# taz.de -- Von wegen Inklusion: Einmal Werkstatt, immer Werkstatt | |
> Werkstätten für Behinderte gelten als geschlossenes System. Selten | |
> gelingt es den dort Beschäftigten, eine Stelle auf dem ersten | |
> Arbeitsmarkt zu finden. | |
Bild: Bei der Arbeit: Katja Fessler, Thomas Scheinpflug und Annika Hollmann. | |
HAMBURG taz | Plastik-Öse in die Schweißpresse einlegen, das passende Loch | |
im Kunststoff darüber ausrichten, Fußhebel betätigen, warten, bis die rote | |
Lampe erlischt, Presse zusammendrücken - stolz zeigt Franzi die | |
festgeschweißte Öse. Wieder einen Schritt geschafft. Knapp zehn | |
Arbeitsschritte brauchen sie und ihre KollegInnen in Hamburg-Harburg bis so | |
eine Schürze fertig ist. Eine echte Guttasyn-Kunststoff-Schürze, wie | |
beispielsweise Schlachter sie tragen. Sie ist eine Eigenmarke der | |
Elbe-Werkstätten, 85.000 Stück wurden dieses Jahr bereits verkauft, das ist | |
Rekord, da gibt es nichts zu klagen. | |
Anton Senner, seit Oktober Geschäftsführer der Hamburger Elbe-Werkstätten | |
für behinderte Menschen, wird nicht müde zu betonen, dass die Zeit des | |
Bastelns längst vorüber ist. In den sechs Betriebsstätten in Altona, | |
Bergedorf und Harburg nähen Frauen Schutzhüllen für Möbeltransporte, in der | |
Tischlerei werden Schränke für Hamburger Schulen gebaut. Wenn mal nichts zu | |
tun ist, verpackt man Designprodukte des Hamburger Unternehmens Dekoop. Das | |
ist ein Stammkunde, da kann auf Lager produziert werden. | |
Trotzdem: Die Werkstatt hat Schwierigkeiten, ihren Eigenanspruch auf | |
Wirtschaftlichkeit einzulösen. Betrachtet man die Produktionszahlen im | |
Verhältnis zum Aufwand, wird klar, was das Problem ist: Damit täglich rund | |
400 Guttasyn-Schürzen produziert werden können, arbeiten dort 40 Personen, | |
dazu kommen drei Betreuer, eine Gruppenkoordinatorin, ein Vertriebsleiter | |
und ein bis zwei Praktikanten oder FSJ-Stellen. "Normalerweise könnte man | |
die gleiche Menge mit einem Viertel der Beschäftigten herstellen", sagt Ulf | |
Lübben-Lorenz, Produktionsleiter mehrerer Betriebsstätten in Harburg. | |
## Aus vieren wird eine | |
Ende August 2011 lautete die Konsequenz schließlich: Es muss gespart | |
werden. Die zuvor unabhängigen Winterhuder Werkstätten, die Hamburger | |
Werkstatt und die Elbe-Werkstatt fusionierten zu den Elbe-Werkstätten. Was | |
schon in den 90er-Jahren die Qualität steigern sollte, wurde letztlich aus | |
Kostengründen umgesetzt. "Die Konkurrenz zwischen den einzelnen | |
Produktionsstätten war nicht wirtschaftlich", sagt Senner. "Die Stadt gibt | |
viel Geld aus, während die Zahl der Beschäftigten steigt." Unter dem | |
damaligen Geschäftsführer Detlef Scheele, heute Hamburgs | |
SPD-Arbeitssenator, wurden Führungskräfte entlassen und die Verwaltung | |
unter ein Dach gebracht, Arbeitsgruppen vergrößert statt verkleinert. | |
Wenn es nach Jürgen Homann ginge, müssten die Werkstätten nicht | |
kostengünstiger werden, sondern schlicht verschwinden. Allerdings nicht aus | |
wirtschaftlichen Erwägungen. Homann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am | |
Zentrum für Disability Studies der Universität Hamburg, kurz Zedis. | |
"Solange es diese Einrichtungen gibt", sagt Homann, "bedeutet dies für die | |
Betroffenen: Wer einmal drin ist, kommt in der Regel nicht wieder raus." | |
Das stehe im Widerspruch zur Forderung nach Teilhabe von behinderten | |
Menschen an der Gesellschaft und dem Arbeitsleben, die in der | |
UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist. Auch dem | |
Sozialgesetzbuch nach sind Werkstattträger dazu verpflichtet, den "Übergang | |
auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mit geeigneten Maßnahmen zu fördern". | |
Dass Übergänge in sozialversicherungspflichtige Anstellungen die Ausnahme | |
sind, gesteht Anton Senner ein: "Die meisten Betriebe stellen aus zwei | |
Gründen keine Menschen mit Behinderung ein: zum einen wegen des | |
Kündigungsschutzes, zum anderen, weil sie Angst haben, nicht adäquat mit | |
den Menschen umgehen zu können", sagt er. Es gebe in Hamburg derzeit etwa | |
550 Personen, die in sogenannten Außenarbeitsgruppen arbeiten, was im | |
bundesweiten Vergleich viel sei. Sie arbeiten dort in verschiedenen | |
Betrieben außerhalb der Werkstatt, beispielsweise bei Ikea, werden dabei | |
aber weiterhin von der Werkstatt betreut und entlohnt. Dass aus einer | |
Außenarbeitsgruppe mal jemand in einen regulären, | |
sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz übernommen wird, komme so gut | |
wie nie vor. | |
## Fernab vom Tariflohn | |
"Die Bezahlung ist ein riesengroßes Problem", sagt Martin Eckert, | |
Geschäftsführer des Elternvereins "Leben mit Behinderung". Statt eines | |
tariflichen Lohns bekommen Werkstattbeschäftigte einen Grundbetrag, ein | |
Arbeitsförderungsgeld und einen individuellen Steigerungsbetrag. Die | |
durchschnittliche Gesamtsumme bei den Elbe-Werkstätten kommt nahe an den | |
bundesweiten Durchschnitt heran, sie liegt bei 157,50 Euro - im Monat. | |
"Das steht oft aber gar nicht zusätzlich zur Verfügung", so Eckert. Weil | |
die meisten Beschäftigten gleichzeitig Sozialhilfeempfänger sind, wird der | |
Betrag lediglich gegengerechnet und nicht ausgezahlt. Auf die alte | |
Forderung, die Leistung von Behinderten nicht mehr auf die Sozialhilfe | |
anzurechnen, würden Politiker bundesweit mit wenig Interesse reagieren: | |
"Das kostet eben Geld", sagt Eckert. | |
Die Stadt Hamburg will das Wachstum der Werkstätten nun dennoch bremsen. | |
Die Arbeitsbehörde unter Senator Scheele plant deshalb, zum Sommer 2012 | |
einen Lohnkostenzuschuss einzuführen. Mit dem sogenannten "Hamburger Budget | |
für Arbeit" sollen bis 2013 mindestens 100 sozialversicherungspflichtige | |
Arbeitsplätze nach Tariflohn für zuvor in den Werkstätten Beschäftigte | |
entstehen, getragen von Geldern der Eingliederungshilfe, die bislang | |
Werkstattplätze finanziert. | |
Die Werkstatt als Ausgrenzungsfalle ist ein einhelliges Bild, das bei den | |
Darstellungen verschiedener Behindertenverbände, der Wissenschaft und bei | |
WerkstattmitarbeiterInnen selbst immer wieder aufkommt. Es stellt sich die | |
Frage, warum dort überhaupt noch Menschen arbeiten, warum es sogar immer | |
mehr werden. "Mir persönlich sind keine von Behinderung betroffenen | |
Menschen bekannt, die Werkstätten positiv bewerten oder sich gar wünschen | |
würden, dort zu arbeiten", sagt Jürgen Homann vom Zedis. | |
Mehr als einmal wird der Vorwurf laut, man mache es sich mit den | |
Werkstätten zu einfach. "Die Arbeitsagenturen sagen sich: ,Lassen wir die | |
in eine Werkstatt gehen, dann brauchen wir uns nicht mehr drum zu | |
kümmern'", meint Johannes Köhn von der Landesarbeitsgemeinschaft für | |
behinderte Menschen. Wichtiger noch: "Aus Angst verhindern Eltern, dass der | |
Wille ihrer schon erwachsenen Kinder umgesetzt wird", sagt Köhn. "Diese | |
Überbehütung führt manchmal bis zur Entmündigung." Für Homann sind die | |
Werkstätten daher nur Teil des Problems. Es bedürfe "einer grundlegend | |
veränderten gesellschaftlichen, sozialpolitischen und gesetzgeberischen | |
Sichtweise auf das Phänomen Behinderung". | |
3 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Leonie Brand | |
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Hamburg | |
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