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# taz.de -- Konsequenzen aus Fukushima: GAU befreit kritisches Schreiben
> Der Reaktorunfall vom 11. März 2011 in Fukushima hat auch die japanischen
> Medien verändert. Kritik an der Kernenergie ist seither druckfähig.
Bild: Neue Berichterstattung: Der Gau hat Japans Medienlandschaft verändert.
Früher wurden die Meinungen japanischer Medien zur Atomenergie von
Stromkonzernen wie Tepco gekauft. Doch seit der Fukushima-Katastrophe gibt
es in Japans Presse zwei Strömungen. Auf der einen Seite Tokyo Shimbun,
gefolgt von Asahi und Mainichi. Sie stehen der Atomenergie jetzt kritisch
gegenüber“, sagt Hisashi Kajiyama, Energieexperte vom Fujitsu Research
Institute in Tokio und zuvor Berater des im September zurückgetretenen
Ministerpräsidenten Naoto Kan.
Kajiyama sieht hier einen deutlichen Wandel. So habe die liberale Asahi,
Japans zweitgrößte Zeitung, noch kurz vor dem 11. März einen Redakteur
abgestraft, der die Atompolitik kritisiert hatte. „Auf der anderen Seite
ist die konservative Yomiuri noch immer stark für Atomenergie. Die
Wirtschaftszeitung Nikkei ist es auch noch, doch nicht mehr so stark wie
früher“, sagt Kajiyama. Yomiuri ist mit täglich zehn Millionen Exemplaren
die auflagenstärkste Zeitung der Welt.
Ihr früherer Besitzer, der Medientycoon Shoriki Matsutaro, wurde 1956
erster Vorsitzender der staatlichen Atomenergiekommission. Diese spielte
eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung und Förderung der Atomenergie in
Japan. Yomiuri war ihr wichtigstes Medium. Daran hat sich nichts geändert.
## Großdemo per Kurzmeldung kleinreden
Als am 11. September, ein halbes Jahr nach der Atomkatastrophe, in Tokio
60.000 Menschen gegen Atomenergie protestierten, war Japans größte Demo
seit den 70er Jahren Yomiuri nur eine kleine Meldung wert. „Yomiuri hat in
letzter Zeit die Atomenergie mehrfach mit der Option auf Atomwaffen
begründet“, sagt Noriaki Yamashita vom Institut für nachhaltige
Energiepolitik (Isep). „Dieses Argument ist nicht neu, aber doch
überraschend. Denn bisher war es ein Tabu, darüber zu sprechen.“
Dafür haben auch Atomkritiker inzwischen leichter Zugang zu den Medien.
„Früher hatte unser Institut ein bis zwei Interviewanfragen im Monat, heute
sind es ein bis zwei am Tag“, sagt Yamashita. Trotzdem wurde über eine von
Isep mitverfasste Greenpeace-Studie, die Japan den schnellen
Komplettausstieg aus der Atomenergie empfahl, im September außer in der
Tokyo Shimbun und der englischsprachigen Japan Times nicht berichtet.
Organisationen wie Isep publizieren deshalb inzwischen auch selbst im
Internet. „Kürzlich hatten wir bei einer atomkritischen Konferenz, die wir
über U-Stream im Internet zeigten, 60.000 Zuschauer!“, so Yamashita. „Die
Atomkritiker sind zahlreicher und artikulierter geworden“, sagt Florian
Coulmas, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio und
Autor eines Buches über die Fukushima-Katastrophe. Bis zum 11. März 2011
sei die PR-Arbeit von Regierung und Atombetreibern äußerst erfolgreich
gewesen.
„Weil Tepco bankrott ist, fließt dafür jetzt viel weniger Geld als früher
an die Medien“, so Coulmas. Am 11. März war der Chef des
Tepco-Verwaltungsrates gerade mit ehemaligen, aber noch einflussreichen
Journalisten auf einer „Studienreise“ in China. Dafür dürfte der Konzern
inzwischen kein Geld mehr haben. „Hätte Tepco mehr Geld, würden die Medien
sicher nicht so kritisch über die schlechte Lage von Tepco berichten“,
glaubt Ex-Kan-Berater Kajiyama.
## Enormer Wandel des Fernsehens
„Den größten Wandel sehe ich bei privaten TV-Sendern. Für die war
Atomkritik früher tabu, weil sie von den Werbegeldern der Stromkonzerne
abhängig waren“, sagt Toshiya Kaba, Umweltredakteur von Tokyo Shimbun. Doch
gab es auch in letzter Zeit noch Fälle, in denen Privatsender atomkritische
Inhalte zensierten. So wies Asahi TV einen Werbespot für den Katalog eines
sich als sozial verstehenden Versandhandels ab, weil dessen Titel für einen
Volksentscheid über Atomenergie warb.
Einen viel größeren Wandel sieht die Professorin für Informationspolitik
der Tokio-Universität, Kaori Hayashi, beim öffentlichen Sender NHK. „NHK
hat durch einige Dokumentarfilme deutlich an Vertrauen gewonnen, was auch
Umfragen belegen.“ Ihrer Meinung nach würden die Medien erst ab Sommer
stärker auch über Proteste berichten: „Es hat eine Weile gedauert, bis die
ganze Nation sich der Risiken bewusst wurde und das Gefühl hatte, dass
etwas passieren müsse.“
„Es hat einen großen Wandel in der Medienberichterstattung gegeben, aber
vor allem im Bewusstsein der Bevölkerung“, sagt Yuzo Waki, Leitartikler der
Wirtschaftszeitung Nikkei. „Früher waren wir der Meinung, dass
Atomkraftwerke nötig sind, um Japans Klimaschutzziele zu erreichen und die
Abhängigkeit vom Ausland zu verringern“, meint Waki.
## Bau neuer AKWs ist Geschichte
„Heute ist Konsens, dass keine neuen AKWs mehr gebaut werden sollen.
Strittig ist, was mit den alten geschehen soll. Bei Nikkei sagen wir, dass
wir auf die neueren nicht verzichten können.“ Die Proteste und die
Initiative für ein Referendum seien für sein Blatt kein Thema, „weil die
Forderung nach Sofortausstieg substanzlos ist“, so Waki.
Kaba von Tokyo Shimbun erklärt hingegen die klare Anti-Atom-Position seines
Blattes, die inzwischen auch von dessen Leitung festgelegt worden sei, so:
„Wir haben festgestellt, dass die Atompolitik völlig falsch war. Und was
die Regierung von der Sicherheit behauptete, stimmte überhaupt nicht.“
Deshalb unterstütze Tokyo Shimbun die Initiative für ein Referendum und
berichte als einzige Tageszeitung regelmäßig ausführlich darüber.
Im Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rutsche Japan 2011
auf Rang 22 gegenüber Rang 11 im Vorjahr. Begründung: Unter anderem habe
die Berichterstattung über den Tsunami und den Atomunfall „die Grenzen des
Pluralismus der Presse des Landes gezeigt“. Dabei ist nach Meinung der von
der taz befragten Experten die mediale Meinungsvielfalt heute viel größer
als vor dem GAU.
11 Mar 2012
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
Schwerpunkt Atomkraft
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