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# taz.de -- Schweizer Alpenidylle: Unter fünf Sternen in den Bergen
> Ein ägyptischer Unternehmer plant ein Luxusprojekt in den Alpen.
> Unterstützer sind begeistert. Gegner sprechen von Gigantismus und hohem
> sozialen Druck im Dorf.
Bild: Planen schützen den Rohbau des Luxushotels vor dem Schnee.
Wenn Bänz Simmen vom Kampf der Russen gegen Napoleon erzählt, spricht er in
der Wir-Form. „Wir standen damals unter französischem Einfluss“, erzählt
er. „Aber in die Kampfhandlungen waren wir nicht direkt involviert.“ Simmen
verkauft Souvenirs in einem kleinen Laden in der Hauptstraße von Andermatt.
Für Interessierte bietet der Hobby-Historiker Führungen durch sein
beschauliches Heimatdorf an.
Vom Zürcher Flughafen liegt das Alpendorf im Kanton Uri zwei Stunden
entfernt. Die Straßen nach Andermatt sind überdacht. Lawinengefahr. Weiße
Berggipfel umringen die alten Häuser. Der Lärm, der von den wenigen Autos
ausgehen könnte, die das Dorf durchqueren, wird von den Schneemassen
erstickt.
Die Vorzüge des Tals hat auch der ägyptische Milliardär Samih Sawiris
erkannt. Geht es nach ihm, werden in einigen Jahren sechs Luxushotels
Tausende von Gästen anziehen. Ein 5-Sterne-Hotel steht bereits im Rohbau.
In 42 weiteren Gebäuden sollen knapp 500 Ferienwohnungen entstehen - dazu
rund 25 Villen am Rand des geplanten Golfplatzes, der in seinen Grundzügen
schon angelegt ist.
Mit Andermatt Swiss Alps, wie Sawiris das Projekt getauft hat, soll die
größte Ganzjahres-Feriendestination im gesamten Alpenraum entstehen. Damit
betritt der in Ägypten allseits bekannte Unternehmer Neuland. Seine Orascom
Development Holding hat zahlreiche Urlaubsresorts am ägyptischen Roten Meer
und in den Golfstaaten gebaut. In den Bergen war Orascom noch nicht aktiv.
## Der Retter aus Ägypten
Und die Andermatter? Die sitzen mit im Boot, sagen die Planer des Projekts.
Tatsächlich legt die Andermatt Swiss Alps AG, eine hundertprozentige
Orascom-Tochter, viel Wert darauf, das Projekt im Einvernehmen mit den
Dorfbewohnern durchzuführen.
Regelmäßig reist der vielbeschäftigte Geschäftsmann Sawiris in das
Schweizer Dorf, zeigt sich offen. In fließendem Deutsch schwätzt Sawiris,
der eine deutsche Schule in Kairo besucht hat, mit den Andermattern.
## Bier und Bratwurst
Das kommt gut an und schafft Vertrauen. Fotos zeigen den christlichen
Ägypter mit Bier und Bratwurst im Gespräch mit den Dorfbewohnern. Soll
heißen: Euer Dorf liegt mir genauso am Herzen wie euch. 1,5 Milliarden Euro
umfasst das Investitionsvolumen. Um die Finanzierung abzusichern, hat
Sawiris auch aus seinem Privatvermögen Geld lockergemacht.
Wer aus Zürich mit dem Auto kommt, durchquert zuerst das, was einmal
Neu-Andermatt sein soll. Noch ist es Baustelle. Der Rohbau des Hotels „The
Chedi Andermatt“ ist in Planen eingehüllt, um Bauten und Arbeiter vor den
Schneemassen zu schützen.
Nur die stilvoll eingerichteten Musterzimmer, die den angereisten
Journalistinnen und Journalisten stolz vorgeführt werden, sind bereits
vollendet.
## Jahrelanger Stillstand
Wenige Meter weiter auf der schneebedeckten Straße beginnt das alte Dorf.
Links die Konditorei, rechts einige Mittelklasse-Hotels und ein kleiner
Souvenirladen.
„Es musste etwas geschehen in dem Dorf“, erzählt die Verkäuferin, die seit
dreißig Jahren in Andermatt lebt. Zu lange habe man sich auf das Schweizer
Militär verlassen, das Truppenübungsplätze in dem Tal hatte.
„Warum hätte man den Tourismus ausbauen sollen? Man hat vom Militär
gelebt“, erinnert sie sich. „Die kamen sowieso und Investitionen und
Arbeitsplätze haben sie gleich mitgebracht.“
## Es geht nur noch bergab
Doch Schritt für Schritt zog sich das Militär aus dem Tal zurück. Mit ihm
verabschiedete sich das rege Leben im Dorf. Es ging bergab mit Andermatt.
Nun sind die Hoffnungen groß. 1.800 Arbeitsstellen sollen im Rahmen des
Projekts geschaffen werden. Die Gastronomie und Dienstleistungen sollen
ausgebaut und der Anschluss des Dorfes soll verbessert werden.
Vor allem die jungen Leute, so hofft man, werden Andermatt künftig nicht
mehr den Rücken kehren. „Schon jetzt putzen sich die Leute im Dorf heraus“,
stellt Alain Gozzer von der Andermatt Swiss Alps AG zufrieden fest.
## Überwiegende Mehrheit dafür
Auch die WissenschaftlerInnen von der Uni Luzern, die das Projekt im Rahmen
einer Studie begleiten, stellen fest, dass die Grundstimmung im Dorf
positiv und die Hoffnungen groß seien. Als das Vorhaben im März 2007 bei
einer Gemeindeversammlung zur Abstimmung stand, stimmten ganze 96 Prozent
der Anwesenden für das Projekt.
Doch hat sie auch ihre Schattenseiten, diese Geschichte vom ägyptischen
Retter, der ein kleines Schweizer Bergdorf vor dem Ruin bewahrte. Vor allem
in der jüngeren Generation bestehen Zweifel, stellen die Verfasser der
Studie fest.
Neben der Angst, dass die Mieten im Dorf steigen und das Leben für
„Normalbürger“ nicht mehr finanzierbar sein werde, beziehen sich die
kritischen Einschätzungen vor allem auf die Auswirkungen des Großprojekts
auf die Umwelt.
## Gigantismus in Andermatt
Beim Stichwort Umwelt werden auch die Naturschützer hellhörig. Sieben
Verbände haben sich zusammengeschlossen und informieren auf einer
gemeinsamen Website unter dem Slogan „Gigantismus in Andermatt“ über ihre
Vorbehalte.
Gegen das Projekt an sich hätten sie nichts einzuwenden, erklärt Roland
Schuler von der Naturschutzorganisation Pro Natura. Bauchschmerzen bereite
ihnen aber der geplante Ausbau des Skigebiets. Im Rahmen des
Tourismusprojekts wollen Sawiris und seine Leute 50 Kilometer neue Pisten
erschließen.
Niemand anderes als die Schweizer Skilegende Bernhard Russi ist an der
Gestaltung der neuen Anlagen beteiligt. „Wir wenden uns vor allem gegen die
schiere Größe des Projekts“, betont Schuler. Das Ganze sei auch eine Nummer
kleiner machbar.
Auch der Golfplatz, der an der Stelle der verlassenen Truppenübungsplätze
entsteht, ist nicht unumstritten. Bauern hatten das Land bewirtschaftet,
bevor die Bauarbeiten begannen.
## Sozialer Druck
Zwar wurden diese nicht einfach enteignet. Den widerständigen Bauern sei
aber das Leben auf kommunaler Ebene schwer gemacht worden, berichtet
Schuler von Pro Natura.
Der soziale Druck in dem kleinen Dorf sei hoch gewesen. Man kennt sich und
Sawiris hatte von Anfang klar gemacht, dass das Andermattprojekt mit dem
Golfplatz stehen und fallen würde.
„Wer weiter in dem Dorf leben wollte, musste sich fügen“, meint Schulers
Kollegin Pia Tresch. Zähneknirschend hätten die Bauern schließlich
verkauft.
In einem Diskussionsforum im Internet wird die Frage aufgeworfen, ob nicht
eine geheime Abstimmung in der Gemeindeversammlung zu einem anderen
Ergebnis geführt hätte.
All jene, „die sich bei einem Schwimmen gegen den Strom vor Repressionen
fürchteten“, seien der Abstimmung ferngeblieben. Lediglich 42 Prozent der
Stimmberechtigten hätten schließlich über das Projekt - und die Zukunft des
Dorfes – entschieden.
## Zweifel an den Finanzen
Der ärgste Widersacher des Projekts aber sitzt in Zürich. Die Zeitung Der
Tagesanzeiger meldet Zweifel an der Finanzierung an. Kein verpasstes
Verkaufsziel bleibt unerwähnt. Wird hier mit Immobilien spekuliert? Werden
die Andermatter am Ende mit Tausenden von leerstehenden Hotelzimmern und
Ferienwohnungen alleingelassen?
Für Alain Gozzer ist das schlecht recherchierte, verantwortungslose
Berichterstattung. Schließlich beginne man erst dann mit dem Bau, wenn
vierzig Prozent der Immobilien verkauft oder reserviert seien. Daher gebe
es auch keinen fest abgesteckten Zeitraum für die Fertigstellung des
Projekts.
## Nur eine Verdopplung
„Es ist kein neues Dubai, das hier entsteht“, betont er, "sondern die
Verdopplung eines kleinen Schweizer Bergdorfs." Von Gigantismus und
Immobilienblasen möchte er nichts hören.
Eine Verdopplung stellt das Andermattprojekt im wahrsten Sinne des Wortes
dar. Nicht nur die bebaute Fläche soll verzweifacht werden. Auch die Zahl
der Gebäude und der Anwohner beziehungsweise Gäste soll sich verdoppeln.
Halbiert werden kann hingegen der Anfahrtsweg. Wer die zwei Autostunden aus
Zürich nicht auf sich nehmen möchte, wird dem Plan nach einen kleinen
Militärflughafen auf halbem Weg nutzen können. Das eigene Flugzeug müssen
die Gäste dafür selbst mitbringen.
„Aber bei der Klientel, die wir hier erwarten“, schätzt Sandra Hrovat, die
die JournalistInnen auf dem Rückweg nach Zürich begleitet, „kann es schon
gut sein, dass der eine oder andere davon Gebrauch machen wird.“
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Artikels hieß es,
Sawiris und seine Leute wollten 120 Kilometer statt 50 Kilometer neue
Pisten erschließen. Wir bitten, dies zu entschuldigen.
17 Mar 2012
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Reiseland Schweiz
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