# taz.de -- Volksabstimmung über Russisch in Lettland: Die zweite Amtssprache | |
> In einem Referendum entscheiden die lettischen Wähler über Russisch als | |
> mögliche zweite Amtssprache. Die Wahl ist aber sogar bei | |
> russischstämmigen Letten umstritten. | |
Bild: Bisher verboten: Lettische Werbeplakate, die ausschließlich auf Russisch… | |
STOCKHOLM taz | "Wir russischstämmigen Letten wollen ganz einfach nicht | |
mehr Mitbürger zweiter Klasse sein", meint Vladimir Lindermans, einer der | |
Initiatoren des Referendums "Dzimt valoda" ("Muttersprache"). Knapp ein | |
Drittel der zwei Millionen EinwohnerInnen Lettlands sind russischer | |
Abstammung, in der Hauptstadt Riga sind es über 40 Prozent. Am Samstag | |
stimmt Lettland darüber ab, ob Russisch zweite offizielle Amtssprache wird. | |
Um Erfolg zu haben, müsste sich am 18. Februar mindestens die Hälfte der | |
Wahlberechtigten am Referendum beteiligen und hiervon wiederum eine | |
Mehrheit - mindestens rund 770.000 - dafür stimmen. Das gilt als | |
unwahrscheinlich. | |
In lettischen Medien, aber auch von Regierungsmitgliedern wurde die | |
Volksabstimmung deshalb als Verschwendung von Steuergeldern kritisiert und | |
empfohlen, das Referendum allein an mangelhafter Beteiligung scheitern zu | |
lassen. Ein Antrag beim lettischen Verfassungsgerichtshof, die Abstimmung | |
als verfassungswidrig zu stoppen, da ein positiver Ausgang gegen die | |
Verfassung des Landes verstoße, in der Lettisch ausdrücklich als einzige | |
Staatssprache verankert ist, wurde vom Gericht im Januar zurückgewiesen. | |
Neben den Regierungsparteien fordern inzwischen auch viele | |
gesellschaftliche Organisationen wie die evangelische und die katholische | |
Kirche zu einer Teilnahme auf. Man solle so zahlreich wie möglich mit pret, | |
also dagegen stimmen, um "ein Zeichen zu setzen". | |
Auch in der russischstämmigen Bevölkerungsgruppe ist das Referendum | |
umstritten. Irina Oleksishina, Koordinatorin eines Jugendklubs in Riga, | |
meint, ihre Landsleute, würden sich ins eigene Fleisch schneiden: "Man muss | |
die Sprache eines Landes können, wenn man sich frei bewegen und arbeiten | |
will." | |
Zunächst war auch das sozialdemokratische Harmonie-Zentrum, das vor allem | |
den russischsprachigen Bevölkerungsteil repräsentiert, auf Distanz zum | |
Referendum gegangen. Doch schwenkte die Partei um, nachdem die Initiative | |
ein unerwartet großes Echo auslöste. Dies hat offenbar auch mit | |
weitverbreiteter Frustration in der russischstämmigen Bevölkerung zu tun. | |
## Mangelhafte Integration | |
Obwohl bei den Wahlen im September 2011 stärkste Partei, war das | |
Harmonie-Zentrum bei der Regierungsbildung wieder ausgebootet worden. Die | |
Regierung stützt sich seither lieber auf die nationalistische Nationale | |
Allianz. Die beschwört natürlich, dass mit dem Referendum nicht nur | |
Lettisch, sondern auch "die Freiheit und unsere alten Werte" gefährdet | |
seien. | |
Umfragen zeigen eine tiefe Spaltung der Bevölkerung: Danach wollen 85 | |
Prozent der ethnischen LettInnen dagegen und 75 Prozent der | |
Stimmberechtigten mit nichtlettischer Abstammung dafür stimmen. | |
Rund 300.000 oder 15 Prozent der Bevölkerung Lettlands dürfen überhaupt | |
nicht abstimmen, weil sie die lettische Staatsangehörigkeit nicht besitzen. | |
Ihre Einbürgerung scheiterte daran, dass sie die lettische Sprachprüfung | |
nicht absolvierten. | |
Nicht die Sprache, sondern die mangelhaften Integrationsbemühungen seien | |
das Problem, meint Nils Muiznieks, ehemals lettischer Integrationsminister | |
und gerade neu gewählter Menschenrechtskommissar des Europarats. Lettlands | |
politische Elite wolle in Wirklichkeit keine Integration des | |
russischstämmigen Bevölkerungsteils, erklärte er in einem Interview mit | |
politika.lv: Ein Teil wolle die Assimilation, der andere die Deportation. | |
17 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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