# taz.de -- Wert und Freiheit im Theater: Das Geld, das keiner haben will | |
> Passt gut zur Wirtschaftskrise: In "Von morgens bis mitternachts" im | |
> Theater Leipzig wird mit Geld um sich geworfen, als ob es kein Gefühl für | |
> den Wert mehr gäbe. | |
Bild: Was können 60.000 Mark in einer Zeit, in der Milliarden von Euro anschei… | |
Ein Mann dreht durch. So lässt sich in aller Kürze die Handlung von Georg | |
Kaisers "Von morgens bis mitternachts" zusammenfassen. 1912 schrieb Kaiser | |
diese Tragikomödie um einen Kassierer, der seine Bank um 60.000 Mark | |
erleichtert und dann voll lebenshungrigem Übermut durch die Lande zieht. | |
1917 wurde sie uraufgeführt und heute, ein paar Wirtschaftskrisen und | |
Weltkriege später, nimmt sich die Regisseurin Christiane Pohle erneut des | |
Stoffes an. | |
Was können 60.000 Mark in einer Zeit, in der Milliarden von Euro | |
anscheinend nicht mehr helfen können, überhaupt noch erzählen? Schon in der | |
ersten Szene wird mit Geld um sich geworfen, den ganzen Klumpatsch | |
aufzuheben, die Mühe macht sich niemand. Als ob es kein Gefühl für den Wert | |
mehr gäbe. | |
Die Bühne von Maria-Alice Bahra ist ein hoch aufgebocktes Speerholz-T, das | |
weit in den Zuschauerraum hineinragt und auf das die Akteure des Abends | |
immer wieder klettern müssen. Guido Lambrecht haust als Kassierer in einem | |
kleinen Kassen- oder Wärterhäuschen am Ende der Bühne. Er kommuniziert nur | |
verzerrt über ein Mikro aus seiner Box heraus und existiert monadengleich | |
als Rädchen im Getriebe. Der Diebstahl der 60.000 Mark ist ein Ausbruch aus | |
dieser festgeschriebenen Existenz: Mit einem Stuhl schlägt er ein Loch | |
durch die Wand der Kabine, ist frei. Oder was er eben dafür hält. | |
Vom ersten Moment an spielt Lambrecht kraftvoll und expressiv. Die erste | |
Bekanntschaft seines Kassierers draußen ist eine italienische Dame (Birgit | |
Unterweger), die mit ihrem Sohn (Günther Harder) in der Stadt ist. Der | |
möchte eine Paradiesdarstellung von Cranach kaufen, während seine Mutter | |
das Bild zerkratzt, es mit Popel beschmiert und darauf pisst. Doch der Sohn | |
beschwört die Heiligkeit der Kunst. Wenn am Ende Lambrecht und Unterweger | |
auf der Bühne herumtollen und dabei Bilder von Adam und Eva zitieren, | |
schließt sich diese Klammer der Verweise auf die Kunst. | |
Lambrecht-Unterweger-Harder bilden ein Trio Infernale und das Kraftzentrum | |
dieser Aufführung. Harder mutiert dabei im Laufe des Abends zu dem Autor | |
Georg Kaiser selbst, wenn er aus dessen Schreiben an Verleger Kiepenheuer | |
zitiert; später kommt er als Peter Licht in der Gegenwart an. Dazu gibt es | |
von Ernst Surberg elektronische Orgel in verschiedenen Verzerrungsstufen. | |
Das gesamte Ensemble spielt diesen Abend mit einer massiven Körperlichkeit | |
und stellt sich allen Vorstellungen der Regie. Da wird nach vorne | |
gedonnert, Texteile minutenlang moduliert wiederholt, es gibt Choreinsätze | |
und einmal stellt Mathias Hummitzsch die ganze Bühne mit Plastikstühlen | |
voll, damit Lambrecht sie danach wieder alle abräumen kann. Dazwischen | |
klagt Kaiser/ Harder über seine Geldsorgen und wird dabei von Sara | |
Kittelmann, die als Kostümbildnerin das Groteske gegen das Edle ausspielt, | |
in ein rotes Mephisto-Kostümchen gesteckt. | |
Doch trotz des großen Aufwands: Dabei vermittelt sich zu wenig Haltung zum | |
Stoff. Der Abend mäandriert zwischen der Frage des Geldes, der Sucht des | |
Menschen nach immer größeren Reizen und den biographischen Fragmenten um | |
Georg Kaiser. Es fehlt ein Rhythmus, der die Teile zusammenbringt, und eine | |
Strategie, in der sie zueinander positioniert werden. | |
Stattdessen ziehen die Regieeinfälle die Erzählung in die Länge. Nötig wäre | |
mehr Handwerk und weniger Kunst. Über die Länge von gut zwei Stunden | |
zerrieselt langsam und bisweilen ermüdend, was die Inszenierung zunächst an | |
interessanten Möglichkeiten aufschienen ließ. | |
14 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Torben Ibs | |
## TAGS | |
Elfriede Jelinek | |
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