Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Heimerziehung: Problemheim abgewickelt
> Nach Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfen ist das unterbelegte
> Jugendheim Phönixx im niedersächsischen Blender pleite. Sozialministerium
> und Heimaufsicht waren die Vorwürfe lange bekannt.
Bild: Heimerziehung der 50er-Jahre: Im Erziehungsheim Freistatt mussten Jugendl…
HANNOVER taz | Wegen ihres Umgangs mit der umstrittenen
Jugendbetreuungseinrichtung Phönixx GmbH im niedersächsischen Blender
stehen Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) und ihre Heimaufsicht in der
Kritik. Seit diesem Donnerstag ist das Heim im Landkreis Verden nach
monatelangen Misshandlungs- und Missbrauchsvorwürfen wegen Insolvenz
geschlossen. Das Landessozialamt als Aufsichtsbehörde hatte an der
Betriebsgenehmigung festgehalten.
Von sexuellem Missbrauch unter Betreuten, Schlägen, erniedrigenden
Bestrafungsmethoden wie kaltem Abduschen oder Einsperren in abgedunkelten
Zimmern, bekleidet nur in Unterwäsche, berichten Jugendliche und ehemalige
Mitarbeiter. „Die Jugendlichen wurden dort bloß verwahrt, mit
Resozialisation hat das nichts zu tun“, sagt eine frühere Mitarbeiterin der
Einrichtung. Dort wurden Jugendliche aus ganz Deutschland mit besonders
problematischem Hintergrund – meist vorbestraft, häufig mit
Psychiatrieerfahrung – betreut.
Ende Januar eskalierte die Situation: Tumulte unter Heimbewohnern lösten
einen Polizeieinsatz mit mehreren Streifen und einem Hubschrauber aus. Die
Jugendlichen hätten ihre Kritik an der Heimleitung ausdrücken wollen, heißt
es bei der Polizei Verden.
## Jugendämter „irritiert“
Pleite gegangen ist die Einrichtung jetzt schlicht wegen Unterbelegung: Die
jeweils zuständigen Jugendämter haben die von ihnen betreuten Jugendlichen
aus Blender abgezogen. In Bochum etwa zeigt sich Jugendamts-Sprecherin
Tanja Wißing „irritiert“ über die Vorgänge: Nur gerüchteweise habe man …
Eltern, Heimbewohner und Ex-Mitarbeiter von den Vorwürfen erfahren. „Da
stellt sich uns die Frage, warum wir nicht auf offiziellem Weg von der
Heimaufsicht in Kenntnis gesetzt wurden“, sagt Wißing.
Denn bekannt ist dem Landessozialamt eine „Missstandsdiskussion“, wie es
Sprecher Joachim Niepel formuliert, seit langem. Seit Februar 2011 gehen
bei der Heimaufsicht immer wieder Beschwerden ein, von Jugendlichen selbst,
von Ex-Mitarbeitern, zum Teil anonym. Und auch Niepels Dienstherrin,
Sozialministerin Özkan, weiß von den Vorwürfen. Vergangenen November
berichtete sie auf Anfrage der Grünen-Jugendpolitikerin Miriam Staudte von
„strukturellen und organisatorischen Mängeln“. Und attestierte der Phönixx
GmbH zugleich einen „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“. Der Vorwurf
des sexuellen Missbrauchs, so Özkan im November, „bestätigte sich nicht“.
Was sie nicht näher ausführte: Die Staatsanwaltschaft Verden ermittelt noch
immer gegen zwei Heimbewohner wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf
andere Jugendliche. Gegen drei Phönixx-Betreuer wird zudem wegen des
Verdachts ermittelt, rechtswidrige Disziplinarmaßnahmen ergriffen zu haben.
Dass der Kreis der Beschuldigten noch erweitert wird, will ein Sprecher der
Staatsanwaltschaft derzeit nicht ausschließen.
Für die Grünen-Politikerin Staudte ist es „ein Unding“, dass die
Landesregierung diese Verfahren nicht angegeben hat. „Dass Jugendliche auch
nach der jüngsten Debatte um Missbrauch in der Heimerziehung der 50er- und
60er-Jahre mit Beschwerden noch immer so schwer Gehör finden, ist
beschämend“, sagt sie. Ihre Fraktion hat zwischenzeitlich Akteneinsicht in
die Unterlagen der Heimaufsicht beantragt. „Es muss aufgeklärt werden,
warum bei einer so umstrittenen Einrichtung nicht früher und entschiedener
interveniert wurde“, sagt Staudte.
## „Nichts zu beanstanden“
Bei der Aufsichtsbehörde verweist Sprecher Niepel auf „intensive
Bemühungen“ wie Vor-Ort-Besuche oder Beratungsgespräche. Die Notwendigkeit,
stärker einzugreifen, habe man bei den „mehr oder minder bestätigten
Vorwürfen“ aber nicht gesehen. „Unsere Hauptarbeit ist, solche
Einrichtungen zum Laufen zu kriegen, nicht sie platt zu machen“, sagt er.
„Diskussionen um die richtige Pädagogik, klare Grenzen und die Frage, wie
hart diese gezogen werden, gibt es da immer wieder.“
Ähnlich äußert sich das Sozialministerium: Der Umgang der Heimaufsicht mit
den Missbrauchs- und Misshandlungsvorwürfen sei „nicht zu beanstanden“,
sagt eine Sprecherin. Auch die Kritik aus Bochum weist sie zurück:
Jugendämter, die Jugendliche bei der Phönixx GmbH untergebracht hatten,
seien über die Vorfälle stets informiert gewesen.
Ob die drei Betreuer, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, noch bis
zur Schließung bei der Phönixx GmbH tätig waren, weiß Niepel von der
Heimaufsicht indes nicht. Und auch die Frage, ob die des sexuellen
Missbrauchs verdächtigten Jugendlichen weiter in Blender untergebracht
waren, kann er nicht beantworten. „Die Sache“ sei mit der Insolvenz für das
Landessozialamt „abgeschlossen“, erklärt er.
Die Grünen-Politikerin Staudte warnt unterdessen, die Phönixx-Betreiber
könnten nun versuchen, „eine neue Einrichtung mit neuem Türschild zu
eröffnen“. Entsprechende Pläne sind dem Landessozialamt laut Niepel nicht
bekannt. Ausschließen, dass den Betreibern mit neuem Konzept eine
Genehmigung für eine ähnliche Einrichtung erteilt wird, will er aber nicht.
Die Geschäftsleitung selbst war für die taz nicht zu erreichen.
1 Mar 2012
## AUTOREN
Teresa Havlicek
## TAGS
geschlossene Heime
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geschlossenes Heim noch offen: Sommerfestspiele um Jugendheim
Die geplante Einrichtung für jugendliche Straftäter im Bremer Blockland
bleibt umstritten. Ein Sozialdemokrat will sie kleiner, ein Ex-Staatsrat
der Grünen gar nicht
Kommentar Jugendheimaufsicht: Aufklärung geht anders
Statt die Vorwürfe gegen das Jugendheim aufzuklären, schont
Sozialministerin Özkan sich selbst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.