# taz.de -- Journalismus in Ägypten: Heute machen wir alle Kampftraining | |
> Die Journalistinnen Nora Younis und Shaimaa Adel sprechen über die | |
> Revolution, Zensur, die Muslimbrüder und Vorurteile von Kollegen aus dem | |
> Westen. | |
Bild: Selbstverteidigungskurse für ägyptische Frauen sind ein neuer Trend. | |
sonntaz: Sie beide arbeiten für die staatsunabhängige Tageszeitung Al-Masry | |
Al-Youm (Independent Egypt) und haben von Anfang an über die Revolution | |
berichtet. War es schwierig, den Job als Revolutionsreporterin zu kriegen? | |
War die Konkurrenz im eigenen Haus groß? | |
Shaimaa Adel: Nein. (lacht) Es war ja gefährlich. Außerdem wollte die | |
Zeitung keine Frauen auf der Straße haben. Der Chefredakteur hat sogar | |
allen Kolleginnen geraten, auch aus dem Newsroom, nach Hause zu gehen. Ich | |
bin auf eigenes Risiko raus. Während der ersten Tage der Revolution waren | |
die Handys abgeschaltet. Es war also schwierig für unsere Chefs, die | |
Reporter zu kontrollieren. Sie konnten ja nicht mit uns sprechen. Das habe | |
ich ausgenutzt. | |
Nora Younis: Bei der Onlineabteilung, die ich bei Al-Masry Al-Youm leite, | |
habe ich niemanden nach Hause geschickt. Mein ganzes Team hat die ganze | |
Zeit gearbeitet und war mit Videokameras draußen. Aber Print ist | |
konservativer. Online ist der Motor für Veränderung. | |
War Ihre Zeitung insgesamt für die Revolution? | |
Younis: Nein. Die Älteren sind bis heute eher skeptisch, die Jüngeren in | |
der Regel dafür. Online ist jung, bei uns sind alle für die Demokratie. | |
Wie sieht es mit Zensur im Haus aus? Gab es Tabus? | |
Adel: Erstaunlicherweise gab es keine Einschränkungen. Nachdem ich erst mal | |
draußen auf der Straße war, konnte ich machen, was ich wollte - und alles | |
wurde gedruckt. | |
Sind Sie selbst verletzt worden? | |
Adel: Nein. Auf dem Tahrirplatz war es immer ein bisschen sicherer als | |
anderswo. Hier war man ja durch die Gemeinschaft geschützt. | |
Younis: Das Militär hat versucht, gezielt gegen Frauen vorzugehen. Es | |
wollte uns spalten, wollte, dass wir Frauen nach Hause gehen und dann auch | |
unsere Männer und Brüder heimholen. Wir mussten uns entscheiden: Lassen wir | |
uns zu Frauen machen und entscheiden uns gegen die Revolution? Oder | |
vergessen wir, dass wir Frauen sind, und kämpfen. Ich hab mich von da an | |
nicht mehr als Frau gesehen. | |
Wie geht das? | |
Younis: Verdrängung. Manche Demonstrantinnen haben sich besonders viele | |
Schichten angezogen, um sich besser gegen sexuelle Übergriffe seitens der | |
Militärs zu schützen. Ich nicht. Ich habe über meine Verletzlichkeit | |
einfach nicht mehr nachgedacht. Auch nicht mehr über meine Angst. Es zählte | |
nur, dass wir um jeden Quadratzentimeter auf der Straße kämpfen und das | |
Militär zurückdrängen und so viel wie möglich berichten. Wir sind jetzt | |
alle reif für die Therapie, die es in Ägypten aber leider nicht gibt. | |
(lacht) Wir hätten aber auch gar keine Zeit dafür. | |
Wie gehen Straßenkampf und Journalismus zusammen? | |
Younis: Wenn man angegriffen wird, verschwimmen die Grenzen zwischen | |
Aktivistendasein und Beobachterrolle. Wir haben immer wieder versucht, | |
Distanz zu wahren. Aber es gab auch Momente, wo wir einfach nur aufseiten | |
der Revolution standen. | |
Ihr Sohn war zu Beginn der Revolution gerade zehn Monate alt. | |
Younis: Ja, mein Mann ist Aktivist, war also auch auf der Straße, und unser | |
Kind blieb bei meiner Mutter. Ich habe versucht, jeden Abend nach Hause zu | |
kommen. Aber einmal hatten sie den Tahrirplatz so eingekesselt, dass ich 48 | |
Stunden nicht wegkam. Das war die schwierigste Zeit meines Lebens. | |
Wie ist die Situation als Reporterin heute? | |
Younis: Wir können heute viel mehr veröffentlichen als vor der Revolution. | |
Beziehungsweise wir tun es einfach. Gerade online. Wir berichten über | |
alles, so wie es passiert. Früher mussten wir um eine Genehmigung ersuchen, | |
wenn wir das Militär nur erwähnen wollten. Um solche Regeln kümmern wir uns | |
nicht mehr. Ich weiß gar nicht, ob sie noch existieren. Egal. Wenn wir | |
später unter Druck geraten, wollen wir wenigstens das Maximale geschrieben | |
haben. Aber der Druck ist enorm. | |
Adel: Und die physische Bedrohung ist viel größer, für das Militär sind wir | |
erst jetzt zu Zielscheiben geworden. Vor einem Jahr waren wir Teil der | |
Menge, genauso gefährdet wie alle anderen. Jetzt hat das Regime begriffen, | |
dass ihm Journalisten gefährlich werden können - und geht bewusst brutal | |
gegen uns vor. | |
Wie gehen Sie mit der neuen Gefahr um? | |
Younis: Wann immer es eine kleine Pause gibt, trainieren wir unsere Crew. | |
Während der Revolution wurde auf einen unserer Reporter geschossen, er hat | |
sein rechtes Auge verloren. Wir waren damals auf die Gewalt total | |
unvorbereitet. Heute machen wir alle Kampftraining und informieren unsere | |
Leute übers Handy, welche Waffen gerade benutzt werden, damit sie sich | |
schützen können. | |
Wie sieht das konkret aus? | |
Younis: Wir bekommen die Nachricht, dass eine Militäreinheit an einem | |
bestimmten Platz mit Pistolen schießt. Also rufen wir unsere Leute an, und | |
die wissen dann, dass sie nur auf 60 Meter rankönnen, damit die Kugeln sie | |
nicht treffen. An einer anderen Stelle wird Tränengas eingesetzt, also | |
informieren wir die Kollegen, damit sie rechtzeitig ihre Masken aufsetzen | |
können. Und so weiter. | |
Aufhören ist keine Option? | |
Adel: Nein. Wenn wir jetzt klein beigeben, verlieren wir alles. Ich habe | |
keine Ahnung, was in sechs Monaten sein wird. Aber wenn das Militär | |
gewinnt, ist die Pressefreiheit tot. | |
Younis: Und wir sind wahrscheinlich im Gefängnis. | |
Die Muslimbrüder sind auch nicht gerade für ihre Liebe zur Pressefreiheit | |
bekannt. | |
Adel: Auch sie wollen die Demokratie. | |
Younis: Das glaube ich nicht. Die Basis der Muslimbrüder hat mit Demokratie | |
überhaupt nichts am Hut, nur die Führungsriege ist politisch aufgeklärt und | |
geschult. Mir machen auch die Islamisten ziemliche Sorgen. Übrigens nicht | |
so sehr wegen der Frauenfrage. Die beschäftigt den Westen ja mehr als uns. | |
Sondern wegen der wirtschaftlichen Agenda. Die Hauptfrage in Ägypten ist | |
Butter und Brot, Benzin, wie kann ich überleben? Aber das interessiert die | |
Brüder überhaupt nicht. Alles wird davon abhängen, ob wir Liberalen den | |
Druck aufrechterhalten können. | |
Werden Sie es schaffen? | |
Younis: Wir müssen. Aber wenn es noch länger als ein Jahr dauert, haben wir | |
ein Problem. | |
Wie hat sich die Leserschaft von Al-Masry Al-Youm verändert? | |
Younis: Online hat sich unsere Leserschaft verdoppelt. Wir haben vor allem | |
arabische Leser gewonnen. Als die Revolution begann, hatten wir rund | |
100.000 User pro Tag. Jetzt sind wir im Durchschnitt bei mehr als 200.000. | |
An besonderen Tagen kamen wir sogar auf 400.000. Für Print haben wir keine | |
Zahlen. Aber es heißt, dass rund 30 Prozent der jüngeren ägyptischen | |
Zeitungsleser Al-Masry Al-Youm lesen und sich generell etwa vier Leute eine | |
Printzeitung teilen. Wir können uns über Mangel an Interesse wirklich nicht | |
beschweren. | |
Wie steht Ihre Zeitung heute finanziell da? | |
Younis: Genauso wie vor der Revolution. Aufgrund unserer hohen Auflagen | |
haben wir noch relativ viele Anzeigen, auch wenn der Anzeigenmarkt | |
insgesamt eingebrochen ist. Aber wir konnten den Rückgang mit dem | |
Leserzuwachs ausgleichen. Unsere Shareholder sind auch noch da. Mal sehen, | |
wie lange es uns noch gut gehen wird. | |
Ihre Gehälter sind gut? | |
Adel: Ja, wir werden überdurchschnittlich gut bezahlt. Ich lebe noch bei | |
meinen Eltern, aber bin finanziell unabhängig. Wir kriegen Gefahrenzulagen | |
und Boni, wenn wir besonders gute Geschichten liefern. Finanziell können | |
wir uns nicht beschweren. | |
Younis: Nein, überhaupt nicht. | |
Was ist die nervigste Frage, die westliche Journalisten Ihnen bislang | |
gestellt haben? | |
Adel: Mich stören weniger einzelne Fragen als die Haltung mir gegenüber. | |
Ein Kollege von der Washington Post zum Beispiel, hat mir einfach nicht | |
geglaubt, dass ich über Libyen, Palästina und eben auch über den | |
Tahrirplatz berichtet habe. | |
Weil Sie so jung sind und ein Kopftuch tragen? | |
Adel: Weil er sich nicht vorstellen konnte, dass eine arabische Frau an die | |
Front geht und dort ihren Job macht. Und er ist nur einer unter vielen. | |
Younis: Klar geht mir auch die Stereotypisierung von arabischen Frauen auf | |
die Nerven. Aber noch anstrengender finde ich die ewige Frage nach der | |
Sicherheit von Israel. Als ob ich dafür verantwortlich wäre, mit jedem | |
Schritt, den ich in meinem Land tue, die Sicherheit von Israel zu | |
garantieren. Israel ist wirklich nicht auf meiner Agenda. Es interessiert | |
mich nicht. Ich habe ganz andere Probleme. | |
25 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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