| # taz.de -- Kommentar Bundespräsidentensuche: "Titanic" als Gegenmodell | |
| > Ausgerechnet ein Kabarettist soll der Gegenkandidat fürs Amt des | |
| > Bundespräsidenten sein. Dass sonst niemand zu finden ist, ist kein Grund | |
| > zum Lachen. | |
| Politik solle auch Spaß machen, heißt es oft. Aber muss sie deshalb witzig | |
| sein? Was dabei herauskommt, wenn sich Politiker auf die Bühne der | |
| Heiterkeit begeben, sorgt alljährlich am Aschermittwoch für bierdröhnende | |
| Stimmung. Höhepunkte schaffen es aus bayerischen Lokalen in die | |
| bundesweiten Nachrichten - und das hört sich dann etwa so an: „Das ist kein | |
| Tsunami, das ist nur eine Westerwelle.“ | |
| Mit dem Satz sorgte vor ein paar Jahren Horst Seehofer für Lacher zum | |
| politischen Fastenbeginn. Aber war das komisch? Zurzeit ist der Mann | |
| vertretungsweise Staatsoberhaupt - und während in Dingolfing, Vilshofen und | |
| Passau die Politik der Grenze zum Witz auf den Leib rückt, wollen andere, | |
| dass der professionelle Humor die Linie zur Politik überschreitet. | |
| Ausgerechnet das Amt der bedrohten Würde soll zum Hort | |
| gesellschaftskritischer Kleinkunst werden. Georg Schramm for President? | |
| Nun, der letzte Bundespräsident war eine Lachnummer - da kann es eigentlich | |
| nur ein Fortschritt sein, wenn einmal jemand im Schloss Bellevue sitzt, der | |
| das komische Fach wirklich beherrscht. Aber es steckt mehr darin, ein | |
| Paradigmenwechsel: Was Politikern nicht mehr zugetraut wird, sollen immer | |
| öfter Kabarettisten richten. | |
| Schramm würde im Trend liegen: Schon vor drei Jahren bot die Linkspartei | |
| gegen einen humorfreien Horst Köhler den Schauspieler Peter Sodann auf - | |
| auch der ein Mann des politischen Witzes. Kommissar Ehrlicher versprach | |
| „Ernstes mit Heiterem“ zu verbinden. Die Bewerbung geriet bisweilen | |
| tatsächlich zum „Klamauk“ (Focus), wirklich komisch war das aber nie. | |
| Andere waren erfolgreicher: 2010 obsiegte der Komiker Jón Gnarr bei der | |
| Bürgermeisterwahl in der finanzkrisengeschüttelten Hauptstadt Islands. In | |
| Italien wurde der Spaßblogger Beppo Grillo zum Hoffnungsträger | |
| Zehntausender, die sich von ihrem korrupten System weder Bespaßung noch | |
| Interessenvertretung erwarten wollten. Und in den USA spielte unlängst der | |
| Entertainer Stephen Colbert öffentlich mit dem Gedanken einer Kandidatur | |
| ums Weiße Haus - die lachende Begeisterung darüber entsprach dem bitteren | |
| Ernst im Zweiparteien-Patt. | |
| Was sagt das, wenn die Sehnsucht nach einer Politik wächst, die zwar nicht | |
| selbst schon Kabarett ist, aber von Kabarettisten besser repräsentiert | |
| wird? Offenbar sieht so die andere Seite der TINA-Medaille aus - da vom | |
| alteingesessenen Ensemble der Politik keine wirklichen Alternativen mehr zu | |
| erwarten sind, möge sich das Verdrossenheit spendende Politgeschäft | |
| wenigstens gekonnter den Eulenspiegel vorhalten. Und wer könnte das besser | |
| als Komiker mit politischem Programm. Krise, Klimawandel, Krieg - was zum | |
| Heulen ist, wird im Kopf durch bissigen Witz entspannt. Die Titanic als | |
| gesellschaftlicher Zustand, Motto: Wie es sinkt und lacht. | |
| Die sich als ernste Opposition sehen, werden darüber nachdenken müssen, was | |
| es bedeutet, wenn der Rentner-Figur Lothar Dombrowski mehr Contra gegen den | |
| überparteilichen Block des kapitalistisch Erlaubten zugetraut wird als all | |
| den Namen, die jetzt niemandem einfallen. Irgendeine kritische | |
| Intellektuelle, die sich wirklich aufdrängt? Irgendein Leuchtturm der | |
| Zivilgesellschaft, der dem kollektiven Nein ein Gesicht geben könnte? Eben. | |
| Die Strahlkraft der Schramms, Colberts und Grillos ist wohl auch die Blässe | |
| von anderen. Politisch betrachtet - nicht gerade ein Grund zum Lachen. | |
| 22 Feb 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Tom Strohschneider | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommunalwahl in Italien: Beppe Grillo mischt die Politik auf | |
| In Parma gewinnt die Liste „5 Sterne“ die Wahl und das Amt des | |
| Bürgermeisters. Damit verschieben sich die Koordinaten der italienischen | |
| Politik. Aber die Linke hat ein Problem. | |
| Schramm kandidiert nicht als Präsident: Das Amt lieber abschaffen | |
| Georg Schramm kandidiert nicht für das Amt des Bundespräsidenten. In einer | |
| Erklärung fordert er die Abschaffung des Amtes oder eine Direktwahl. | |
| Linke und Piraten wollen Kabarettist als Präsi: Satiriker ins Schloss Bellevue | |
| Ein neues Bündnis kündigt sich an: Linkspartei und Piraten wollen den | |
| Kabarettisten Georg Schramm als Kandidaten. Der Umgarnte selbst hält sich | |
| bedeckt. | |
| Präsidentenwahl in Bundesversammlung: Die ganz, ganz große Koalition | |
| Die schwarz-gelbe Mehrheit in der Bundesversammlung ist wacklig. Deshalb | |
| muss der nächste Kandidat schwarz-, gelb-, rot-, grünverträglich sein. | |
| Wulff-Witze im Netz: Mr. Bundespräsidon't | |
| Schon kurz vor Wulffs Rücktritt brach der Kommentarsturm über Twitter | |
| herein. Ob nun Karnevalswagen verbrannt würden? Oder Markus Lanz | |
| Bundespräsident werde? |