# taz.de -- 100 Tage Rot-Schwarz: Die Analyse: Die Planlosen | |
> Seit gut drei Monaten ist die Koalition aus SPD und CDU im Amt. Die | |
> meisten Senatoren fallen bisher nicht auf. Und große politische Ziele | |
> fehlen. | |
Bild: Haben gerne mal Spaß miteinander: Die sich äußerlich durchaus ähnlich… | |
Eine „Kapitulation vor der Zukunft“ sei die neue Regierungskoalition. Eine | |
„ganz schlechte Botschaft“, eine „ausgemachte Katastrophe“, ja ein | |
„Treppenwitz der Geschichte“. Jedenfalls: Der neue Senat werde „schwere | |
Folgen für alle Berlinerinnen und Berliner“ zeitigen. | |
Die, die dieses Urteil fällten, waren Berliner Christdemokraten – Ende | |
2001. Da hatte sich gerade erstmalig eine rot-rote Koalition in der Stadt | |
zusammengefunden. | |
Wie sich die Zeiten ähneln. Was war nicht alles befürchtet worden, als im | |
vergangenen Oktober Klaus Wowereit die CDU zum Regierungspartner erwählte? | |
Bleierne 90er-Jahre-Politik, dazu ein konservativer Backlash: kassierte | |
Deeskalationsstrategie der Polizei, Gängelung von Arbeitslosen, Vorfahrt | |
für Autofahrer, Autonomenhatz. | |
Passiert ist davon bisher – nichts. Wie auch sonst wenig passiert ist in | |
den ersten 100 Tagen von Rot-Schwarz in Berlin. Man könnte das erleichtert | |
konstatieren. Die Folge aber könnte kaum misslicher für diese Stadt sein: | |
Denn Rot-Schwarz verheißt Stillstand. | |
Von einer Zweckgemeinschaft war die Rede, als die SPD nach den | |
abgeschmierten Gesprächen mit den Grünen die CDU zum Partner erwählte. | |
Hatte Rot-Rot noch den Anspruch formuliert, den Osten der Stadt mit dem | |
Westen zu versöhnen, ließ sich für Rot-Schwarz partout kein gemeinsames | |
Projekt finden. Konsequenterweise verzichtete der zum dritten Mal | |
wiedergewählte Wowereit in seiner Regierungserklärung auf hochtrabende | |
Visionen: Er strich sie gleich ganz. | |
Stattdessen wurde Naheliegendes – „starke Wirtschaft“ und „sozialer | |
Zusammenhalt“ – zum Schwerpunkt erkoren. Das Dumme ist nur: Nicht mal das | |
ist Rot-Schwarz ansatzweise angegangen. Unternehmer zeigen bisher eher | |
Distanz zu Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz (parteilos). Was | |
Berlin für seine 228.000 Arbeitslosen zu tun gedenkt, bleibt nebulös. Vom | |
Förderprogramm „Berlin-Arbeit“ vernimmt man nur den Streit über die | |
Bezahlung von Jobmaßnahmen. Und beim gesetzlichen Mindestlohn blockieren | |
sich CDU und SPD gegenseitig. | |
Gleiches gilt beim Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger, beim Widerstand gegen den | |
Asylgewahrsam in Schönefeld oder beim Wählen ab 16. Die SPD ist eigentlich | |
dafür, die CDU nicht – und grätscht rein. Am Ende bleibt’s und wird als | |
Kompromissfähigkeit gepriesen. Nur: Im Resultat bleibt Stillstand. | |
Die einzigen Schimmer von Visionen beruhen auf zwei Großprojekten. Der | |
Eröffnung des neuen Großflughafens Schönefeld im Juni, die mit 5.000 neuen | |
Arbeitsplätzen einhergehen soll. Und die neue, 270 Millionen Euro schwere | |
Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld. Beider Strahlkraft dürfte aber | |
schnell verblassen, handelt es sich doch um Funktionsbauten, die das | |
Stadtleben kaum nachhaltig befruchten werden. | |
Dabei böten sich Chancen für Visionen! Ein geradezu prädestinierter Platz | |
dafür ist ein anderes Flughafengelände: das demnächst geräumte in Tegel. | |
Was könnte sich der Senat hier austoben, eine Leerfläche bespielen, ein | |
buntes Zukunftsquartier entwerfen. Er tut es nicht. Schnell wird die | |
vorrangige Haushaltskonsolidierung angeführt. | |
Doch was hindert Rot-Schwarz, eine neue, direktdemokratische Mitmachkultur | |
anzustoßen? Diese Vision gäbe es zum Nulltarif. Oder, eine Nummer kleiner, | |
endlich die überhöhten Wasserpreise zu senken, wozu die Rüge des | |
Bundeskartellamts seit Wochen eine Steilvorlage bietet? Man solle abwarten, | |
sagte Wowereit dieser Tage. Der neue Senat stehe ja noch am Anfang. Okay. | |
Nur worauf soll diese Stadt warten, wenn keine Leitideen formuliert sind? | |
Nach 100 Tagen steht der so nicht erwartbare Befund, dass man bisher im | |
Grunde nicht bemerkt, dass nicht mehr Rot-Rot, sondern Rot-Schwarz regiert. | |
Alles läuft irgendwie so weiter. Die CDU-Anhängerschaft dürfte begeistert | |
sein, sich nicht einmal mehr von der missgeliebten Linkspartei zu | |
unterscheiden. | |
Es passt ins Bild, dass die meisten Impulse bisher einer setzte, der sich | |
außerhalb rot-schwarzer Parteidogmatik bewegt: Thomas Heilmann. Der | |
Werbeexperte räumte als erste Amtshandlung gleich mit dem peinlichsten | |
Kapitel der Koalition auf: den Schrottimmobiliengeschäften, in denen auch | |
Elf-Tage-Senator Michael Braun (CDU) verwickelt gewesen sein soll. Heilmann | |
ist immerhin einer, der etwas will. Gleiches kann man vielleicht noch bei | |
Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) und seinen Mieten-Initiativen | |
erkennen. Was aber will Henkel? Scheres? Oder von Obernitz? Das ist völlig | |
unklar. | |
Der Senatoberste, Klaus Wowereit, sieht seinen Job mit der geglückten | |
Wiederwahl als vorerst für erfüllt an – und belässt’s wieder beim | |
Repräsentieren. Wowereit in Paris, Wowereit beim Papst im Vatikan. Die | |
Schrottimmobilien-Affäre von Braun? Der Regierende schaute nur zu. Was | |
Wowereit gerade wichtig ist, was er Konkretes plant: Man weiß es nicht. | |
Und auch ein anderer Plan scheint ihm zu fehlen: der seiner Machtübergabe. | |
Denn wenig spricht dafür, dass der 58-Jährige den Chefsessel erst am Ende | |
der Legislatur räumt. Im nächsten Jahr sitzt die SPD wohl in der | |
Bundesregierung und darf Posten vergeben. Wowereit ist zu ambitioniert, um | |
wie sein Rheinland Pfalz-Kollege Kurt Beck als Dauerpatriarch zu enden. Ole | |
van Beust ging nach neun Jahren im Amt, Peter Müller nach elf, Roland Koch | |
nach zehn. Wowereit regiert seit nunmehr elf Jahren. | |
Und der Berliner SPD wiederum dürfte viel daran liegen, zur Wahl 2016 nicht | |
mit einem Unbekannten anzutreten, wie es selbst der designierte Thronfolger | |
Müller für die meisten Berliner noch ist. Müller steht zudem bei der | |
SPD-Basis nicht allzu hoch im Kurs. Andere Kandidaten sind nicht zu sehen. | |
Planlosigkeit allerorten. | |
8 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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