# taz.de -- Richter am Amtsgericht Reutlingen: Facebook-Account beschlagnahmt | |
> Bei Facebook konnten bisher nur öffentliche Daten eingesehen werden. Das | |
> will ein Richter ändern. Denn über das Netzwerk sollen wichtige | |
> Informationen für einen Einbruch verschickt worden sein. | |
Bild: Am liebsten hätte es der Richter, wenn der Angeklagte freiwillig seinen … | |
REUTLINGEN dpa | Der Prozess ist eigentlich wenig spektakulär. Angeklagt | |
ist ein 20-Jähriger, der einem Kumpel den entscheidenden Tipp für einen | |
Einbruch gegeben haben soll. Und doch könnte gerade dieses ziemlich | |
alltägliche Verfahren vor dem Reutlinger Amtsgericht Geschichte schreiben. | |
Denn um den Angeklagten zu überführen, hat der Richter den Facebook-Account | |
des 20-Jährigen beschlagnahmt. Das - so sagen Experten - gab es in dieser | |
Form wohl noch nie in einem deutschen Strafprozess. Ob es der Richter | |
wirklich schafft, an die Facebook-Daten heranzukommen, ist zwar noch | |
unklar. Aber sollte er Erfolg haben, könnte das soziale Netzwerk in Zukunft | |
in sehr vielen Prozessen als Beweismittel eine Rolle spielen. | |
Der junge Mann auf der Anklagebank ist ein typisches Mitglied der | |
Generation Facebook. "Al Capone" nennt er sich in dem sozialen Netzwerk. | |
Doch nicht nur dieses Pseudonym hat die Ermittler stutzig gemacht: Sie | |
vermuten, dass der 20-Jährige einem Freund über Facebook wichtige | |
Informationen für den Einbruch im Wohnhaus einer befreundeten Familie | |
geschickt haben könnte. Das wäre ein entscheidender Beweis, um den | |
Angeklagten zu überführen. | |
Zwar spiele Facebook bei zahlreichen Ermittlungen schon jetzt eine Rolle, | |
sagt Martin Schirmbacher, Berliner Fachanwalt für | |
Informationstechnologierecht. Allerdings könnten die Ermittler meist nur | |
die öffentlich zugänglichen Daten auf der Pinnwand einsehen. Wenn sich | |
Facebook-Nutzer untereinander Nachrichten schicken, blieben diese vor den | |
Augen der Strafverfolger verborgen. | |
"In den USA ist das schon anders. Da ist es gang und gäbe, dass Ermittler | |
oder auch Anwälte Zugriff auf solche Daten bei sozialen Netzwerken | |
erwirken", sagt der Stuttgarter Rechtsanwalt Carsten Ulbricht, der auf | |
Internet und Social Media spezialisiert ist. Und das will der als | |
IT-versiert geltende Reutlinger Richter nun auch schaffen. Dabei kann er | |
auf Erfahrungen der deutschen Justiz mit dem Internet aufbauen. "Dass | |
E-Mail-Accounts beschlagnahmt werden, kommt auch hier bei uns vor. Aber | |
eher selten, denn das ist schon sehr aufwendig", sagt Ulbricht. | |
## Keine Daten bei Facebook in Deutschland | |
Auf Beschluss eines Richters muss der Betreiber dann E-Mails eines | |
Verdächtigen an die Ermittler aushändigen. "Die deutschen Provider sind da | |
sehr kooperativ - das müssen sie auch sein. Aber wenn es um einen Provider | |
im Ausland geht, hat es die deutsche Justiz sehr viel schwerer", erklärt | |
Schirmbacher. | |
Das merkt im Moment auch der Reutlinger Amtsrichter. Seine Anfrage bei | |
Facebook Deutschland lief ins Leere. Nur die Kollegen in Irland hätten | |
Zugriff auf die Daten des mutmaßlichen Einbrechers, hieß es in Hamburg. Bei | |
Facebook in Deutschland würden nämlich gar keine Daten verarbeitet. Daher | |
müssten sich alle Richter in der Europäischen Union an Facebook in Dublin | |
wenden. Der Richter aus Reutlingen hat jetzt ein Rechtshilfeersuchen nach | |
Irland geschickt. Das koste aber Zeit und Geld, sagt Ulbricht. | |
Genau auf dieses Argument hofft auch der Reutlinger Richter. Wenn er sich | |
hohe Kosten für Nachforschungen im Ausland ersparen wolle, solle er den | |
Ermittlern seinen Facebook-Account doch einfach freiwillig offenlegen, gab | |
er dem 20-jährigen Angeklagten mit auf den Weg. Ob er das macht, wird sich | |
beim nächsten Verhandlungstag am Donnerstag zeigen. | |
## Justiz muss reagieren | |
Einige Juristen würden sich aber wohl wünschen, dass die Auseinandersetzung | |
mit Facebook einmal auf dem offiziellen Rechtsweg durchgefochten würde. | |
Denn wenn der Richter damit Erfolg hätte, würde er wohl zum Pionier. "Dann | |
wird es künftig wohl häufiger eine Beschlagnahme von Facebook-Accounts | |
geben", schreibt Anwalt Thomas Stadler in seinem Blog www.internet-law.de. | |
Über kurz oder lang werde die Justiz aber ohnehin reagieren müssen, ist | |
Ulbricht überzeugt. Gerade die jungen Leute schrieben kaum noch Mails, | |
sondern kommunizierten vor allem über Facebook und andere | |
Internet-Netzwerke. "Entsprechende Fälle werden damit auch die Justiz in | |
Zukunft stärker beschäftigen." | |
20 Feb 2012 | |
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