Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tine Wittler über Schönheitsideale: "Die Reduzierung auf meine Fi…
> Die RTL-Einrichtungsexpertin Tine Wittler hat genug davon, ständig auf
> ihren Körper angesprochen zu werden. Zum Perspektivenwechsel reiste sie
> nach Mauretanien und lernte nicht nur andere Schönheitszwänge kennen,
> sondern auch Medienfrauen, die tapfer dagegen aufmucken.
Bild: Wird von den Medien oft als die immer fröhliche Dicke bezeichnet: Tine W…
taz: Frau Wittler, vorletzte Woche Trennungsgeschichten in der
Bild-Zeitung, letzte Woche Reiseimpressionen in der Zeit. Boulevard oder
Feuilleton – wo fühlen Sie sich wohler?
Tine Wittler: Gemeine Frage! Wenn ich aus innerster Seele spräche, würde
ich mich ohne Schlagzeilen am wohlsten fühlen. Aber ich mache den Job, den
ich mache. Und für den gehört Klappern zum Handwerk.
Hautsächlich sind Sie als Moderatorin der RTL-Einrichtungsshow „Einsatz in
4 Wänden“ bekannt. Was hat Sie dazu gebracht, ein gesellschaftlich
relevantes Thema in den Mittelpunkt einer journalistischen Arbeit zu
stellen?
Ich habe den Beruf der Journalistin erlernt, das dringt neben der
Fernsehpräsenz nur schwer durch. Zu dem Thema bin ich durch die persönliche
Erfahrung einer Frau gekommen, die ihr ganzes Leben lang anders war.
Wie anders?
Na, dick eben. Und als die Fernsehfrau Tine Wittler werde ich wie durch
einen Verstärker hindurch noch einmal ganz anders damit konfrontiert.
Dieses Buch ist das Ergebnis einer jahrelangen Beschäftigung mit der Frage:
Wie kann ich mich davon befreien, dass das Thema Körper so eine große Rolle
in meinem Leben spielt?
Wieso hat Sie dieser Befreiungsversuch ausgerechnet nach Mauretanien
geführt?
Eigentlich arbeitete ich an einem Roman zu dem Thema. Ich wollte meine
Protagonistin auf Reisen schicken und sie ihre Perspektive wechseln lassen.
Dafür schien Mauretanien der beste Ort: Dort gibt es seit Jahrhunderten das
Ideal der runden Frau, und dort gibt es teilweise noch die traditionelle
Zwangsfütterung. Es war schnell klar, dass ich darüber nicht schreiben
kann, ohne das Land selbst zu besuchen.
Talkmaster Lanz hat das so zusammengefasst: Wenn man die Umstände an sich
selber nicht ändern kann, ändert man einfach die äußeren Umstände?
Das begegnet mir im Moment oft: Statt dass der Blick dahingehend geöffnet
wird, dass es noch andere Ideale gibt als die bei uns, dreht man den Spieß
um und sagt: Jetzt ist sie hier beleidigt und geht dahin, wo sie die
Schönste ist. Weil sie es selbst nicht geschafft hat, abzunehmen. Darum
geht es nicht. Es geht darum, die Spiegelung zu nutzen, um Mechanismen, die
hier ablaufen, besser zu verstehen.
Haben Sie die Mechanismen, die auf die Betonung der äußeren Erscheinung
setzen, nicht auch selbst bedient, indem Sie Ihren Wiedererkennungswert
medial einsetzen? Im Fenster Ihrer Bar „Parallelwelt“ hängt zum Beispiel
ein Werbeplakat, das Sie beim Wuppen einer Bierkiste zeigt, darunter steht:
Astralkörper.
Den Körper in den Mittelpunkt zu rücken, ist nicht meine Entscheidung, das
passiert ganz automatisch. Es gibt kaum Artikel über mich, die nicht das
Körperliche thematisieren. Das nervt mit der Zeit. Hätte ich das Spiel
mitgemacht, hätte ich abgenommen und gesagt: Ich verändere mich für euch.
Um dem Problem aus dem Weg zu gehen.
Haben Sie das Gefühl, Ihre Auftraggeber im Fernsehen würden Sie gern dünner
sehen?
Nein – da stimmt das mit dem Wiedererkennungswert. Es hat niemals jemand
von mir offen verlangt, dass ich mich ändere. Aber ich kann jeden in diesem
Geschäft verstehen, der das tut. Auch wenn ich mich äußerlich nicht
angepasst habe: Innerlich verletzt mich die Reduzierung auf meine Figur.
In Ihrem Buch beschreiben Sie jede Menge Beleidigungen, die Ihnen im
Internet oder auf der Straße entgegengeschleudert werden.
In den Medien läuft das subtiler. Ich werde zum Beispiel oft als die „immer
Fröhliche“ bezeichnet. Vor der Kamera ein nettes Gesicht zu machen, gehört
aber nun mal zu meinem Job als Moderatorin! Bei anderen ist das eine
Selbstverständlichkeit – bei mir wird es thematisiert. Darunter liegt der
Subtext: „Bei der Figur müsste sie ja eigentlich kreuzunglücklich sein.“
Und dann wird das Klischee der immer fröhlichen Dicken genährt. Das ist
symptomatisch für andere Klischees: Dicke sind faul, gefräßig,
undiszipliniert. Schlanke sind flexibel und wirtschaftlich. Ich kritisiere
da auch ganz deutlich die Kolleginnen in allen Medien. Auf der einen Seite
thematisieren sie den Druck, der beim Thema Schönheit auf den Frauen
lastet, auf der anderen Seite üben sie ihn selbst aus.
Wie schwierig war es, den Plan des Perspektivenwechsels in Mauretanien
umzusetzen? Immerhin besteht eine Teil-Reisewarnung des Auswärtigen Amtes
für dieses Land.
Ja, denn die Entführungsgefahr ist hoch. Vier Tage vor dem Abflug hat das
Auswärtige Amt mir vorgeschlagen, die Reise lieber nicht anzutreten. Aber
es war zu spät, das abzublasen. Durch die anderthalbjährige Vorbereitung
waren meine Fragen so drängend geworden, dass ich durchgedreht wäre, wenn
wir nicht gefahren wären.
Sie sind mit einem kleinen Filmteam gereist, das Ihre Erlebnisse
dokumentiert hat. Nun stellt man sich Mauretanien als eher abgeschottetes
muslimisches Land vor. Wie haben Sie die nötigen Kontakte gemacht?
Mir kam zugute, dass ich mit einem freien Kopf hingefahren bin und nicht,
um Probleme und Skandale zu finden. Die Leute haben gespürt, dass ich sie
mit einem persönlichen Anliegen aufsuche. Dadurch ist das Vertrauen
entstanden, das für einen offenen Austausch nötig ist. Geholfen hat mir
auch, dass ich gelernt habe, die Malhafa zu tragen, das mauretanische
Gewand.
Ihre Arbeitshypothese lautete da ja, dass dort ein anderes Schönheitsideal
besteht. Ist diese bestätigt worden?
Jahrhundertelang galt dort: üppig ist schön, üppig steht für Wohlstand.
Aber wir reden über Ideale. In einem Land, in dem es kaum etwas zu essen
gibt, ist es genauso schwer, üppig zu werden, wie hier im Überfluss einen
schlanken, gestählten Körper zu haben. Auch gerät das dortige Ideal seit
ein paar Jahren stark ins Wanken. Momentan gibt es ein Nebeneinander von
dick und dünn: Beides kann als schön gelten.
Wie funktioniert denn die Zwangsfütterung, die Gavage, von der Sie
sprachen?
Junge Mädchen werden zu einer sogenannten Gaveuse geschickt, wo sie
zusätzlich zum normalen Essen Nahrungsmittel zugeführt bekommen, um an
Gewicht zuzunehmen, früher in die Pubertät zu kommen und jung verheiratet
werden zu können. Diese Praxis ist teuer und sehr gefährlich, zum Glück ist
sie auf dem Rückmarsch. Stattdessen nehmen manche Frauen, um zuzunehmen,
jetzt aber Medikamente ein, die eigentlich für die Viehmast vorgesehen
sind. Sie quellen regelrecht auf und können auch hieran sterben.
Wie sieht es mit der medialen Inszenierung von Schönheitsidealen in
Mauretanien aus?
Es gibt nur wenige eigene Medien, keine Schönheitswettbewerbe oder
Modezeitschriften. Es werden aber in wachsendem Maße über Internet und
Satellit ausländische Medien konsumiert. Dadurch beginnen viele junge
Mädchen, sich westliche Vorbilder zu suchen. Die aufgeklärten Frauen dort
haben einen Alarmknopf bei dem Thema und kämpfen dafür, sich keinem
Schönheitsideal zu unterwerfen – weder dick noch dünn.
Wo haben Sie das beobachtet?
Ich wurde zu einem Kongress medienschaffender Frauen eingeladen. Dort sind
sie aufgestanden und haben gesagt: „Lasst euch nicht als Sprechpuppen
missbrauchen! Ihr seid dazu da, eure Themen und Inhalte so zu
positionieren, dass man euch hören kann.“ Die Medienfrauen dort sind sich
ihrer Verantwortung bei dem Thema bewusst und haben eine Haltung. Das
vermisse ich hier oft. Und es ist eine Erkenntnis dieser Reise, die
Kolleginnen hier dazu aufzurufen, das Spiel nicht mehr mitzumachen und mit
der Reduzierung auf das Äußerliche aufzuhören.
Welche Erkenntnisse hat dieser Perspektivenwechsel für Sie sonst noch
gebracht?
Schönheitsideale sind an Zeit und Raum gebunden. Es ist purer Zufall,
welchem Ideal ich gerade entsprechen soll. Diese Erkenntnis erleichtert es
mir, mich von äußeren Ansprüchen zu befreien. Ich mache mich gerne hübsch,
probiere gern Sachen aus – aber nicht, weil eine Mode das diktiert. Das
wusste ich zwar alles vorher auch schon. Aber um es zu leben, hat es diese
Gespräche mit Frauen aus einem anderen Kontext gebraucht.
Wie war Ihre Reaktion, als die Zeit ein Interview über Ihre Reise mit der
Headline vermarktete: „Flut von Heiratsanträgen für Tine Wittler in
Mauretanien“?
Erschütterung. Der Subtext dieser Headline heißt mal wieder: Frauen haben
den Männern zu gefallen. Und das wäre dieser Frau hier nicht passiert – „…
wie die aussieht“. Deshalb ist es uns eine Schlagzeile wert. Abgesehen
davon ist die Flut-Metapher für ein Wüstenland, das aufgrund von Dürre
derzeit von einer Hungersnot bedroht ist, auch sprachlich ein ziemlicher
Fehlgriff.
11 Mar 2012
## AUTOREN
Ralf Lorenzen
## TAGS
Feminismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sexismus in Social Media: Zu dick für Facebook
Das Bild eines Plus-Size-Models wird gelöscht, weil sich Nutzer_innen
schlechtfühlen könnten. Die Körper dicker Frauen sind auf Facebook
„unerwünscht“.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.