 20 Jahre oder noch länger". Es sei | |
wichtig, die Straße nicht nur den Neuen zu überlassen, "der gesetzten | |
Mitte." | |
Auch die Leute aus der Liebig 14 hatten sich an runde Tische gesetzt, | |
hatten versucht, ihr Haus über eine Stiftung zu kaufen - erfolglos. | |
Eigentümer Beulker kam zu keinem Gespräch und antwortete auf keinen Brief. | |
Exbewohner Jacob kritisiert auch Franz Schulz, den Bezirksbürgermeister. | |
"Statt wirklich was zu machen, hat der sich lieber mit seiner vorgeblichen | |
Unterstützung profiliert." | |
Schulz reagiert auf solche Vorwürfe mit einer seltenen Regung: Er kichert. | |
"Manche denken, ich bin der liebe Gott." Der Grüne verweist wiederum auf | |
den Liegenschaftsfonds, der sich stärker um Ersatzgebäude in Landesbesitz | |
hätte bemühen können. Und auf Beulker. Drei Senatoren hätten am Ende bei | |
der Liebig 14 mitverhandelt, sagt Schulz. "Aber Beulker hat sich nicht | |
gerührt. Das ist schon enorm." | |
In der Liebig 14 trägt die junge Blondine weiter ihre Kisten ins Haus. | |
Draußen hat jemand Plakate an die Wand geklebt, für eine Demonstration ein | |
Jahr nach der Räumung: "Never Rest In Peace". Oben im Haus sind hinter den | |
Fenstern jetzt weiße Gardinen zusammengerafft. Der Makler sagt, viele | |
jungen Familien seien eingezogen, auch aus dem Kiez: "Ganz normale Leute." | |
Nebenan in der Rigaer Straße haben die Nachbarn die Geschichte der Liebig | |
14 aufmerksam verfolgt. Kerstin Neugebauer, seit 13 Jahren im Haus, | |
erzählt, dass man sich auch bei ihnen zusammengesetzt und über eine | |
Genossenschaft beraten habe. Um dem Verkauf an einen "Immobilienhai" | |
zuvorzukommen. "Und um die ganze Atmosphäre hier etwas zu befrieden." Im | |
Herbst schrieben sie einen Brief an ihren Eigentümer mit dem Vorschlag, das | |
Haus zu kaufen. Der Empfänger war ein alter Bekannter: Suitbert Beulker. | |
Bis heute hat er nicht geantwortet. Unterschrieben hatten den Brief auch | |
einige Anwohner aus den Nachbarhäusern. Aus der Rigaer 96. Und aus der | |
neuen Liebig 14. | |
1 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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Proteste. |