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# taz.de -- Mit sich selbst im Widerspruch: Schnell weiter
> Eine Ausstellung, die sich als Ort der Entschleunigung profilieren will,
> erreicht durch eine Fülle an Informationen und Kunstwerken genau das
> Gegenteil.
Bild: Die am meisten gegoogleten Worte als Wassertropfen: Julius Popp, bit.fall.
WOLFSBURG taz | Wer will, kann sofort Fangen spielen: Mit den Kugeln
nämlich, die da im Foyer der Wolfsburger „Kunst der
Entschleunigung“-Ausstellung liegen und deren System zu entschlüsseln so
viel Spaß verspricht. 50 verchromte Aluminiumkugeln hat der Däne Jeppe Hein
auf den Boden gelegt, und da rollen sie jetzt vor sich hin. Man geht hin
und tippt sie an – klack, zucken sie zurück. Man dreht sich um – sie
folgen. Man versucht ihnen den Weg zu versperren – sie rollen unbeirrt.
Denn diese Kugeln haben ihr eigenes Gehirn, beziehungsweise ihr eigenes
Motörchen und kümmern sich einen feuchten Kehricht um das, was ich will.
Apropos Motörchen: Da sind wir auch schon mitten drin im Spiel mit Be- und
Entschleunigung, das die Ausstellung spielt, will sie sich doch als Ort der
Muße profilieren. Deshalb nimmt der Parcours gleich zu Beginn das
Kugel-Motiv auf und zeigt den von Goethe entworfenen „Stein des guten
Glücks“, eine Kugel auf einem Quader. Die Skulptur symbolisiert die Balance
von Tempo und Ruhe und sollte den rastlosen Dichter mahnen.
Gleich daneben steht das Extremste, das unsere Zeit zu bieten hat: die
Kapsel von Hussein Chalayan, in der man wie im Auto durch die Lande
gleitet, im leichten Wiege-Rhythmus. Die Kabine ist Uterus, Wanne und
Essgemach zugleich. Man kann allein sein in ihr, andererseits ist sie
gläsern und bietet kaum Geborgenheit.
So ausgewogen, wie die Schau es suggeriert, hat die Kunst natürlich nie
zwischen Be- und Entschleunigung changiert. Aber man kann interessante
Gleichzeitigkeiten finden. Die von Futurismus und Pittura Metafisica etwa,
genauer: zwischen den Tempo-Freaks und der Stille eines Chiricio. Oder den
Kubisten Robert Delaunay und den Farbfeldmaler Mark Rothko kontrastieren.
Die rastlosen Videos von Bill Viola in die Nähe des Zen-Gartens des
Wolfsburger Museums bringen.
All dies sind zwar Konstrukte, aber durchaus gelungene. Fast möchte man
sagen: der Ansatz einer These. Die wird aber sabotiert durch den
gleichzeitigen Versuch der Ausstellungsmacher, die Kunstgeschichte von der
Romantik bis heute vollständig abzubilden.
Und während man mühsam durch die Kunstgeschichte stapft, bemerkt man, dass
dies auch eine kleine Geschichte der Zeit ist, besser: von Zeit und
Bewegung. Und dass sie einen manchmal sehr brutal mit der eigenen
Fehlwahrnehmung konfrontiert. In dem Film „The Clock“ von Christian Marclay
etwa, der bei der letzten Biennale in Venedig schockierte, sind Filmszenen
mit Uhren so aneinander geklebt, dass sie insgesamt 24 Stunden anzeigen.
Auch der Film dauert 24 Stunden.
Die Betrachter waren schockiert, und auch wer nur kurz folgt, ist es.
Warum? Weil Zeit als objektiv messbares Faktum immer unzulänglich bleibt –
Schaltsekunden, minuten, jahre beweisen es. Weil die Komponente der
subjektiven, gefühlten Zeit wegfällt. Und weil man gar nicht möchte, dass
das individuelle Zeitgefühl unterminiert wird – schon gar nicht im Medium
Film, das oft eins der Illusion ist.
Übertragen auf die Kunst formuliert sich die Frage anders: Hat die
meditative Kunst recht oder die stark bewegte – Rothko oder Bill Viola –
oder sind beides mögliche Darstellungsvarianten von Zeit? Und hat Rothko
bloß verdichtet, was etwa die Futuristen taten? Muss die auch derzeit
allgegenwärtige Hektik irgendwann in Ruhe münden?
Werke wie Nam Juni Paiks Buddha-Kopf, der sich in Echtzeit per Video selbst
beobachtet, sowie die gesamte, auf Kontrast gepolte Versuchsanordnung
suggerieren es. Sehr standhaft behauptet die Ausstellung, dass die
Sehnsucht nach Ruhe trotz allen Tempo-Wahns immer dagewesen ist.
Dabei hätte man es bewenden lassen können, hätte dem Betrachter Raum zur
Reflexion geben können, aber nein: Anspielungen auf den September 2001, auf
den Börsencrash von 2008 und auf den Super-GAU von Fukushima mussten mit
hinein – sowie die Anmerkung, dass sich die Erde seither ein bisschen
schneller dreht.
Andererseits haben die Kuratoren auch solche Werke hineingenommen, die das
extrem Beschleunigte sehr poetisch machen. Den aus dem ersten Stock
fallenden Wasserfall von Julius Popp – „bit.fall“ – zum Beispiel, der d…
meist-gegoogleten Worte aus angestrahlten Wassertropfen bildet, die dann
auf ein Laufband fallen. Wohin fallen sie, wo kamen sie her, und sagt die
Auswahl etwas aus? Und sind die wirklich so schnell weg, oder kann auch
dieser Moment poetisch sein, ein Hauch von Ewigkeit?
Man dächte gern länger darüber nach, aber die Werkfülle der Schau
verhindert es. Schlimmer: Man wird im Laufe des Parcours immer wütender
angesichts der Fülle, die ja auch eine Art von Bevormundung und –
Beschleunigung ist. So kann man, endlich im Obergeschoss angekommen, die
Installationen „Bowl of Pearls“ des chinesischen Künstlers Ai Weiwei nicht
mehr recht würdigen.
Und das ist schade, denn sie ist schlau gemacht. Zwei Porzellanschalen, die
wie Reisschalen aussehen, hat er mit Süßwasserperlen gefüllt. Perlen kann
man aber nicht essen, sie sind ein unzureichender Ersatz für den
lebenswichtigen Reis und können durchaus ein Sinnbild für das im
Konsumrausch versinkende China sein, dem die lebenswichtige Demokratie
immer noch fehlt.
Das begreift man aber erst später – dann, wenn man sich von seiner Empörung
über den Informationsüberfluss, den die Schau angeblich geißelt, erholt
hat. Diese Ausstellung, das ist unbestritten, birgt wichtige Momente der
Reflexion. Die wichtigste Entschleunigungs-Erkenntnis aber setzt sie nicht
um: dass weniger mehr ist.
5 Mar 2012
## AUTOREN
Petra Schellen
Petra Schellen
## TAGS
Videokunst
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