# taz.de -- Kolumne Gerüchte: Lichtzeichen am Himmel | |
> Früher sprachen wir über Sex. Dann über die Kinder. Jetzt über die alten | |
> Eltern. Um immer kitschiger werden wir auch noch. | |
Exakt kann ich den Zeitpunkt nicht mehr benennen, an dem mir auffiel, dass | |
wir auf Partys über andere Themen sprachen als über Partnerschaften oder | |
über die Kinder. Doch an Suses 54. Geburtstag war es dann jedenfalls nicht | |
mehr zu überhören. | |
"Sie glaubt neuerdings, sie ist Hofdame bei der Queen", erzählt Freundin | |
Britt, "und irgendein Stallmeister ist schwer verliebt in sie." | |
"Stallmeister?", fragt Winnie interessiert, "hat sie wirklich | |
,Stallmeister' gesagt? So ein Wort würde meiner Mutter nicht mehr in den | |
Sinn kommen, sie weiß gar nicht mehr, was das ist." | |
Wir sind zu Suses Geburtstagsabendessen erschienen, acht Leute. Die meisten | |
haben Eltern, die hoch in ihren 80ern sind. Winnies Mutter wohnt in einer | |
Demenz-WG. Britts Mutter lebt nach einem Schlaganfall verwirrt in einem | |
Pflegeheim. Theresas Vater zog in ein Seniorenstift. "Es ist noch mal ein | |
Zeitsprung, wenn die Eltern so schwach werden", sagt Theresa. Sie hatte vor | |
drei Jahrzehnten eine der damals üblichen Psychotherapien gemacht, wonach | |
die Eltern so ziemlich an allem schuld sein sollten, was angeblich | |
schiefgelaufen war in Theresas Leben. Doch dazu hörte ich schon seit langem | |
nichts mehr von ihr, keinen Pieps. | |
Es habe sie geschockt, hatte sie mir kürzlich erzählt, als sie feststellte, | |
wie mühsam es für ihren Vater geworden sei, mit der zitternden Hand den | |
Esslöffel zum Mund zu führen. "Wahrscheinlich war das nur so eine | |
Konstruktion in der Familie, dass er der Tollste sein sollte. Wir haben die | |
Männer überfordert." | |
Suse packt mein Geschenk aus. Ich habe für ihren Vorgarten eine Buddhafigur | |
ausgesucht und buddhistische Gebetsfahnen. | |
"Die sollen verwittern und zerfallen", erkläre ich, "als Symbol der | |
Vergänglichkeit. So ist es der Brauch im Himalaja." Bei mir hängen die | |
Fahnen in der Küche, da verwittern sie aber nicht, sondern stauben ein. | |
"Als die Schwangerschaft von Königin Victoria bekannt gegeben wurde, wähnte | |
sich meine Mutter als Leibärztin am schwedischen Königshof", nimmt Britt | |
den Faden wieder auf, "dann reiste sie als Schiffsärztin um die Welt. Sie | |
hatte eine Liebesaffäre mit einem Kapitän. Ich kaufte ihr deswegen sogar | |
ein seidenes Nachthemd und ihr Lieblingsparfüm." | |
"Ein aufregendes Leben", werfe ich ein. "Mit dem Untergang des | |
Kreuzfahrtschiffes in Italien war die Kapitänsaffäre beendet", berichtet | |
Britt, "jetzt ist sie wieder bei der Queen." | |
"Fernsehbilder", meint Theresa, "die setzen bei meinem Vater auch immer was | |
in Gang. Als um die Weihnachtszeit ein Jahresrückblick mit der Heirat des | |
britischen Kronprinzen kam, behauptete mein Vater am Telefon ganz | |
aufgeregt, die Engländer würden wieder Christbäume vom Himmel werfen." | |
Suse packt das Präsent von Winnie aus. Es ist eine Duftlampe mit einem Set | |
an Zitrone- und Vanilleölen. Mein Gott, wir werden mit den Jahren immer | |
kitschiger. "Christbäume", sagt Britt, "wisst ihr nicht, was das war?" Als | |
Christbäume bezeichnete man Leuchtfeuer, die von den Engländern an kleinen | |
Fallschirmen über Deutschland abgeworfen wurden. Die Christbäume markierten | |
im Luftkampf des Zweiten Weltkrieges die Areale, über denen dann | |
Kampfflugzeuge ihre Bomben ausklinkten. | |
"Man weiß zu wenig über die Eltern", meint Winnie. Genau. Und die Zeit wird | |
knapp. | |
5 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
Barbara Dribbusch | |
## TAGS | |
Buddha | |
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