# taz.de -- Nach dem Fall Chantal: Schulbehörde strapaziert Datenschutz | |
> Der Pressesprecher gibt freimütig Auskunft über die kleine | |
> Pflegeschwester und der Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD) wackelt. | |
Bild: Unsensibel mit Daten umgegangen: das Büro von Hamburgs Schulsenator Ties… | |
HAMBURG taz | Die Tage von Markus Schreiber (SPD) sind gezählt. Die Grünen | |
wollen am 23. Februar wegen des Verhaltens des Bezirksamtsleiters von | |
Hamburg-Mitte im Fall Chantal ein Misstrauensvotum in geheimer Abstimmung | |
herbeiführen. Da SPD und FDP dort nur mit einer Stimme Mehrheit regieren - | |
und mit Abweichlern gerechnet wird - ist die Abwahl wahrscheinlich. | |
Unterdessen geht die Diskussion um den Fall der an Methadon gestorbenen | |
Chantal weiter. Welt, Bild-Zeitung, Mopo, Abendblatt und NDR berichteten | |
über deren achtjährige Pflegeschwester. Eine Lehrerin habe sich im April | |
2011 um das Kind gesorgt und das Jugendamt-Mitte eingeschaltet. Dieses habe | |
die Hinweise nicht ernst genommen. | |
Bemerkenswert: Das Kind, das bis vor kurzen bei seinen Großeltern in Pflege | |
und seit kurzen in einem Kinderschutzhaus lebt, wurde in allen Berichten | |
mit Namen genannt. Über sie gebe es eine "30 Seiten dicke Akte" schreibt | |
die Bild-Zeitung und zitiert dann den Sprecher von Schulsenator Ties Rabe | |
(SPD), Peter Albrecht: "Die Klassenleitung spricht von erheblicher | |
Verwahrlosung, von Desinteresse seitens der Pflegeeltern, von einem groben | |
und sehr lieblosen Umgang mit dem Kind." Die Zeitung erfuhr, das Kind habe | |
"ungepflegt, unsauber, in sich zurück gezogen und abwesend" gewirkt. Als | |
eine Lehrkraft einmal die Wohnung betrat, habe diese in "sehr | |
unordentlichem Zustand" vorgefunden". Auch der Name der Schule wurde in | |
allen Berichten genannt. | |
Auf die Frage, ob diese Dinge nicht unter den Sozialdatenschutz des Kindes | |
fallen, sagte Sprecher Albrecht: "Wir haben keine Verpflichtung zum | |
Sozialdatenschutz." Er habe aber nur wiedergegeben, was die Reaktion der | |
Lehrkraft und des Jugendamtes war und "keinen Namen genannt". Allerdings | |
habe er schon gesagt, dass es ich um ein jüngeres Kind aus der Familie | |
handelt. Den Rest hätten sich die Journalisten "zusammengestrickt". | |
Im Büro des Datenschutzbeauftragten war man am Freitag über die | |
Presseberichte sehr erstaunt. "Die Schulbehörde ist hier über das Ziel | |
hinausgeschossen", sagt Fachreferent Detlef Malessa. "Weniger detaillierte | |
Informationen wären besser gewesen." Schülerakten unterlägen dem | |
Schuldatenschutz. "Es wäre gut, wenn alle Behörden im Fall Chantal | |
zurückhaltend vorgingen, wenn es um die Weitergabe von persönlichen Daten | |
gegenüber der Öffenlichtkeit geht." Etwas anderes sei dies in | |
Untersuchungsausschüssen. | |
Die Handlung des Jugendamtes-Mitte steht bereits im Fokus behördlicher und | |
staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Der Fall Chantal wirft die Frage | |
auf, wie es rund 1.000 Kindern von methadonsubstituierten Eltern in Hamburg | |
geht. Dort werden diese von Einrichtungen der Suchthilfe betreut. Das | |
Jugendamt weiß nicht automatisch von deren Sucht. Suchthilfe-Mitarbeiter | |
müssen aber bei akuter Kindeswohlgefährung die Jugendämter einschalten. | |
In Bremen führte man nach dem Tod des zweijährigen Kevin striktere Regeln | |
ein. Die Eltern müssen seit 2009 einen Vertrag mit dem Jugendamt | |
unterschreiben, in dem sie zustimmen, sich und ihre Kinder regelmäßig auf | |
Drogen untersuchen zu lassen. | |
Auch der Hamburger CDU-Politiker Christoph de Vries beantragte vor einem | |
Jahr, alle betroffen Kinder einmal zu erfassen und ein "Screening" | |
durchzuführen. Doch das lehnte die SPD-Fraktion ab. "Ich will keinen Test, | |
weil dann alle betroffenen Eltern aus dem Hilfesystem abhauen würden", sagt | |
deren gesundheitspolitischer Sprecher Martin Schäfer. Es soll nun einen | |
runden Tisch geben. "Der Antrag wurde verwässert", sagt de Vries. "Was | |
wäre, wenn nicht Chantal, sondern eines der leiblichen Kinder der | |
Pflegefamilie Methadon geschluckt hätte? Hätten wir dann nicht eine andere | |
Diskussion?" Dazu sagte Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), diese | |
Frage müsse angesichts der Ereignisse "noch mal angeguckt werden". | |
3 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Chantal: Zu viele private Details | |
Solange es nicht eine akute Gefahr gibt, sollte zurückhaltend über die noch | |
lebenden Pflegegeschwister von Chantal berichtet werden. |