# taz.de -- Ausstellung über Anders Zorn: Zwischen Chicago und Mittsommernacht | |
> Mit dem Maler Anders Zorn präsentiert das Lübecker Behnhaus einen | |
> Impressionisten, der seinerzeit bekannter war als Max Liebermann. So ganz | |
> ins impressionistische Schema passte der Schwede allerdings nicht. Das | |
> war ihm aber auch herzlich egal. | |
Bild: Irres, fast surreales Licht: Rudernde in tagheller schwedischer "Mitterna… | |
LÜBECK taz | Ob die Ehefrau unter seinen Affären mit den Modellen litt? Das | |
sei nicht überliefert, heißt es im Katalog zur Lübecker Ausstellung. | |
Schriftlich ist es das vielleicht auch nicht, aber wer auf das Porträt Emma | |
Zorns gleich daneben schaut, kann sich seinen Teil denken angesichts der | |
bleichen, hohläugigen und erschöpften Frau im roten Kleid. | |
Nun ist der Chauvinismus, der sich da andeutet, kein Alleinstellungsmerkmal | |
des schwedischen Malers Anders Zorn (1860–1920), dem das Lübecker Behnhaus | |
zurzeit eine Retrospektive widmet. Was den als „Impressionist“ gehandelten | |
Zorn interessant macht, ist vielmehr seine stilistische und motivische | |
Ambivalenz, die ihn zielsicher zwischen allen Stühlen platziert. So | |
bevorzugte er einerseits in tatsächlicher Impressionisten-Manier die | |
Freiluftmalerei gegenüber derjenigen im Atelier und malte gern | |
großstädtisch-mondänes Leben: Einen Hauch Toulouse-Lautrec, ein bisschen | |
Degas, etwas Renoir kann man bei ihm finden. | |
Und ein bisschen Liebermann, mit dem er befreundet war. Wie dieser malte | |
Zorn auch arbeitende Frauen und wie Liebermann malte er sie ohne | |
sozialkritischen Blick. Er hielt die Bäckerinnen und Brauerinnen für ein | |
interessantes Motiv, aber eben nur aus akademisch-künstlerischer Sicht. | |
Doch die Parallelen reichen noch weiter: Die motivische Karrieren der | |
beiden verlaufen merkwürdig gegenläufig: Während Liebermann zu Beginn | |
seiner Karriere Arbeiterinnen – Netzflickerinnen und Flachsspinnerinnen – | |
malte und später das gehobene Bürgertum beim Lustwandeln porträtierte, | |
machte Zorn es anders herum: Er wollte sich zunächst Ansehen auch im | |
Ausland verschaffen, um sein Renommee und sein Budget aufzubessern, damit | |
er die gut situierte Emma heiraten konnte. Es gelang: In London, Chicago | |
und Paris bekam er Zugang zu illustren Kreisen, als sich erst | |
herumgesprochen hatte, wie treffend er porträtieren konnte. Auch das | |
Aquarellieren zugunsten der renommierten Ölmalerei aufzugeben passte in | |
diese Selbstvermarktungs-Strategie. | |
Aber Zorn wollte nicht nur Geld. Er wollte sich auch weiterentwickeln und | |
war Ende der 1880er-Jahre in Paris seinen dortigen Landsleuten um einiges | |
voraus: Gezielt suchte er Kontakt zur französischen Avantgarde, während die | |
Schweden eher unter sich blieben und dem konservativeren Naturalismus | |
frönten. Zorn war enttäuscht, weil sie den neuen Stil nicht annehmen, | |
lieber nur in Schweden ausstellen und das finanzielle Risiko scheuten. | |
Er selbst ging es ein und reüssierte auch, aber zum Pionier der | |
Impressionisten wurde er nie. Nicht einmal so ganz einer der ihren, denn | |
selbst ein Bild wie „Omnibus“, das ihm internationale Anerkennung brachte, | |
unterschied sich stark von denen der Franzosen: Zorns müde von der Arbeit | |
heimfahrenden Figuren sind in düsteren Brauntönen gehalten und atmen nichts | |
von der hell- und starkfarbigen Leichtigkeit des Impressionismus. In einem | |
Punkt allerdings – und hierauf richtet die Lübecker Ausstellung besonderes | |
Augenmerk – zog er mit den Kollegen vom Kontinent gleich: in der | |
Freiluft-Aktmalerei. | |
Die Impressionisten hatten es satt, nackte Frauen stets als mythologische | |
„Venus“ oder „Batseba im Bade“ zu etikettieren und begannen, sie ohne | |
solchen mythologischen Kontext zu malen. Sie stellten sie einfach in der | |
Landschaft und erfanden keine langwierige Erzählung dazu. Auch Anders Zorn | |
tat diesen Schritt in die Moderne – ausgerechnet, nachdem er in die | |
schwedische Provinz zurückgekehrt war, in sein Heimatdorf Mora. | |
Dort begann er, Frauen in den schwedischen Schären zu malen, was ihm gut | |
passte, denn Wasser hatte er immer gern gemalt. Und die Frauentypen: | |
schlicht, teils unbeholfen, teils in sich versunken, selten offensiv | |
lasziv, sondern eher ein bisschen verhuscht und naiv. Waren sie bekleidet, | |
trugen sie volkstümliche Trachten oder tanzten beim Mittsommerfest. Oder | |
rudern – wie die die junge Frau auf dem Bild „Mitternacht“ ein Boot durch | |
die taghelle Nacht. Diese Szenen spielen in einem nicht-mondänen, | |
bäuerlichen Milieu, und der Blick darauf ist keineswegs arrogant. | |
Es scheint, als habe Zorn Farben, Formen und Posen seiner Heimat bewahren | |
wollen, die er, durch die Welt jettend, verleugnet hatte. Er selbst war als | |
unehelicher Sohn einer Bäuerin auf dem Hof von deren Eltern aufgewachsen. | |
Seinen Vater, einen Braumeister, traf er nie. Als er in der zweiten | |
Lebenshälfte nach Schweden zurückkehrte, malte er nicht nur – auf moderne | |
Art –, sondern sammelte auch lokales Kunsthandwerk und gründete gar ein | |
Freilichtmuseum. | |
Was Zorns Bezug zur Norddeutschland betrifft, gibt es noch eine Hamburger | |
Anekdote: Alfred Lichtwark, erster Direktor der dortigen Kunsthalle, wollte | |
die Moderne salonfähig machen, indem er Avantgarde-Künstler Hamburg-Motive | |
malen ließ. Auch bei Zorn fragte er an: Der sollte den Hafen malen. | |
Lichtwark bekam zwei großformatige, farblich sauber abgestimmte | |
Momentaufnahmen. Revolutionär oder auch nur impressionistisch inspiriert | |
waren sie nicht, daher behielt er nur eins. Man habe sich, schrieb | |
Lichtwark, ein Bild gewünscht, das stärker von Zorns „Art zu sehen und zu | |
malen“ zeuge. Vielleicht hätte er Zorn, der das Zusammenspiel von Licht und | |
Wasser am liebsten naturalistisch malte, das vorher sagen sollen. | |
9 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Bildende Künstler | |
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