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# taz.de -- Kolumne Das Tuch: „Nur weil ich schwarz bin“
> Eine Gratwanderung zwischen dem ewigen Opferdasein und dem schwätzenden
> Clown: Wenn Hilferufe im Gelächter untergehen.
Ich musste den Kurs an der Universität abbrechen“, sagt Mariam, als wir
gemeinsam mit anderen Teilnehmern einer Konferenz in einem Restaurant
sitzen. Wir alle kennen uns nur flüchtig. Dann hält Mariam inne und zögert.
Sie zupft an ihrem Kopftuch.
Wir anderen wissen, welcher Satz folgen wird. „Es lag an meinem Kopftuch“,
sagt sie, wie erwartet. Ein bisschen betroffen schauen wir, es schwebt
Verdacht in der Luft. Misstrauen gegen Mariam, das Opfer. Ist das jetzt
eine bequeme Ausrede? Schiebt sie ihren Misserfolg auf andere? Stimmen
flüstern in unserem Kopf.
In den nächsten Minuten wird klar, dass der Verdacht in ihrem Fall absolut
unbegründet war. „Du hättest klagen müssen“, sagen wir sogar – überei…
im schamhaften Versuch, unsere Zweifel von vor wenigen Minuten zu
vertuschen und die Stimmen zu bestrafen.
Aber der Zweifel war da. Der Zweifel ist da. Denn Rassismus kann man selten
beweisen. Er ist subtil. Manchmal ist es der Ton eines Wortes, der Blick,
die Art, die Mimik, Gestik, die einem zu verstehen gibt, dass man
unerwünscht ist. Ein Unwohlsein macht sich breit. Ein Gefühl, dessen
Ursache sich nicht beweisen lässt. Der Hilflosigkeit folgt die Resignation
und dieser schließlich der Zweifel: „Vielleicht bin ich ja schuld daran,
und vielleicht bilde ich mir das alles ja sowieso nur ein“, sagt sich der
Betroffene, und irgendwann wird der Rassismus zur Normalität.
Und während ich diese vielen Texte über Rassismus schreibe, frage ich mich:
Was, wenn Rassismus nicht mehr normal, sondern allein der Vorwurf
rufschädigend wird? Wenn sich das potenzielle Opfer plötzlich in der
Machtposition befindet?
Potenzielle Opfer sind nicht per se die besseren Menschen. Sie sind nicht
davor gefeit, selber Täter zu werden. Unter Türken, Arabern, Schwarzen,
Frauen, Juden, Homosexuellen und sonst wie diskriminierten Gruppen gibt es
genauso schlechte Menschen wie anderswo auch.
Was also, wenn gerade die nachteilige Unbeweisbarkeit des Rassismus von
potenziellen Opfern missbraucht wird?
„Nur weil ich schwarz bin“ war so ein Dauerbrenner in meiner Klasse. Wann
immer sich jemand von Lehrern ungerecht behandelt fühlte, murmelte er
diesen Satz. Wir lachten dann darüber. Manchmal aber, wenn ein bisschen
Ernst dabei war, grinsten wir nur.
Dieser Satz war eine Gratwanderung zwischen dem ewigen Opferdasein und dem
schwätzenden Clown. Der eine benutzte ihn zu seiner reinen Belustigung. Der
andere meinte ihn ernst, aus ihm sprach der Verletzte. Doch wir sagten
diesen Satz so oft, gebrauchten ihn so inflationär, dass er seine Wirkung
verlor. Der Ernst war nicht mehr zu unterscheiden vom Witz. Der Hilferuf
ging im Gelächter unter.
Was, wenn die Unbeweisbarkeit des Rassismus irgendwann den Missbrauch nicht
vom Ernst unterscheiden lässt? Wenn es ausreicht, „Rassist!“ zu rufen, um
jemandem auf ewig zu schaden? Und wir deshalb in einem Restaurant sitzen
und zögernd und zweifelnd der Geschichte eines Opfers lauschen?
Dann schadet der Schaden den eigentlich Geschädigten.
14 Mar 2012
## AUTOREN
Kübra Gümüsay
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