# taz.de -- Bruce Springsteens neues Album: Gestern war es besser | |
> Bruce Springsteen ist wütend. Das kann man hören, auf seinem neuen Album | |
> - mit kämpferischen Songs über den kaputten amerikanischen Traum. | |
Bild: Ein sehr kleiner, wütender Mann bei den Grammys 2012: Bruce Springsteen. | |
Das Wall Street Journal hat die Gefahr bereits absorbiert. Das Zentralorgan | |
der amerikanischen Banker besprach zu Beginn der Woche als eines der ersten | |
großen Presseorgane Bruce Springsteens neues Album „Wrecking Ball“ und | |
analysierte nicht einmal besorgt: Der große alte Mann der amerikanischen | |
Rockmusik habe sich „die Finanzwirtschaft als herausragenden Gegner“ | |
ausgesucht. | |
Tatsächlich: Springsteen mag noch nie ein Großmeister der Grautöne gewesen | |
sein, aber so eindeutig wie auf seinem 17. Studio-Album waren die Rollen | |
noch nie verteilt. Die da oben sind schuld, denen da unten geht’s scheiße. | |
Und: Das ist nicht in Ordnung. „The banker man grows fat, working man grows | |
thin“, heißt es in „Jack of All Trades“. Der mittlerweile 62-Jährige | |
grummelt es eher, als dass er es singt. Später nuschelt er dann: „If I had | |
me a gun, I’d find the bastards and shoot ’em on sight.“ Ja, der Boss ist | |
richtig sauer. | |
Diese verzweifelte, aber immer noch kämpferische Klage über die Macht der | |
Banken, über Geschäftemacher, die sein Land zugrunde gerichtet haben, zieht | |
sich wie ein roter Faden durch das Album. „Easy Money“ heißt ein Song. | |
„Gambling man rolls the dice / Working man pays the bill / It’s still fat | |
and easy up on banker’s hill“, wüted Springsteen in „Shackled and Drawn�… | |
Trotzdem kommt der Rezensent des Wall Street Journal zu einem versöhnlichen | |
Fazit: „Wrecking Ball“ sei „ein Triumph“. Und gar nicht so gefährlich,… | |
Springsteens neues Opus stärke schlussendlich „traditionelle christliche | |
und amerikanische Ideale“. | |
Das mag so sein. Allerdings propagiert Springsteen dann wohl doch andere | |
Ideale, als sie an der Wall Street vorherrschen. Bei einer Pressekonferenz | |
in Paris in der vergangenen Woche ließ er keinen Zweifel an seiner | |
politischen Stoßrichtung: „Was unserem Land angetan wurde war falsch und | |
unpatriotisch und unamerikanisch“, zeterte er mit Blick auf die | |
Finanzwirtschaft und die abgewählte Bush-Administration, „und niemand ist | |
dafür bislang zur Rechenschaft gezogen worden.“ | |
Ausdrücklich erwähnte er Occupy Wall Street als positiven Impuls, die | |
gesellschaftliche Starre in den USA aufzulösen. Die Bewegung hätte „die | |
nationale Agenda verändert, die zuvor von der Tea Party bestimmt war“. | |
## Was „amerikanisch“ ist | |
Auf Springsteens Agenda steht es schon lange, die Deutungshoheit über das | |
„Amerikanische“ zurück zu erlangen. Ein Projekt, das 2005 mit „Devils & | |
Dust“ begann, mit dem Springsteen erste Zweifel anmeldete an der | |
patriotischen Allianz, in die er sich widerspruchslos mit dem | |
Post-9/11-Album „The Rising“ eingereiht hatte. Ein Jahr später folgte „We | |
Shall Overcome: The Seeger Sessions“, auf dem er über das Nachspielen alter | |
Folk-Klassiker den amerikanischen Traum als Arbeiterrecht reklamierte. | |
Das anschließende „Magic“ mit seinen Geschichten von Verlierern, | |
Außenseitern und Gescheiterten ließ sich lesen als Zustandsbeschreibung | |
einer Nation in einem ungeliebten Krieg. Vor drei Jahren begrüßte er mit | |
„Working on a Dream“ weniger die Ankunft von Obama, den er im letzten | |
Wahlkampf unterstützte, als das Ende der Ära Bush. | |
Dieses Projekt findet nun mit „Wrecking Ball“ seinen vorläufigen Abschluss. | |
Und damit er nicht missverstanden wird, wie es ihm mit „Born in the U.S.A.“ | |
passiert ist, das, obwohl ein Anti-Vietnamkriegs-Song, als Hymne des ersten | |
Golfkriegs missbraucht wurde, laufen im Videoclip zur ersten | |
Single-Auskopplung „We Take Care of Our Own“ mitten durch die | |
Schwarz-Weiß-Bilder von Obdachlosen und leerstehenden Häusern, abgehärmten | |
Gesichtern und hoffnungsvollen Kinderaugen die Texte: „Where is the promise | |
from sea to shining sea?“ – in Anspielung auf ein populäres Lied, das die | |
USA als Land der unbegrenzten Möglichkeiten preist. | |
Dieses Versprechen, so Springsteen in Paris, ist gebrochen worden: „Es gibt | |
keine Vereinigten Staaten, wenn du einigen Menschen sagst, sie dürfen nicht | |
mit auf den Zug springen.“ Mit seinen neuen Songs reaktiviert er seine | |
Lieblingsrolle als Volkstribun, der denen da oben mal erklärt, wie der | |
wahre Amerikaner da unten lebt. „Hard times come and hard times go“, singt | |
Springsteen im Titelsong, in dem er den Abriss des Giants Stadium in seinem | |
Heimatstaat New Jersey erzählt. Das Stadion, in dem vor allem Football | |
gespielt wurde, verschwand 2010 und wurde ersetzt durch eine hochmoderne | |
Entertainment-Arena, während auf dem alten Ort Parkplätze entstanden: „All | |
our little victories and glories have turned into parking lots.“ | |
## Eintauchen in die Vergangenheit | |
Das Alte, Bewährte, so die Botschaft, muss verschwinden, wenn es der | |
Kapitalismus so will. Aber das ist falsch. Eine Haltung, die auch in der | |
Musik des neuen Albums reflektiert wird. Manager Jon Landau, der | |
Springsteen einst legendärerweise zur Zukunft des Rock‘n‘Roll erklärt | |
hatte, versprach, das neue Album seines Schützlings sei dessen „musikalisch | |
innovativstes der letzten Jahre“. Dazu haben Springsteen und sein Produzent | |
Ron Aniello erst einmal der E Street Band eine Pause verordnet. Nur | |
einzelne Mitglieder kommen sporadisch zum Einsatz, der im vergangenen Jahr | |
verstorbene Clarence Clemons grüßt mit einem Saxophon-Solo aus dem Grab. | |
Stattdessen hat Aniello moderne Technik genutzt, um manche Songs mit | |
elektronischen Sounds und Computer-Beats aufzupeppen. Doch natürlich ist | |
aus „Wrecking Ball“ trotzdem kein Techno-Album geworden, denn mit noch viel | |
größerer Lust taucht Springsteen ein in die Vergangenheit. Dort liegen | |
seine Bezugspunkte, dort, in einem besseren Gestern will er sich verorten. | |
Fast scheint es, als sollte „Wrecking Ball“ ein Landkarte entwerfen, die | |
den Weg weist zu den glorreichsten Momente in der Geschichte der populären | |
Musik Amerikas, zu Country, Folk, Rock. Auch zu Soul und Gospel, die so | |
ausführlich wie noch nie bei Springsteen auftauchen. Am Ende von „Land of | |
Hope and Dreams“ stimmt eine Frauenstimme sogar Curtis Mayfields schwarze | |
Selbstermächtigungshymne „People Get Ready“ an. | |
## Er besetzt die Musiken | |
Springsteen besetzt diese Musiken, so wie die Protestierer die Wall Street | |
besetzt haben. Beides hat vor allem eine symbolische Bedeutung. Ob in dem | |
eher optimistischen „Shackled and Drawn“ mit seiner von Fidel und Banjo | |
gestützten Jahrmarktsstimmung oder im elegischen, auf Klavier, Streicher | |
und Posaunenchor bauenden „Jack Of All Trades“: Immer wieder bezieht sich | |
Springsteen auf die „Seeger Sessions“ und damit auf die | |
Protest-Song-Tradition der USA, die noch vor Woody Guthrie oder Seeger | |
zurückreicht. | |
Noch weiter zurück geht die musikalische Reise in die glorreiche | |
amerikanische Vergangenheit in „Death to My Hometown“: Während Springsteen | |
berichtet, wie der globalisierte Kapitalismus eine Stadt zerstört, wie mit | |
der Fabrik zuerst die Arbeit und dann auch die Würde verschwindet, | |
jubilieren die Spielmannsflöten, als käme gerade die Kavallerie zur Rettung | |
angeritten. | |
Am Ende des Albums steht das bereits sechs Jahre alte „American Land“, ein | |
Song, der längst fest zu seinem Live-Programm gehört. Über einen | |
Marschrhythmus und mit hemmungsloser Fröhlichkeit fordert Springsteen all | |
die illegalen und legalen Einwanderer aus Mittel- und Südamerika auf, es | |
„the Irish, the Italians, the Germans and the Jews“ nach zu tun. | |
Die kamen einst mit leeren Bäuchen über das große Wasser in dieses Land der | |
unbegrenzten Möglichkeiten, das es niemals gegeben hat, das lange aber | |
wenigstens ein funktionierendes Versprechen war. Das Lied verspricht: Das | |
Land liegt immer noch hier, „ready for the taking of every working man“. | |
Das alte Versprechen wird erneuert: „Make your home in die American land“. | |
Wie sie das in der Wall Street wohl wirklich finden? | |
1 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
Thomas Winkler | |
## TAGS | |
Folk Music | |
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